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Wirtschaft: „Flächendeckender Arbeitskampf, wenn es sein muss“

Transnet-Gewerkschaftschef Norbert Hansen über Hartmut Mehdorn, den Umzug der Bahn nach Hamburg, den Stellenabbau und den geplanten Börsengang

Herr Hansen, es gibt Streit und ein Machtwort der neuen Regierung wegen der Pläne der Deutschen Bahn, nach Hamburg umzuziehen. Was ist schief gelaufen?

Es war schlecht, dass überhaupt nicht gesicherte Fakten in die Medien und die Diskussion geraten sind, bevor sie mit den zuständigen Gremien und allen Beteiligten - etwa auch dem Bürgermeister von Berlin - besprochen werden konnten.

Hat Bahnchef Hartmut Mehdorn das Thema nicht richtig vorbereitet?

Das sehe ich nicht. Von Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust kam das Angebot, da konnte Mehdorn nicht sagen, ich spreche erst einmal nicht drüber. Meines Wissens wurde auch Frau Merkel durch Herrn von Beust direkt danach informiert. Warum dann eine Ad-hoc-Meinungsbildung im Kabinett stattgefunden hat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Das wäre nicht nötig gewesen. Man hätte erst einmal das Geschäft prüfen sollen.

Es ist erneut eine herbe Niederlage für Mehdorn. Ist er noch zu halten?

Auf jeden Fall. Die Beteiligung an der Hamburger Hafen- und Logistik AG und an der Hamburger Hochbahn ist spannend. Das wäre eine strategisch wichtige Ergänzung des Konzerns. Sollte sie gelingen, kann man wirklich nicht von einer unternehmerischen Fehlleistung sprechen. Und auch das, was Mehdorn geleistet hat, um die Bahn zu einem internationalen Mobilitätsdienstleister zu machen, ist von allen anerkannt.

Derzeit ist im Gespräch, die Bahn-Logistik zu verlagern. Droht ein Rutschbahn-Effekt von Berlin nach Hamburg?

Das ist noch unklar - jetzt soll es ja erst einmal Verhandlungen über die künftige Struktur geben. Es muss jedenfalls um unternehmerische Aspekte gehen, nicht um Strukturpolitik.

Mehdorn hat seit 1999 zehntausende Stellen gestrichen. Trotzdem stehen Sie als Gewerkschafter hinter ihm?

Der Stellenabbau ist doch nicht personengebunden. Da geht es um Rationalisierungsprozesse, die uns natürlich nicht gefallen. Wir werden weiter kämpfen, um das Schlimmste zu verhindern. Die Bahn ist aber nicht die einzige Branche, wo Jobs gestrichen werden.

Wann ist der Arbeitsplatzabbau zuende?

Das ist für den Bahnbereich Ende 2009 geplant. Bis dahin droht nach meiner Einschätzung noch der Wegfall einiger tausend Stellen. Das Tempo hat sich allerdings deutlich verringert. Im Konzern insgesamt werden außerdem durch Schenker oder den zuletzt gekauften US-Logistiker Bax schon heute neue Jobs geschaffen. Auch bei der Bahn sehe ich gute Ansätze – etwa durch die Eröffnung von Mobilitätszentren wie jetzt in Frankfurt am Main. Nach den jahrelangen Kürzungen in den Bahnhöfen ist das der richtige Weg. Denn in vielen Reisezentren fehlt heute Personal.

Im Moment wächst das Unternehmen nur in Geschäftsfeldern jenseits der Eisenbahn. Verkommt die Schiene mit dem Einstieg in Hamburg zum Randgeschäft?

Die Bahn macht zwar bereits die Hälfte ihres Umsatzes mit dem Frachtgeschäft, der Schienenverkehr geht deshalb aber nicht zurück. Es ist richtig, dass die Bahn in der gesamten Wertschöpfungskette, von der Reise bis zu Transport und Logistik, ein Angebot macht, mit dem sie Geld verdient. Das kommt zum einen dem Kunden zugute, zum anderen hat sich die Politik ein solch integriertes Konzept doch immer gewünscht. Außerdem bringt es Gewinne, die auch in die Schiene investiert werden. Das Problem ist ein anderes: Im Güterverkehr wird der Wettbewerb zunehmend ungerecht, weil Lkw-Unternehmer der Bahn mit Sozialdumping das Geschäft kaputt machen. Die Politik muss hier gleiche Bedingungen für alle Verkehrsträger herstellen.

Das hat nicht einmal die umweltbewegte rot-grüne Regierung geschafft.

Stimmt. Und der neue Koalitionsvertrag ist eher noch unverbindlicher geworden ist. Immerhin hat mir Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee signalisiert, dass in naher Zukunft auch Lkw unter zwölf Tonnen Maut bezahlen müssen und die Abgabe möglicherweise über das Autobahnnetz hinaus ausgedehnt wird.

Braucht die Bahn derartige Schützenhilfe? Die Geschäftslage bessert sich.

