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Wirtschaft: Flugzeug mit zarten Rippen

Das Großraumflugzeug A380 war zu schwer - der Hersteller setzte es auf eine ungewöhnliche Diät

Charles Champion hatte ein großes Gewichtsproblem. Er musste Anfang 2001 unbedingt mehrere Tonnen Gewicht verlieren. Damals war der Airbus-Ingenieur gerade Projektmanager für das neue Airbus-Großflugzeug A380 geworden. Das zwölf Milliarden Dollar teure Projekt stand erst noch am Anfang eines fünfjährigen Entwicklungsprogramms – und es war zu schwer. Die Extrakilos drohten, das ganze Projekt zu ruinieren. Schwere Flugzeuge verschlingen viel Treibstoff und treiben die Betriebskosten in die Höhe, genau das wünschten sich die Fluggesellschaften bei einem neuen Flugzeug aber nicht.

Um das Problem zu lösen, griffen die Ingenieure zu ungewöhnlichen Methoden, die noch nie zuvor für kommerzielle Flugzeuge verwendet wurden. Jede mögliche Lösung zog neue technische Probleme nach sich. Aber Airbus schreckte vor den Komplikationen nicht zurück: Denn dass die Gewichtsprobleme des A380 gelöst wurden, war für Airbus – und dessen Mutterkonzern, die franko-spanisch-deutsche European Aeronautic Defense & Space (EADS) – von immenser Bedeutung. Immerhin geht es um den Wettstreit mit dem US-Rivalen Boeing um die Marktführerschaft in der kommerziellen Luftfahrtbranche. Im vergangenen Jahr hat Airbus Boeing von Platz eins verdrängt – das europäische Unternehmen lieferte erstmals mehr Flugzeuge aus als die Amerikaner.

Mit dem neuen Großflugzeug, das bis zu 800 Passagiere transportieren kann, könnte das Unternehmen den Abstand zu Boeing noch weiter vergrößern, hofft Airbus-Chef Noël Forgeard. Er schätzt, dass Airbus durch den A380 seinen Jahresumsatz von 20 Milliarden Dollar nach 2006 um jährlich zehn Milliarden Dollar steigern wird. Bisher hat Airbus Aufträge für 129 A380-Großraumflugzeuge erhalten. Der offizielle Preis pro Flugzeug: 280 Millionen Dollar – Fluglinien erhalten jedoch meist Preisnachlässe.

Während Airbus an dem Riesenflugzeug arbeitet, ruht der Konkurrent jedoch nicht. Im April gab Boeing den Startschuss für das ultraeffiziente Flugzeug 7E7, das sehr viel kleiner als der A380 ist. Der Markt für den Boeing-Jet mit seinen 250 Sitzen ist größer als für den Riesen-Airbus, dafür sind allerdings die Gewinnmargen kleiner. „Wir denken nicht, dass der A380 ein sehr intelligentes Projekt ist", sagt Randy Baseler, Marketing-Vizepräsident von Boeing. Airbus schätze den Markt viermal so groß ein, als er in Wahrheit sei. Der Airbus soll zwei Decks haben, die durch zwei große Treppen verbunden sind und mit Shops und Lounges ausgestattet werden können. Im Vergleich zum größten Boeing-Jet, der 747-400, hat der A380 rund 35 Prozent mehr Sitzplätze. Airbus hat den Fluglinien versprochen, dass die Kosten pro Passagier um 20 Prozent niedriger sind – und zwar egal auf welcher Route. Das Argument Kostenersparnis kam bei den Airlines gut an.

Dafür wurden die Fluggesellschaften mit neuen Wünschen vorstellig. Die Fluglinie Emirates Airlines verlangte mehr Frachtraum. Die australische Qantas wollte weiter fliegen können. Und die Singapore Airlines forderte weniger Lärm. Die Fluglinie möchte eine schriftliche Garantie, dass das Riesenflugzeug die Flughafen-Geräuschbeschränkungen des Londoner Flughafen Heathrow erfüllt. Airbus stimmte zu – und versprach gleichzeitig, das Flugzeug trotzdem so effizient, sprich: so leicht zu machen wie bisher geplant. Das ist kein leichtes Unterfangen – umso weniger, als sich Airbus einen ungewöhnlich engen Zeitrahmen gesteckt hat. Das Unternehmen hat der Singapore Airlines vertraglich zugesichert, den ersten A380 schon Anfang 2006 fliegen zu können. Davor muss das Flugzeug ein Jahr lang getestet worden sein.

Das Gewichtsproblem hat Airbus jedenfalls in den Griff bekommen: Um das Problem zu lösen, trommelte Projektleiter Charles Champion im Sommer 2001 alle europäischen Airbus-Ingenieure im englischen Filton zusammen. In kleinen Grüppchen, „Tiger Teams“, überprüften sie den ganzen A380 auf der Suche nach Einsatzmöglichkeiten für neue Techniken. Die „Tiger Teams“ beschlossen, für den kompletten hinteren Rumpf leichte Kohlefaser statt des üblichen Aluminiums zu verwenden. Das bedeutete, dass der hintere Flugzeugkörper neu gestaltet und getestet werden musste, weil sich der Mischstoff anders als Metall verhält. Airbus ersetzte außerdem den elektrischen Kupferdraht durch Aluminium. Das ist kein risikoloses Unterfangen, weil Aluminium leichter als Kupfer und damit auch empfindlicher ist. Vor allem aber richtete Projektleiter Champion den Fokus auf die Tragflächen. Die Träger machen immerhin fast ein Drittel des Flugzeuggewichtes aus und sind beim Airbus-Riesen sehr viel größer als bei herkömmlichen Flugzeugen. Verschiedene Ingenieure schlugen vor, die Flügelrippen statt wie gewohnt aus Aluminium aus leichteren Verbundmaterialien herzustellen. Bei den Rippen handelt es sich um lange Metallkörper, die parallel zum Rumpf verlaufen und unterschiedlich groß sind – der größte sieht wie ein 5,5 Meter langes Kajak aus. Je 61 solcher Rippen halten einen Flügel zusammen.

Verbundmaterialien sind im Flugzeugbau zwar seit Jahrzehnten Standard. Doch werden sie bei weniger kritischen Teilen von Passagierjets eingesetzt, niemals aber bei den Hauptbestandteilen der Tragflächen. Der Grund: Die Rippen müssen während des Fluges enorme Belastungen aushalten. Durch derartige Veränderungen wird der Betrieb des A380 teurer als geplant. Nun kämpft Airbus darum, seine Preiszusagen an die Airlines einhalten zu können. „Die Zahlen sind nicht genau die gleichen, aber wir liegen etwa im versprochenen Bereich“, heißt es bei Airbus. Vom Standpunkt eines Ingenieurs aus sei der Flugzeugbau nicht optimal, sagt Projektleiter Champion. Aber die Airbus-Kunden erhielten, was sie wollten. Damit das vom Airbus-Chef prognostizierte Umsatzziel erreicht wird, müsste das Unternehmen allerdings die Auftragszahl noch mehr als verdoppeln.

Daniel Michaels

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