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Wirtschaft: Friedrich von Erckert

Geb. 1908

Auf dem Balkon eine Vogelfutter- maschine, in der Spüle verdrahtete Äpfel. Friedrich von Erckerts Wohnung war Versuchslabor und Magierhöhle. An den Wänden schlangen sich geheimnisvolle Kabel entlang, die Luft war von Ticken und Summen erfüllt. In einem durch Pfeile und Querverweise geordneten Chaos türmten sich die sonderbarsten und schönsten Geräte an den Wänden empor: aufsteigende Sanduhren, luftballonbetriebene Nussknacker, Schuhe, die per Knopfdruck zu Rollschuhen werden. Manches hatte er selbst erfunden, anderes gekauft. Auf dem Balkon stand eine Vogelfütterungsmaschine mit automatischer Nachschubversorgung, in der Spüle hatte der einstige Telefunken-Ingenieur Äpfel verdrahtet, um zu sehen, welche Energie sich aus ihnen ziehen ließe.

Die Wohnung lebte. Sie glich dem Hirn ihres Meisters, ein Mann mit scharfen Gesichtszügen, rosiger Haut und Sherlock-Holmes-Mütze.

Wo andere ihr Leben längst auf Stand-by geschaltet haben und nur noch darauf warten, dass ein Deus ex Machina eine neue Musik auflegt oder aber der Tod auch die letzte Restenergie ausknipst, da blinkte es bei von Erckert noch im höchsten Greisenalter heller und aufgeregter als bei manchem Jüngling.

Bis zum Schluss griff er sich täglich seine Nordic-Walking-Stöcke, eilte die drei Stockwerke runter und raus ins Leben, ins 3D-Kino, in Ausstellungen moderner Künstler, oder er fuhr in seinem Citroen aufs Land, um die neuen Gewinde der jüngsten Windräder-Generation zu bestaunen.

Wenn seine rückwärtsgehende Wanduhr zum Feierabend mahnte, setzte er sich in seinen Lese-Sessel. Er studierte die Unterschiede dreier verschiedener Bibelübersetzungen, den neuen Brockhaus, Astro-Physik, Zauberbücher oder Krimis. Hatte er genug gelesen, flickte er erblindete und verstümmelte Puppen, die ihm die Kinder aus der Nachbarschaft gebracht hatten. Oder er zeichnete etwa das Siebengestirn und ließ nach den Zeichnungen kleine Glasfenster machen, mit denen er seine Wohnung schmückte.

Magnetfelder, Windkraft, Wasserkraft, Sonne und Mond, Geist und Eros. Friedrich von Erckert liebte die Kraftquellen des Lebens und bewachte die eigenen mit der Disziplin eines Sprösslings von militärisch-preußischem Stamm. Toastbrot nannte er Todbrot, Aschenbecher Gifttöpfe. Je älter er wurde, desto triumphierender flammte in zig Diodenlämpchen die aktuelle Jahreszahl aus seinem Fenster.

Auch nach dem Tod seiner Frau musste das Leben weitergehen. Der 83-Jährige buchte eine Reise, Nachtfahrt, schritt langsam und wachen Blickes den Gang des Reisebusses ab und setzte sich mit ein paar höflichen Worten neben die Schönste der allein reisenden Damen. Und weil er ja sein Köfferchen mit dem Notwenigsten dabeihatte, gab es keinen Anlass, nach Berlin zurückzukehren. Er zog zu ihr nach Köln. Zwei Jahre war er damit beschäftigt, das Haus der neuen Braut zu verdrahten, Monduhr, Wetterstation, Solarzellen anzubringen. Dann saß er in einem Zimmer im oberen Teil des Hauses, sie im Erdgeschoss. „Lass uns verreisen!“, rief er hinunter. „Aber wir haben es doch so schön hier!“, rief sie hinauf. „Und das“, sagte er, „ist genau der Grund, warum ich nie ein Haus haben wollte.“

So zog er weiter, forschend und liebend neues Wissen und reifere Herzen erobernd.

Nun wollen wir diesen Nachruf sanft ausklingen lassen, so sanft wie Friedrich von Erckert allzu sesshafte Besucher vertrieb. Heimlich tastete er auf der cockpitähnlichen Schaltfläche hinter seinem Stuhl nach einem Knöpfchen: sehr, sehr langsam erloschen in der gesamten Wohnung die Lichter. Unschuldig hob er die Schultern: „Stromsperre?“ Wenn die Gäste nun den Lichtschalter drückten, ging statt des Lichtes ein Radio an und entließ den Besuch mit einer freundlichen Melodie.

Er starb während einer Gymnastikübung, mitten aus dem Leben gerissen.

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