Ja, wie es aussieht, liegt das Betriebsergebnis in diesem Jahr über dem Plan. Die bessere Entwicklung beim Güterverkehr liegt allerdings an der Umstrukturierung der Sparte, die auch Arbeitsplätze gekostet hat. Hier gibt es Grenzen: Wenn hier weiter, wie der Vorstand es nennt, „optimiert“ wird, dann werden wir Kapazitätsprobleme bekommen, sobald mehr Güter auf die Schiene verlagert werden sollen. Im Personenverkehr haben die Sonderangebote und der hohe Spritpreis dafür gesorgt, dass die Verluste nach der misslungenen Einführung des neuen Preissystems wieder aufgeholt wurden.

Ist die Bahn reif für die Börse?

Die Investoren müssen entscheiden. Mir als Anleger würde es nicht reichen, wenn ein Unternehmen nur zwei, drei Jahre lang genügend profitabel ist. Die Story und der stetige Fluss der Gewinne müssen stimmen. Deshalb gilt meine Prognose weiterhin, dass ab 2008 der Börsengang möglich ist. Wenn einem Investor allerdings weniger reicht, dann ist so etwas sicherlich auch früher möglich.

Sie galten doch immer als Bremser bei der Privatisierung.

Wir haben nie gebremst, wir haben immer gestaltet. Wir haben 14 Bedingungen. Unter anderem brauchen wir Beschäftigungssicherheit für die Mitarbeiter. Außerdem muss gewährleistet sein, dass sich ein Investor nicht die Filetstücke der Bahn herauspickt.

Umstritten ist noch, ob die Bahn mit oder ohne Schienennetz verkauft wird. Dazu soll es in den kommenden Tagen ein Experten-Gutachten geben.

Da ist Zündstoff drin. Es gibt meines Wissens nach fünf Modelle, von denen im Gutachten die Rede ist. Nur eines davon entspricht dem gegenwärtigen Zustand, bei den anderen geht es um Varianten der Trennung von Netz und Betrieb. Letztere senken aber alle den Börsenwert der Bahn. Daran können weder der Konzern noch der Eigentümer Bund ein Interesse haben. Ich fürchte, dass es nun wieder über Monate eine Debatte über die Organisation der Bahn geben wird, die nicht von der Frage nach dem besten System geleitet werden wird. Es sind viele Interessen im Spiel – die privaten Bahn-Konkurrenten wollen einen noch freieren Zugang zum Netz, Industrie- und Dienstleistungsbetriebe haben ein Auge auf die lukrativen Zusatzgeschäfte geworfen, die die Bahn heute noch selbst erledigt: Service, Sicherheit, Reinigung, Fahrzeug-Instandhaltung, Gleiswartung.

Sie fürchten um das Geschäft der Bahn?

Ja, nach der Trennung von Netz und Betrieb würde der Bund die Transportgesellschaften sofort an der Börse verkaufen. Als private Unternehmen würden sie sich dann von diesen Randaktivitäten trennen. Unseren Berechnungen zufolge geht es hier um bis zu 50 000 Beschäftigte, die ihre Stelle verlieren würden. Andere Konzerne hätten noch viele Kapazitäten, um deren Arbeit mit zu erledigen.

Vor der Bundestagswahl haben Sie der künftigen Regierung für den Fall der Trennung von Netz und Betrieb mit politischen Streiks gedroht. Gilt die Drohung noch?

Die gilt weiterhin. Einer neuen Regierung tritt man zunächst immer etwas diplomatischer gegenüber. Ich habe Herrn Tiefensee aber deutlich gemacht, dass den Eisenbahnern seit Beginn der Bahnreform 1994 eine Menge versprochen worden ist. Wir haben die Sanierung immer begleitet und keinen Widerstand geleistet, weil wir an den erfolgreichen Umbau geglaubt haben. Jetzt, kurz vor der Schlussphase, dürfen die Menschen, die viele Opfer gebracht haben, nicht um ihre Ernte betrogen werden. Wer versucht, das zu verhindern, muss mit unserer ganzen Power rechnen. Und das ist auch ein flächendeckender Arbeitskampf, wenn es sein muss.

Das Interview führten Carsten Brönstrup und Bernd Hops

Zur Person:

Norbert Hansen (53) ist seit 1999 Chef der Verkehrsgewerkschaft Transnet. Er gilt als Pragmatiker. Seine Laufbahn begann er 1967 bei der Bahn, engagierte sich schon früh in der Gewerkschaft und ist seit 1979 hauptamtlicher Mitarbeiter. Außerdem ist Hansen SPD-Mitglied und war Vorsitzender der Jusos.

CO-MANAGER

In 90er Jahren erwarb er sich den Ruf eines Tarifexperten. Mit dem Bahnvorstand handelte er einen Beschäftigungspakt aus. Der Konzern muss, will er Stellen abbauen, auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Im vergangenen Februar wurde die Vereinbarung verlängert.

VATER

Hansen kommt aus Husum.Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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