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Wirtschaft: Geb. 1931

Angodage Don Patrick Anton Bandara

Das Wetter in Deutschland begeisterte ihn. Tropische Hitze hatte er lange genug ertragen. Auf einer Reise zur Zugspitze stapfte er durch seinen ersten Schnee.

Colombo im Oktober 1980. Die blonde, große Frau reist unter falschem Namen. Sie nennt sich Susan Atkins, sie ist nervös, sie ist 44 Jahre alt. Ihren Fahrer und Reiseführer hat sie in das Hotel Intercontinental bestellt. Eine Europäerin allein unterwegs in Sri Lanka, das ist ungewöhnlich. In der Reiseagentur hat sie ausdrücklich nach Patrick verlangt. „Ich will keinen anderen als ihn“, sagt sie am Telefon.

Patrick ist ein wenig müde. Seit 20 Jahren arbeitet er als „Guide“. Er ist 49 Jahre alt, er hat vier Kinder, von seiner Frau lebt er innerlich getrennt. Die Agentur zahlt ihm nur ein paar Rupien, mit denen er seine Hotelzimmer während der Reise bezahlen muss. Wie viele Guides in Sri Lanka ist er auf die Trinkgelder seiner Gäste angewiesen, mit denen er zu den Edelsteinminen von Ratnapura oder zu den buddhistischen Tempelanlagen von Polonaruwa fährt.

Es ist üblich, sich einen Fahrer zu nehmen als Tourist in Sri Lanka. Ein Fahrer ist nicht teuer und der Verkehr chaotisch, ein einziges Durcheinander von Menschen, Bussen, Ochsengespannen auf den löchrigen Straßen. Man hupt und drängelt, man hält sich links, andere Regeln gibt es nicht.

Patrick ist ein verantwortungsvoller Begleiter. Er fährt langsam, er meidet die bürgerkriegsgeplagten Gegenden nördlich der alten Hauptstadt Anuradhapura, er inspiziert jedes Hotelzimmer. Bevor die Touristen eintreten dürfen, knotet er sorgfältig die Löcher in den Moskitonetzen zu und kontrolliert die Toilettenspülung.

„Wohin wollen wir fahren?“, sagt er zu der blonden Frau in der kühlen Hotelhalle. Er kennt sie. Schon seit zwei Jahren.

Dreimal war sie in Sri Lanka – mit einem Mann. Immer sind sie mit Patrick gereist. Beim letzten Mal, im Mai 1980, es war eine besonders heiße Nacht in einer Holzhütte an der Küste bei Nilaveli gab es einen hässlichen Streit, an dessen Ende der Mann plötzlich die Hand an ihrer Gurgel hatte. Das war das Ende der Beziehung. Als sie später in Patricks Armen liegt, sagt sie ihm, dass sie ihn liebt, und zwar schon lange. Sie gibt ihm Geld, damit er sie anruft in Berlin, 9000 Kilometer weit weg von Colombo. Patrick ruft nicht an, und wenn sie versucht, ihn zu erreichen, ist er unterwegs. Gefallen hat sie ihm schon – aber wohin sollte so eine Verbindung führen?

Die Frau arbeitet in Berlin als leitende Beamtin, sie kann planen, organisieren, entscheiden. Auf eine eigenartige Weise ist sie Realistin. Sie weiß, dass auch die Liebe ihren Preis hat. Nicht dass man sie erkaufen kann. Das nicht. Aber man muss sie sich leisten können. Die Frau ist bereit, den vollen Preis für die 9000-Kilometer-Liebe zu zahlen. Die Sehnsucht, die ständigen Abschiede, die teuren Flüge und Telefonate. Sie weiß, dass, wenn es ganz ernst wird, noch mehr auf sie zukommt als das. Die völlige Verantwortung für seine Existenz – und für die seiner getrennten Frau, Mutter seiner vier Kinder, für die zu sorgen, er verpflichtet ist.

Als die deutsche Frau vor ihm steht, im Hotel Intercontinental, ahnt Patrick etwas von dieser Entschlossenheit. Und er lässt sich langsam ein auf diesen unerwarteten Beginn eines zweiten Lebens. Ein Leben, das im Sommer 2002 in Deutschland enden wird, auf dem Friedhof „In den Kisseln“ in Spandau.

Zehn Jahre lang reist Patrick einmal im Jahr für drei Monate nach Berlin-Wilmersdorf, zweimal im Jahr verbringt die deutsche Frau ihren Urlaub in Sri Lanka. Ein ständiges Pendeln zwischen den Kulturen, zwischen Curry und Kohlrouladen, Teeplantagen und KaDeWe. Die Frau muss viel arbeiten, am Wochenende bringt sie oft Akten mit nach Haus. Patrick erkundet auf Spaziergängen die Umgebung, und ist erstaunlicherweise von nichts besonders erstaunt. Er weiß von der Macht des Geldes in der westlichen Welt, er hat seinen Touristen gut zugehört, er versucht gar nicht erst, die deutschen Preise in indische Rupien umzurechnen.

Das Wetter begeistert ihn: Tropische Hitze hat er lange genug ertragen. Auf einer Reise zur Zugspitze stapft er durch seinen ersten Schnee. Er kauft Grapefruits auf dem Winterfeldtmarkt ein, er putzt, er bügelt, er näht. Und wenn sie abends zu spät noch im Büro sitzt, ruft er an und fragt mit feiner Ironie: „Soll ich dir dein Bett vorbeibringen, Darling?“

Ihre gemeinsame Sprache ist Englisch, und so bleibt es die ganzen Jahre, auch wenn er manchmal nachts mit der deutschen Grammatik am Küchentisch sitzt. Doch die Sprache ist nicht so wichtig, die Zeit zu kostbar. Deutschland, das ist das Land der Frau, er ist ihretwegen hier, der Liebe wegen, er muss in diesem Land nicht mehr meterlange Wurzeln schlagen. Das ändert sich auch nicht, als sie 1990 heiraten und er mit 60 Jahren ganz nach Berlin zieht.

Alle zwei Jahre besuchen sie gemeinsam seine Kinder in Sri Lanka. „Wir können auch öfter fahren, wenn du magst“, sagt seine Frau. Doch Patrick schüttelt den Kopf. Er ist zufrieden. Am liebsten sitzt er in seinen letzten Lebensjahren auf dem Balkon der neuen Wohnung in der Spandauer Wasserstadt und schaut auf die Havel, während sie ihm Königsberger Klopse oder Hühnerfrikassee kocht – natürlich mit Kartoffeln und nicht mit Reis.

Patrick, der Fahrer, lenkte kein Auto mehr durch Berlin. Wenn sie unterwegs waren, saß immer die Frau am Steuer. Nicht etwa, weil es in Deutschland Verkehrsregeln gab und keinen Linksverkehr. Er fand nur einfach, er sei weit genug gefahren in seinem Leben, und hielt lieber ihre Hand.

Kirsten Wenzel

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