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Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne (l) und Mike Manley (r), Jeep-Markenchef, der seit vielen Jahren zum Top-Management des Autobauers gehört.

© dpa

Fiat-Chef in kritischem Zustand: Das abrupte Ende der Ära Marchionne

Der Gesundheitszustandes des Fiat-Chrysler-Chefs hat sich nach einer Schulter-OP dramatisch verschlechtert. Er wurde bereits als Konzernchef abgelöst.

Der italo-amerikanische Autokonzern Fiat Chrysler (FCA) steht unter Schock. Quasi über Nacht verlor das Unternehmen seinen langjährigen Chef Sergio Marchionne, der das Unternehmen in seiner 14-jährigen Amtszeit völlig umgekrempelt hat. Nach einer eilig einberufenen Aufsichtsratssitzung in Turin gab das Unternehmen am Wochenende bekannt, dass Marchionne weder zu FCA noch auf seinen Posten als Aufsichtsratschef von Ferrari zurückkehren wird. Fiat-Präsident John Elkann sprach in einer persönlichen Erklärung von seinem „tiefen Schmerz über den Zustand von Sergio“. Es sei eine „noch vor Stunden nicht vorstellbare Situation eingetreten, die bei allen ein Gefühl der Ungerechtigkeit hinterlässt“. Seine Gedanken seien „bei Sergio und seiner Familie“, sagte der Chef der Beteiligungsholding Exor, die 29 Prozent der Firmenanteile hält. Der langjährige FCA-Chef sei „ein unvergleichlicher Bezugspunkt“ gewesen. Marchionne sei für ihn eine Person, der er vertraut habe, ein Mentor und vor allem ein Freund.

Marchionne war zuletzt öffentlich im Juni aufgetreten und hatte sich dann in einer Zürcher Privatklinik einem operativen Eingriff an der Schulter unterziehen lassen müssen. Im Anschluss hat es offenbar unerwartete Komplikationen gegeben, die dazu geführt haben, dass der Manager „seine Arbeit nicht mehr aufnehmen kann“, hieß es bei FCA. Das Unternehmen sei „in tiefer Trauer“.

Zum Nachfolger Marchionnes wurde der bisherige Chef der Marken Jeep und Ram, Mike Manley ernannt. Der 54-jährige Brite ist Ingenieur und startete seine Karriere im Jahr 2000 beim damaligen Daimler-Chrysler-Konzern. 2008 wurde er Vizepräsident mit Zuständigkeit für die internationalen Verkäufe und der weltweiten Modellplanung, 2009 Präsident der Konzernmarke Jeep – eine Aufgabe, die er damals als die größte seines Lebens bezeichnet.

2004 rettete er den vor der Pleite stehenden Konzern

Marchionnes Nachfolger als Chef des Rennwagenherstellers Ferrari ist der im ägyptischen Alexandria geborene Maltese Louis Camilleri. Der 63-jährige Ökonom hat in Großbritannien und in der Schweiz studiert und zunächst als Analyst sowie später für Philipp Morris und Kraft Foods gearbeitet, bevor er Vorstandsmitglied bei Ferrari wurde. Marchionne wollte nach den bisherigen Plänen seinen Posten als FCA-Chef im Frühjahr 2019 aufgeben. Der 66-Jährige Italo-Kanadier stammt aus den Abruzzen, wanderte aber im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie nach Kanada aus. Er studierte Philosophie, Wirtschaft und Jura und erwarb einen Master in Business Administration. Seine Karriere begann er als Geschäftsführer einer Aluminiumfirma und wurde später Chef des Genfer Prüfkonzerns SGS. Dort wurde Fiat-Großaktionär Giovanni Agnelli, intern nur Avocato genannt, auf ihn aufmerksam und holte ihn zu Fiat.

Die Rettung des 2004 vor der Pleite stehenden Fiat-Konzerns gilt als seine größte Tat. Der Mann, der stets im schwarzen Cashmere-Pullover oder in einer Cashmere-Jacke auftrat, gilt als begnadeter Verhandler, aber auch als Autokrat. Jedenfalls hat er den Konzern völlig umgekrempelt. „Führung ist keine Anarchie. Wer in einem großen Konzern Chef ist, ist allein. Geteilte Verantwortung gibt es nicht. Ich fühle mich manchmal sehr allein“, sagte er einmal. Über sein Privatleben ist wenig bekannt. Marchionne spielte gern Poker, lebte zurückgezogen und soll vor einem Jahr das Rauchen aufgegeben haben. Verschiedenen Berichten zufolge verfügt er persönlich allein über ein Aktienkapital im Wert von rund 570 Millionen Euro. Marchionne hat in seiner Amtszeit den Börsenkurs mehr als verzehnfacht, die Schulden gegenüber Lieferanten abgebaut, Ferrari und das Nutzfahrzeug- und Landmaschinengeschäft von CNH erfolgreich ausgegliedert und erfolgreich an die Börse gebracht.

Beobachter haben Zweifel, was den Wandel betrifft

FCA schreibt heute hohe Gewinne. Legendär war, wie er General Motors (GM) 2004 gut 1,5 Milliarden Euro abgepresst hat. Fiat und GM waren über eine 20-Prozent-Beteiligung sowie eine umstrittene Put-Option miteinander verbunden, die GM zum Kauf der restlichen 80 Prozent verpflichtet hätte. GM kaufte sich mit den 1,5 Milliarden Euro letztlich frei. Ein weiteres Highlight war dann die Übernahme von Chrysler, der früheren Daimler-Tochter, für nur 900 Millionen Euro. Allerdings hat Marchionne nicht alle Ziele erreicht. Die für 2018 angepeilten Verkaufszahlen von sieben Millionen Fahrzeugen werden weit verfehlt.

Die angestrebte Partnerschaft, die notwendig ist um alternative Antriebe, autonome Fahrzeuge und Premiumfahrzeuge zu entwickeln und Kosten zu sparen, ist gescheitert. FCA fehlt eine vernünftige Strategie bei alternativen Antrieben und verfügt bislang auch über kein Hybrid-Modell. Und dazu ist die Modellpalette überaltert. In den USA steht das Unternehmen zudem wegen mutmaßlicher Manipulation von Abgasreinigungssystemen vor Gericht. Es drohen Milliardenstrafzahlungen. Alles in allen steuert FCA in eine ungewisse Zukunft.

Beobachter wie der Fiat-Experte und Professor an der Mailänder Bocconi-Universität, Giuseppe Berta, haben außerdem Zweifel, dass der angestrebte Wandel zum weltweiten Premiumanbieter mit den Marken Maserati/Alfa Romeo und Jeep/Ram gelingt. Nachdem noch von Marchionne am 1. Juni vorgestellten Mehrjahresplan werden Chrysler und Fiat künftig nur noch Regionalmarken sein und in Italien werden nur noch Premium-Modelle produziert. Gewerkschaften fürchten deshalb bei Fiat in Italien einen beschäftigungspolitischen Kahlschlag. Gerhard Bläske

Gerhard Bläske

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