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Wirtschaft: Geb. 1930

Er sollte sich entscheiden: Hochschule oder Kirche. Dabei ging es ihm doch nur um die Musik.

Er sollte sich entscheiden: Hochschule oder Kirche. Dabei ging es ihm doch nur um die Musik.

Einmal, während des Gottesdienstes, flog plötzlich ein Mauersegler in den weiten Kirchenraum. Kirchenmusikdirektor Klaus- Ekkehard Ibe sah von seinem Platz an der Orgel dem kühnen Flugstück des Vogels zu und antwortete prompt. Mitten in das liturgische Begleitstück schob er die Melodie des Liedes „Kommt ein Vogel geflogen“ ein. Er spielte den Übergang so feinfühlig, dass nur wenigen die abweichende Vertonung auffiel.

In Ilmenau in Thüringen hatte Ibe als Achtjähriger mit dem Klavierspielen begonnen. Zur Orgel kam er eher unbeabsichtigt. Ibe war dreizehn Jahre alt, als er die Vertretung des zur Wehrmacht eingezogenen Organisten der St.-Jakobus-Kirche übernahm. Das Pedalspiel an der großen Orgel brachte er sich selbst bei. Im Vergleich zum Klavier musste er nun die viel schwereren Anschläge der Orgelmanuale bedienen, was nach Erfahrung seiner Klavierlehrerin bewirke, dass sich der Schüler damit das Klavierspiel „versaue“. Ibe war jedoch von dem komplexen Instrument mit den vielen Pfeifen, Registern und Windladen hoch begeistert und spielte weiter. Das Abitur, das er 1949 absolvierte, bedeutete ihm nicht viel, obwohl er gute Noten bekam. Längst war die Musik zu seinem Lebensinhalt geworden, der Wunsch, Berufsmusiker zu werden, in ihm gewachsen.

Die Kunst des Orgelspiels und der Improvisation lernte Klaus-Ekkehard Ibe schließlich an der Weimarer Musikhochschule bei Professor Johannes Ernst Köhler. Dieser galt weit über den Thüringer Raum hinaus als „Orgelpapst“ und Meister der Improvisation. Nach Abschluss des Studiums wurde Ibe sein Assistent. Dies war zu Beginn der fünfziger Jahre, in der DDR fand die „sozialistischen Revolution“ statt. Leidenschaftliche Kirchenmusiker und bekennende Protestanten wie Klaus-Ekkehard Ibe gehörten nicht zu den Leuten, um deren Interessen es den Gesellschaftsveränderern ging.

Familie Ibe hat das ambivalente Verhältnis des Staates gegenüber seinen künstlerisch angesehenen und frei denkenden Bürgern zu spüren bekommen. Den drei Töchtern von Klaus-Ekkehard und Helga Ibe, die noch zwei weitere Töchter aus erster Ehe mitbrachte, wurde das Abitur verwehrt, nicht weil sie schlechte Noten gehabt hätten, sondern weil sie der falschen „gesellschaftlichen Schicht“ angehörten.

Ihr Mann, sagt Helga Ibe, habe „aus seinem Herzen keine Mördergrube“ gemacht, wenn es im Sinne der Musikpflege darum ging, Chormitgliedern eine besondere Aufnahme eines Orchesters im West-Fernsehen zu empfehlen. Die Behörden, an sich schon nicht begeistert, dass einer ihrer Hochschullehrer gleichzeitig für die Kirche tätig war, konnten diesen Freimut nur schwer ertragen. Wie in einem bösen Vexierspiel wurde die Familie Ibe von der einen wie auch von der anderen Seite dazu gedrängt, sich zu entscheiden: entweder staatliche Hochschule oder Kirche. Dabei ging es dem Kirchenmusikdirektor allein um die Musik, um das Spiel, es ging ihm um die Fugen, Tokkaten und Kantaten von Bach, die Matthäus-Passion, die Requien von Mozart und Brahms, die Weihnachts-Oratorien, um die vielen tonalen Formen der Begegnung von göttlicher mit musikalischer Schöpfung und deren hintergründige Texte.

Ende der siebziger Jahre reist Frau Ibe nach Westdeutschland und und lässt sich im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen bei der Formulierung des Ausreiseantrags helfen. Ibe kündigt seine Hochschulanstellung in Weimar. Vier Jahre lebt die Familie in Ungewissheit und Angst, zudem allein von dem kleinen Geld aus der Kirchentätigkeit des Vaters in Ilmenau. 1982 kommt endlich der Bescheid, sie siedeln über nach Heilbronn, wo der Vater eine Kantoren-Vertretung übernimmt. Nach einem Jahr ziehen sie weiter nach West-Berlin. Klaus-Ekkehard Ibe bekommt eine Stellung in Wilmersdorf, später in Alt-Tegel. Auch nach der Pensionierung bleibt er aktiv, übernimmt Vertretungen, dirigiert, adaptiert Stücke. Frau Ibe berichtet von den Wilmersdorfer Gemeindemitgliedern, die gar nicht wussten, was für eine „schöne Orgel“ sie besaßen, bis ihr Mann es ihnen auf klangvolle Weise verriet. Stephan Reisner

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