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Essay: Was bringt Spekulation - und was richtet sie an?

Ist Spekulation nützlich oder gehört sie verboten? Ein Essay von Miriam Schröder. Und was meinen Sie? Bitte kommentieren und diskutieren Sie mit.

Es muss ungemütlich sein, wenn man dieser Tage Spekulant ist. Im Fernsehen wird man täglich für die Finanzkrise verantwortlich gemacht, EU-Politiker drohen öffentlich mit Folterwerkzeugen. Auch im Schloss Bellevue stand die Spekulation kürzlich im Kreuzfeuer. Zu Gast war Paul Volcker, Ex- Chef der US-Notenbank Fed und Berater von Präsident Barack Obama. Der große alte Mann, wie Obama ihn nennt, erzählte die Geschichte, wie er einmal einen Nobelpreisträger fragte, ob spekulative Finanzprodukte eigentlich irgendeinen Nutzen für die Volkswirtschaft hätten. Nein, habe der geantwortet.

Weil der Nobelpreisträger auch Gründer einer der größten Hedgefonds der Welt war, der 1998 eine spektakuläre Pleite hinlegte, hatte Volcker die Lacher und die Moral auf seiner Seite. Spekulation, da sind sich gerade alle einig, ist ein Grundübel und gehört verboten. Nur Jürgen Fitschen von der Deutschen Bank, Vorstandskollege von Josef Ackermann, wagte es, in Bellevue zu widersprechen. Ohne Spekulation, sagte er, wäre die Welt langweilig, eintönig. „Dull“, war das Wort, das er auf englisch wählte.

Fitschen hat guten Grund, das so zu sehen, legt die Deutsche Bank doch am heutigen Dienstag einen Geschäftsbericht mit einem Vorsteuergewinn von fünf Milliarden Euro vor, der zum größten Teil aus dem Investmentbanking stammt. Dazu gehört der Handel mit Finanzprodukten aller Art. Würde man den verbieten, die größte deutsche Bank könnte nie wieder die angestrebte Eigenkapitalrendite von 25 Prozent vor Steuern erreichen. So plump war die Argumentation natürlich nicht. Finanzmarktspekulationen, meint Fitschen, nutzen der Volkswirtschaft durchaus. Das sagt nicht nur der Deutsche-Bank-Vorstand, das sagen auch die Neoliberalen unter den Wirtschaftswissenschaftlern. Sie nennen es: Theorie der effizienten Märkte.

Aber was ist überhaupt Spekulation? Das lateinische Wort spekulari bedeutet spähen oder: In die Zukunft sehen. Alles Handeln, das in die Zukunft gerichtet ist, ist immer auch Spekulation. Man riskiert etwas in der Hoffnung, dass der eigene Zustand sich verbessert. Wenn der Fischhändler frühmorgens auf dem Großmarkt einkauft, spekuliert er darauf, dass genügend Kundschaft kommt, die ihm die Ware abnimmt. Tut sie es nicht, bleibt er auf dem Fisch sitzen, denn am nächsten Tag stinkt er. Der Pharmakonzern, der Geld in die Entwicklung neuer Krebsmedikamente steckt, rechnet damit, dass sich die Investition eines Tages lohnt. Wer sein Herz verschenkt, hofft darauf, zurückgeliebt zu werden. Ohne Spekulation kein Gewinn, keine Innovation und keine neue Liebe. Eine langweilige Welt, wohl wahr.

Weil die Zukunft so ungewiss ist, versucht der Mensch, Risiken einzuschätzen. Auch das ist Wesen der Spekulation. „Hedging“ bedeutet, sich abzusichern. Ein Landwirt kann sich an der Börse die Option sichern, seine Ernte in einem halben Jahr zu einem bestimmten Preis zu verkaufen. Ist die Ernte verhagelt, erzielt er seinen Preis trotzdem. Fällt sie besser aus als erwartet, hat der Verkäufer der Option einen Gewinn gemacht. Für seine Versicherung braucht der Landwirt einen Gegenpart, einen Spekulanten, der hofft, dass das Spiel zu seinen Gunsten ausgeht. Nach dem Prinzip funktionieren auch Versicherungsgesellschaften, die darauf wetten, dass die Prämien, die sie für die Vollkasko kassieren, von den meisten Kunden niemals nachgefragt werden.

