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Lebensversicherung: Am Leben

Die Mehrheit der Lebensversicherer verspricht für 2009 stabile Renditen. Experten zweifeln an der Nachhaltigkeit der Zusagen.

93 Millionen Lebensversicherungsverträge – derzeit 686 Milliarden Euro schwer – liegen in den Schubladen der Deutschen. Trotz Niedrigzinsen, Börsenkrach und Bankpleiten versprechen die rund 100 deutschen Lebensversicherer ihren Kunden auch für 2009 eine stabile Rendite von im Schnitt 4,28 Prozent. Die Mehrheit der Assekuranzen hat ihre Renditen für 2009 damit nicht gekürzt, die Kunden erhalten zusätzlich zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestverzinsung von 2,25 Prozent eine Überschussbeteiligung von gut zwei Prozentpunkten. Die Allianz Leben, vor der Aachen Münchener, der R + V Leben, der Zürich Deutscher Herold und der Debeka Marktführer in Deutschland, winkt sogar mit einer Verzinsung von 5,1 Prozent für 2009.

Wer einen Blick auf die Kapitalmärkte wirft, fragt sich unweigerlich, wie solche Sätze möglich sind. Festverzinsliche Wertpapiere werfen aktuell im Schnitt – über alle Laufzeiten und Schuldner hinweg – nicht mehr als 3,2 Prozent Zinsen ab. Bundeswertpapiere verzinsen sich nur mit im Schnitt drei Prozent. Seit zwölf bis 14 Jahren sinken die Zinsniveaus, die für mindestens zwei Drittel der angelegten Versicherungsbeiträge entscheidend sind, beharrlich. Der Dax notiert gleichzeitig im Zehnjahresvergleich nur etwa sieben Prozent im Plus. Auch der Immobilienmarkt schwächelt.

Doch die Branche kämpft nicht nur bei der Geldanlage, sondern auch im Neukundengeschäft. Zwar wurden 2008 insgesamt 6,7 Millionen neue Policen abgeschlossen, doch waren dies zwölf Prozent weniger als im Jahr zuvor. Gleichzeitig hat im vergangenen Jahr mehr als jeder 20. Versicherte seinen Lebensversicherungsvertrag gekündigt oder beitragsfrei gestellt. Nach Erkenntnissen der Ratingagentur Fitch lagen die Bruttobeiträge 2008 auch nur noch sechs Prozent über den Auszahlungen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 30 Prozent. Setzt sich diese Entwicklung fort, so hätten Versicherer irgendwann Probleme, jedem Versicherten selbst die gesetzliche Garantieverzinsung zu zahlen. Sie liegt wegen älterer Verträge mit höheren Mindestzinsen im Schnitt pro Kunde derzeit sogar bei 3,4 Prozent pro Jahr.

ANBIETER REDUZIEREN PUFFER

Aktuell zehren die Lebensversicherer noch von höheren Zinsen früherer Jahre, so der Tenor der Assekuranzen. „Wir legen sehr langfristig an, profitieren daher auch noch von höheren Zinsniveaus“, erklärt Udo Rössler, Sprecher für die Allianz Leben, die 130 Milliarden Euro Kundengelder angelegt hat. Sieben bis acht Jahre blieben die Papiere im Schnitt im Portfolio. Aber: 100 Millionen Euro muss die Allianz jeden Tag neu anlegen, zu den derzeit historisch niedrigen Kapitalmarktzinsen. Fast alle Versicherer gehen deshalb an ihre Reserven.

„Die Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen sind insgesamt arg zerzaust“, bestätigt Versicherungsexperte Manfred Poweleit vom Branchendienst Map. Die Allianz etwa habe die Rücklagen 2008 nur noch mit 900 Millionen Euro gespeist, nach 2,6 Milliarden Euro ein Jahr zuvor. Nach Erkenntnissen der Ratingagentur Assekurata haben einige Versicherer ihre Puffer für schlechte Zeiten, aus denen sich die Zahlungen von Überschüssen jenseits der gesetzlichen Garantieleistungen speisen, gar schon weitgehend aufgebraucht.

Blieben die Zinsen niedrig, so könnten sich die Probleme für die Branche verschärfen, prognostiziert Poweleit: „Ich sehe die nächsten fünf bis sechs Jahre für den Lebensversicherungsmarkt mit deutlich mehr Unbehagen als das Krisenjahr 2008“, so der Fachmann. Manche Versicherer, so heißt es, könnten sich auch verstärkt zu riskanteren Geldanlagen gezwungen sehen, um die Renditen noch erzielen zu können.

Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) indes wiegelt ab: Es sei völlig normal, dass die Rückstellungen in schwierigen Zeiten abgebaut würden, so GDV-Sprecher Holger Schmitt-Tanou. Umgekehrt legten die Assekuranzen ja auch in guten Jahren finanzielle Polster an. Dies gewährleiste, dass „sich der Kunde auf stabile Renditen über viele Jahre verlassen kann“.

In der Tat zeigen die sogenannten Solvabilitätsquoten des Branchendienstes Map, dass zwar Sicherheitsmittel verbrannt worden sind, sich die Zahlen aber noch weit jenseits riskanter Niveaus bewegen. Die Quote setzt die eingegangenen Risiken ins Verhältnis zu den vorhandenen Eigenmittel. Beim Marktführer Allianz Leben ist sie zwar von 270 auf 233 geschrumpft. Damit lägen die finanziellen Polster jedoch noch fast zweieinhalb Mal höher als von der Finanzaufsicht gefordert, sagt Poweleit. Im Branchendurchschnitt liege die Quote bei gut 170.

Allerdings bilden die Bilanzen nicht alle Risiken korrekt ab: Denn neuerdings erlaubt die Finanzaufsicht Bafin den Versicherern, langfristig gehaltene Wertpapiere auch dann mit dem Kaufpreis in die Bilanz zu übernehmen, wenn das Portfolio nicht mehr als 20 Prozent im Minus ist. Zwei Drittel aller Versicherer vermieden damit Abschreibungen, heißt es bei Fitch.

TRICKS BEIM RECHNEN

Kritiker geben zudem zu bedenken, dass die Renditeversprechen jenseits der Garantieverzinsung teilweise mit Rechentricks versehen sind. So sei etwa bei der 5,1-prozentigen Verzinsung der Allianz Leben für 2009 auch ein sogenannter Schlussüberschuss von 0,6 Prozentpunkten eingerechnet, der erst am Ende des Vertrags gezahlt und auch problemlos wieder gestrichen werden könne. Auch andere Anbieter arbeiten verstärkt mit Schlussüberschüssen. Zudem bezieht sich die Verzinsung nicht auf die komplette Prämie, sondern nur auf jenen Sparerbeitrag, der nach Abzug aller Kosten für Verwaltung, Vermittler und Todesfallschutz übrig bleibt. Nach Fitch-Berechnungen blieben aus Kundensicht dadurch von den 2,25 Prozent Garantieverzinsung am Laufzeitende im Schnitt nur 1,38 Prozent übrig.

Veronika Csizi

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