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Mikrokredite

© Montage

Mikrokredite in Deutschland: Lernen von Bangladesch

Finanzkrise, Kreditklemme, Rezession: In wirtschaftlich schlechten Zeiten ist es für Existenzgründer schwer, an Kredite zu kommen. Doch es gibt eine Alternative zum klassischen Bankkredit - und die kommt aus einem Entwicklungsland.

Berliner Hinterhöfe bergen oft Überraschungen. Wer in den Innenhof der ehemaligen Aqua Butzke Werke in Kreuzberg tritt, der versteht, warum sich hier zahlreiche Kreative eingemietet haben: Das rund 8000 Quadratmeter große und über 100 Jahre alte Gebäude vermittelt Charme. Platz für Architekten, Musiker, Künstler – viele Selbstständige beherbergt das denkmalgeschützte Künstlerhaus mit seiner Klinkerfassade und den riesigen Fenstern.

In der mit gemütlichen Sofas ausgestatteten Kantine im zweiten Stock sitzen zwei jungen Designerinnen, nicht um über Entwürfe, aber über ein ebenfalls kreatives Thema zu sprechen: Finanzierung. Hanna und Flavia haben ihre Selbstständigkeit mit einem Mikrokredit angestoßen. Mikrokredit? Sind wir hier in Berlin oder in Bangladesch?

Eine Idee aus Südasien

Bangladesch ist ein bevölkerungsreicher Staat: halb so groß wie Deutschland, aber mit beinahe doppelt so vielen Einwohnern. Mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von etwa 460 US-Dollar im Jahr 2007 gehört Bangladesch zu den ärmsten Ländern der Erde. Viele dieser Armen sind von den Dienstleistungen der konventionellen Banken ausgeschlossen – keine Sicherheiten, nicht kreditwürdig. Doch einer bezweifelte diese Einschätzung. Vor rund 30 Jahren begann Muhammad Yunus in Bangladesch, armen Menschen Geld zu leihen, als Hilfe zur Selbsthilfe.

Yunus gründete die Grameen-Bank, vergab Kleinkredite fast ausschließlich an Frauen – die Gefahr, dass das Geld unmittelbar in Alkohol investiert wird, erschien ihm zu groß – und erfreute sich an einer Rückzahlquote von 98 Prozent. Angesichts eines Zinssatzes von 20 Prozent und geringer Laufzeiten begann sich das Geschäft irgendwann zu lohnen, sowohl für die Bank als auch für viele der Kreditnehmer. 2006 bekam Yunus den Friedensnobelpreis.

"Die Methode von Yunus lässt sich ein Stück weit auch in Deutschland umsetzen", erläutert Oliver Förster vom Deutschen Mikrofinanz-Institut, einem Dienstleister für die Anbieter von Mikrokrediten. Dabei versteht man unter Kleinkrediten in Deutschland Summen unter 25.000 Euro, die vor allem an Existenzgründer vergeben werden oder an Unternehmer, die einen Auftrag vorfinanzieren müssen. Der Kreditgeber orientiert sich nicht ausschließlich an Sicherheiten, sondern am Geschäftskonzept und an der Persönlichkeit des Kreditnehmers. Gewährt wird auch nur die Summe, die benötigt wird, um ein Geschäft anzustoßen. Das minimiert das Risiko: Je kleiner der Kreditbetrag, desto kleiner auch der Schaden bei einem Ausfall.

Mikrokredite füllen eine Lücke

"Hierzulande haben wir es mit einem Bankensystem zu tun, das betriebswirtschaftlichen Kriterien unterliegt: Welche Produkte sind rentabel? Daher ist es nicht verwunderlich, dass Banken sich aus dem Bereich der Klein- und Kleinstkredite zurückziehen. Die Risiken bei Existenzgründungen sind zu hoch", sagt Förster. Auch Yunus mit seiner Grameen Bank habe zwölf Jahre gebraucht um in die Gewinnzone zu gelangen und sich zuvor mit Mitteln der Weltbank über Wasser gehalten.

Im Gegensatz zu Bangladesch gibt es in Deutschland natürlich eine gut ausgebaute Bankenlandschaft. Und dennoch: Einige kommen einfach an Kapital, andere nicht. In diese Lücke, die die klassischen Banken hinterlassen, stößt die Mikrofinanzierung. Aber die Lücke wird dennoch größer. So ist laut der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau die Zahl der mittelständischen Unternehmen, die eine Mikrofinanzierung in Anspruch genommen haben, von 2003 bis 2006 um 155.000 auf 407.000 gestiegen. In Zeiten des konjunkturellen Abschwungs werden solche Mikrokredite umso wichtiger. Die klassischen Banken halten ihr Geld zurück, weil sie sich in anderen Bereichen verspekuliert haben. Für Handwerker, Musik- oder Nachhilfelehrer, Hausmeister oder Webdesigner, also für alle, die einen überschaubaren Kapitalbedarf haben, kann ein Mikrokredit eine Lösung sein.

Taschen aus der Behindertenwerkstatt

Hanna und Flavia reichten 5000 Euro, um mit ihrer kleinen Agentur Commis de Forme erst einmal arbeiten zu können. "Der Mirokredit war Gold wert, er hat unsere erste kleine Produktion bezahlt", so die Industriedesignerinnen. Bezahlen müssen sie einen Zins von fünf Prozent. Es handelt sich um eine Gründungsförderung durch das Unternehmen IQ-Consult, das den beiden Uni-Absolventinnen auch mit Rat und Tat zur Seite stand. "IQ-Consult hat uns auch in unternehmerischen Dingen weitergeholfen, wie man einen Businessplan schreibt zum Beispiel. So etwas bekommt man im Design-Studium ja nicht beigebracht".

Den Schritt in die Selbstständigkeit bereuen die beiden jungen Designerinnen jedenfalls nicht – und auch nicht die Finanzierung durch den Mikrokredit. Im Gegenteil: Flavia und Hanna schauen zuversichtlich in die Zukunft. Im Moment entwickeln die beiden vor allem Accessoires wie Taschen, Schmuck – auch mal einen Badeanzug oder ein Brettspiel. Irgendwann möchten sie auch größere Produkte wie beispielsweise Möbel designen. Dabei ist ihnen der soziale Aspekt wichtig. Ihre Handtaschen werden beispielsweise von einer Behindertenwerkstatt in Süddeutschland gefertigt. Das dürfte ganz im Sinne von Muhammad Yunus sein.

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