Optionen kann man an der Börse auf fast alles abschließen. Auf fallende Wechselkurse, steigende Rohstoffpreise oder auf bankrotte Staaten. Und hier wird aus der Versicherung ein Casino, bei dem jeder versuchen kann, sein Glück zu machen. Hedgefonds, Investmentbanken oder Kleinanleger spekulieren, dass sich ein Kurs zu ihren Gunsten bewegt, egal in welche Richtung. Etwa so: Wenn Griechenland in die Pleite schlittert, steigt der Wert von Credit Default Swaps, Kreditausfallversicherungen auf griechische Anleihen. Ein guter Spekulant deckt sich rechtzeitig damit ein, auch, wenn er gar keine Anleihen besitzt, nur, um sie später gewinnbringend zu veräußern. Wenn er sich Geld leiht, um noch mehr Swaps zu kaufen, vervielfachen sich Gewinne und Verluste und die Kurse steigen immer schneller. Die Nebenkosten sind bekannt. Je mehr Anleger sich gegen eine Staatspleite absichern, desto größer wird die Panik an den Märkten. Und desto teurer werden die Kredite für das hochverschuldete Land.

Richtig so, sagt die Theorie der effizienten Märkte. Die Spekulanten sind schließlich nicht die Urheber, sondern nur die Überbringer der schlechten Nachrichten. Sie streuen wichtige Informationen in den Markt ein und sorgen so dafür, dass sich die richtigen Preise herausbilden. (Dass die US-Investmentbank Goldman Sachs den Griechen dabei geholfen hat, ihre Haushaltszahlen zu schönen, ist wohl ein blinder Fleck der Theorie.)

Spekulanten sind demnach so etwas wie Seismografen, die ein Erdbeben anzeigen. Nur dass die Spekulanten sich nicht dafür zuständig fühlen, eine Rettungsaktion auszulösen und die Anwohner in Sicherheit zu bringen. Im Gegenteil, in der Regel verstärken sie das Beben noch. Denn wo spekuliert wird, entstehen Blasen.

Die anschaulichste Blase der Geschichte war die Spekulation auf holländische Tulpenzwiebeln im 17. Jahrhundert. Tulpen waren ein gefragtes Gut in Amsterdam. Ihre Zwiebeln wurden gehandelt, als sie noch in der Erde steckten. Nicht nur die Händler, auch Bauern und Hausfrauen spielten Tulpenlotterie. Sie versetzten ihren Schmuck und verpfändeten ihr Land, um an dem Boom mitzuverdienen. Für eine Zwiebel wurden bis zu 10 000 Gulden gezahlt. Ob sie das wert war, danach fragte niemand, solange die Preise stiegen. Bis die Blase platzte.

Gut so, sagt die Theorie. Und dass die professionellen Spekulanten mit ihrer Marktmacht schneller dafür sorgen, dass ein Trend wieder korrigiert wird, als sich die Herde der Kleinanleger bewegt.

Bis zum Ausbruch der Finanzkrise hat es länger gedauert. Schon 2007 war vielen Beobachtern klar, dass die Immobilien in den USA maßlos überbewertet waren und die Hypotheken, die auf ihnen lagen, wertlos. Doch anstatt die Blase platzen zu lassen, verpackten die Investmentbanker die faulen Kredite in noch faulere Papiere . Sie spekulierten darauf, dass der ganze Schwindel erst auffliegen würde, wenn sie ihre Risiken an ahnungslose Anleger verkauft hätten, darunter auch ein paar deutsche Landesbanken.

Infolge der Wirtschaftskrise sind auf der ganzen Welt die Zahl der Unternehmenspleiten, die Arbeitslosenquoten und die Staatsverschuldung dramatisch gestiegen. Zwanzig Jahre wird die Wirkung dieses Erdbebens noch andauern, schätzt die Europäische Zentralbank. Die Aufräumarbeiten haben die Spekulanten den Steuerzahlern überlassen. Die Staaten retteten Banken und schnürten Konjunkturpakete. Die Deutsche Bank wird ihren Mitarbeitern wieder satte Boni zahlen, genau wie ihre Konkurrenten an der Wall Street.

Sicher, sagt die Theorie, geht Spekulation auch manchmal nach hinten los. Aber der volkswirtschaftliche Nutzen werde die Kosten schon übersteigen. Profitieren die Holländer nicht heute von ihrem weltberühmten Tulpenmarkt? Wären die unscheinbaren Zwiebeln je zu Ehren gekommen, hätten die Spekulanten damals nicht so viel Geld für sie riskiert? Wer weiß schon, wie wir in zwanzig Jahren auf diese Krise schauen? Die Zukunft ist ja ungewiss.

Ohne Spekulation wäre die Welt langweilig. Mag sein. Aber wenn wir uns das Chaos angucken, das die Zocker angerichtet haben, könnte die Welt gerade gut ein wenig Langeweile vertragen.

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