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Wirtschaft: Europas Wirtschaft ist besser als ihr Ruf

Vorsprung der USA geringer als angenommen

Von Jakob Schlandt

Berlin - Es muss wehtun – das ist die Botschaft. Ohne harte Reformen könne Westeuropa nicht zu den USA aufschließen und ähnlich erfolgreich werden wie die weltweite Wachstumslokomotive, heißt es. Das „Wall Street Journal“ befand kürzlich, beim Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) könne allenfalls Luxemburg mit den reichsten US-Bundesstaaten mithalten. Und die Titel auf dem Buchmarkt sprechen Bände. „Deutschland - Abstieg eines Superstars“ heißen sie, oder, im Nachbarland, „La France qui tombe“ (Frankreichs Stern sinkt).

Doch es sieht nur auf den ersten Blick schlecht aus, was die Europäer in den vergangenen 30 Jahren vollbracht haben. Zwischen 1994 und 2003 schafften die Amerikaner im Schnitt 3,3 Prozent Wachstum, die Eurozone nur 2,1 Prozent. Allerdings wächst die Bevölkerung in Amerika deutlich schneller als auf dem alten Kontinent. Beim BIP pro Kopf, einem anderen Indikator für Wohlstand, fällt die Differenz geringer aus: USA 2,1 Prozent, Euroland 1,8 Prozent Plus. Rechnet man Deutschland heraus, das mit den Schwierigkeiten der Wiedervereinigung zu kämpfen hat, steht es gar unentschieden – denn dann liegt die Eurozone ebenfalls bei einem Zuwachs von 2,1 Prozent.

Auch bei der Produktivität ist Europa besser als sein Ruf. Mit Verweis auf den Softwarehersteller Microsoft werden immer wieder die enormen Effizienzgewinne in den USA bestaunt. Doch in den vergangenen zehn Jahren bis 2003 steigerten die Amerikaner ihre durchschnittliche Produktion pro Stunde um 2,6 Prozent pro Jahr, Europa muss sich mit 1,5 Prozent zufrieden geben. Doch die Rechnung hat einen Haken: Die Statistiken sind nicht vergleichbar. So wird in Europa etwa der öffentliche Sektor mit einbezogen – und zieht die Zahlen gewaltig nach unten. Der „Economist“ zitiert eine Studie der Investmentbank Goldman Sachs: „In den letzten zehn Jahren ist die Produktivität in Europa sogar etwas schneller gewachsen als in den USA.“ Der Versuch Bushs 2002, die Stahlindustrie durch Zölle vor der EU-Konkurrenz zu schützen, verwundert da nicht. Der französische Ökonom Olivier Blanchard findet, dass die These von Europas schlechter Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen 30 Jahren „einfach komplett falsch“ ist. Tatsächlich habe die Eurozone in der Zeit einen beeindruckenden Effizienzzuwachs erreicht und sei so produktiv wie die USA.

Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Zwar liegt die Arbeitslosenquote in den USA bei 5,6 Prozent und im Euroraum bei 8,9 Prozent. Doch seit 1997 ist die Zahl der Jobs in der Eurozone um acht Prozent gestiegen, in den USA nur um sechs Prozent. Schließlich ist auch der Unterschied bei den Kapitalerträgen nicht so wie stets behauptet. Laut Goldman Sachs liegen Amerika und Europa fast gleichauf.

Nicht zu leugnen ist zwar, dass die Eurozone 30 Prozent weniger erwirtschaftet als die USA. Der simple Grund ist: In den Staaten wird mehr gearbeitet, Schätzungen zufolge liegt die Lebensarbeitszeit um bis zu 40 Prozent über der europäischen. Laut Ökonom Blanchard geht das auf mehr Urlaubstage und gewerkschaftliche Einigungen zurück – mithin auf freiwillige Entscheidungen der Arbeitnehmer und der Gesellschaft. „Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes.“

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