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Wirtschaft: „Freihandel ist gerecht. Wenn er wirklich frei ist“

Claudia Meyer, DGB-Referentin, und Daniel Bahr, Vorsitzender der Jungliberalen, diskutieren über Sinn und Unsinn der Marktliberalisierung

Frau Meyer, Herr Bahr, ist Freihandel gut oder schlecht?

BAHR: Freihandel ist grundsätzlich gut, weil er zu Wachstum und einer besseren Verteilung des Reichtums führt, und weil er Entwicklungsländer mit ihren Produkten Zugang zum Weltmarkt verschafft.

MEYER: Aber in der Realität sieht es anders aus – weil die Verteilung zwischen den verschiedenen Regionen in der Welt einfach ganz und gar nicht sozial gerecht stattfindet.

Ist Freihandel also ungerecht?

BAHR: Es gibt momentan gar keinen wirklichen Freihandel. Das ist ungerecht. Wenn ich mir anschaue, dass die EU in vielen Bereichen ihre eigenen landwirtschaftlichen Produkte subventioniert und den Ärmeren den Marktzutritt verwehrt, dann ist das unfair.

MEYER: Die Marktliberalisierung hat in den letzten Jahren nicht zu einer besseren Verteilung des Reichtums geführt, sondern sie hat die Ungleichheit verschärft. Zum Beispiel ist der Anteil der afrikanischen Staaten am Welthandel seit 1970 von 4,4 auf 2,2 Prozent gesunken.

BAHR: Afrika hat in der Tat ein Problem. Aber daran ist nicht der Freihandel schuld. Im Gegenteil, es hat nicht genug Freihandel gegeben. Länder, die sich mehr geöffnet haben als die afrikamischen Staaten, haben pro Kopf einen steigenden Wohlstand verzeichnet.

MEYER: Das ProKopf-Einkommen ist eine statistische Größe und sagt überhaupt nichts über die Verteilung des Wohlstands innerhalb eines Landes aus.

BAHR: Nehmen wir einen anderen Maßstab: In den Ländern, die sich geöffnet haben, zum Beispiel in Südostasien, sind viele Jobs entstanden.

Für Sie gilt also prinzipiell: Je weniger Handelshemmnisse, desto besser ?

BAHR: Ja. Allerdings sollte es keinen Freihandel pur geben. Es gibt immer noch Güter, die nicht frei gehandelt werden dürfen. Zum Beispiel Rüstungsgüter oder chemische Produkte.

MEYER: Richtig. Außerdem müssen Dienstleistungen in Bereichen wie Bildung, Wasser, Kultur, Gesundheit und Umwelt reguliert werden, und zwar auf Grundlage nationaler Souveränität. Zudem müssen bestimmte soziale und ökologische Mindeststandards im Regelwerk der WTO verbindlich fest geschrieben werden.

Warum Mindeststandards?

MEYER: Zwei Drittel des Welthandels spielen sich zwischen den internationalen Konzernen ab. Das sind diejenigen, die maßgeblich von der Marktöffnung profitieren, weil sie billig im Ausland produzieren können. Wir brauchen verbindliche Standards, damit diese Bedingungen nicht auf Kosten der Beschäftigten ausgenutzt werden.

BAHR: Bei Festsetzung von Standards bin ich sehr skeptisch. Ich habe die Befürchtung, dass das zu sehr hohen Hürden für die Entwicklungsländer führen könnte – und das wäre wieder Protektionismus. Wir sitzen in Deutschland auf einem hohen Ross, wir haben nämlich hohe Standards. Die Entwicklungsländer profitieren doch auch davon, dass unsere Konzerne dort produzieren. Außerdem verbessern sich soziale Standards auch allein durch die Teilhabe am Weltmarkt. Ich bin gegen zu viele Vorschriften.

MEYER: Ich nicht. Wollen Sie im Ernst, dass Firmen durch die Verletzung von Menschenrechten Wettbewerbsvorteile erzielen?

BAHR: Menschenrechte müssen gewährleistet sein. Wir können aber nicht unsere Arbeitsbedingungen Entwicklungsländern vorschreiben.

MEYER: Aber kein Experte – nicht einmal die Weltbank – behauptet, dass sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung automatisch die Arbeitsbedingungen verbessern.

BAHR: In den Entwicklungsländern ist doch die Kindersterblichkeit zurückgegangen, die Lebenserwartung ist gestiegen. Ist das denn nichts?

MEYER: Wir brauchen aber einen Ordnungsrahmen. Länder müssen bestraft werden können, wenn sie zum Beispiel Kinderarbeit dulden.

BAHR: Wir brauchen einen liberalen globalen Ordnungsrahmen. Die sozialen und ökologischen Standards der Industrienationen dürfen den Schwellenländern aber nicht aufgezwungen werden. Druck von Konsumenten und Unternehmen hat mehr Erfolg.

Frau Meyer, Herr Bahr, was erhoffen Sie sich vom WTO-Gipfel in Cancún?

BAHR: Den Abbau von Handelshemmnissen, die Stärkung der internationalen Organisationen und mehr Demokratisierung allgemein.

MEYER: Demokratie, Transparenz und die gleichrangige Behandlung von sozialen und ökologischen Aspekten bei allen Handelsfragen in der WTO. Handelsschranken müssen fallen, das stimmt, aber im Interesse des Allgemeinwohls und nicht des Profits.

Das Gespräch führten Nora Luttmer und Flora Wisdorff.

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