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Wirtschaft: Geb. 1919

Werner Schlenzka

Werner Schlenzka

Das hätte einen wie ihn gefreut – leise und nach innen. Die Kinder sagen zu hören, dass er ein Guter war, ein Gütiger. Ein Vater, den man vermissen wird. Der Frauen immer mit Respekt behandelte, seine eigenen, die Töchter, bis zum Schluss. Ein gutes Paar waren sie, die Schlenzkas, in ihrem Haus an der Havel zogen sie zusammen sieben Kinder groß. Gab es darüber hinaus noch Fürsorge an Elternlose zu verteilen – sie taten es. Ohne Wenn und Aber. Einige Kinder wuchsen so der Schlenzka-Sippe zu: Die uneheliche Tochter einer Cousine. Und zu DDR-Zeiten, an den Wochenenden, der eine oder andere Pastorensohn aus Ost-Berlin, dem die Linientreuen hinter der Grenze das Gymnasium verwehrten. Der dann mit Schlenzkas Töchtern in Zehlendorf die Schulbank drückte.

Humanistisch sein, so denken und so handeln – schon dem Kind Werner Schlenzka war dieser Geist vertraut. Einer Anklamer Arztfamilie entstammte er, alle Männer ein „Herr Doktor“, verheiratet mit Ärztinnen und Krankenschwestern. Honoratioren in der Stadt, Halbgötter in Weiß. Arzt werden - für Werner Schlenzka eine Pflicht, die er mit Freude annahm. Schon früh fragte das Leben seine Fertigkeiten dahingehend ab: Gerade mal Mitte zwanzig war er und auf der Flucht von Anklam in den Westen, als ein Mann in einem kleinen Dorf bei Storkow auf ihn zutrat, ihn um Hilfe bat, die Frau sei schwanger, kurz vor der Niederkunft, eine Hebamme nicht auffindbar. Der Krieg war aus, der junge Schlenzka auf der Suche nach dem Glück, doch erst sollte er noch anderen dazu verhelfen. Die Dramaturgie einer Geburt, die kannte er nur aus dem Lehrbuch, Talent führte seine Hand.

Ein Junge, von ihm auf dem Küchentisch des Hauses auf die Welt geholt, bekam seinen Namen und kurz nach der Wende spannenden Besuch: Werner Schlenzka, ein magisch Angezogener, wenn es um die alte Heimat ging, stand eines Tages vor der Tür und sagte kurz Hallo. Wollte nur schauen, wollte keinen Dank. Gab sich als Geburtshelfer zu erkennen, fuhr dann weiter, Richtung Anklam, dahin, wo seine pommersche Seele einst ihre Prägung abbekommen hatte. Nämlich die, das Leben ruhig und nüchtern anzugehen.

Orthopäde war Werner Schlenzka, fast dreißig Jahre gab es seine Praxis in Moabit. Doch nicht nur Brüche und Frakturen beschäftigten sein Denken, wissbegierig verfolgte er zudem das Weltgeschehen. Ließ seinen Kindern freien Lauf, wenn die sich zu den Achtundsechzigern gesellten, dem Kommunismus huldigten und radikale Schriften mit nach Hause brachten. Wie Tochter Gudrun, heute Lehrerin. Las die Marx oder Luxemburg, legte er ihr unauffällig die Memoiren eines Enttäuschten auf den Nachttisch. So kam Solschenizyn in ihr Haus oder die Buber-Neumann. Regimekritiker. Einen wie Schlenzka schmerzte die Mauer sehr, sie trennte ihn von seinen Wurzeln ab, von Pommern. Wie konnte er da gut heißen, was eine DDR ausmachte? Seine Kinder sollten ihre eigene Meinung finden, für Werner Schlenzka eine Selbstverständlichkeit. Dennoch rügte er sie streng, wenn sie – noch jung und unerfahren – bei Ostbesuchen vor den DDR-Verwandten mit ihren Jeans angaben.

Der Krieg saß tief, erzählen Werner Schlenzkas Töchter heute, den hat er nie ganz abgeschüttelt. Diffuse Schuldgefühle und schlimme Augenbilder , der Film „Der Pianist“ – ein Muss für ihn. Und weil Krankheit nie ein Thema war im Haus der Ärzte Schlenzka, hört man auch nach dem Tod des Vaters keine Leidensarien von den Töchtern. Leben hat Priorität, oberste Familien-Philosophie. „Es war ihm wichtig, dass was blühte“, sagt Tochter Gudrun. Der Garten war Refugium für ihn, da grub, verschnitt und goss er, stundenlang. Allein mit den Gedanken und den Früchten seines Ackers. Gemüse für die Kinder, Rosen für ihn. Bezeichnend war es da, dass eine Knospe ihm, die er im Sterben sah, ein letztes Lächeln abrang. Er konnte es nicht anders: Er nahm das Leben mit in den Tod.

Judka Strittmatter

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