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Wirtschaft: Geb. 1942

Edelgard Stuhl

Edelgard Stuhl

Er sitzt ganz vorn auf dem Sofa neben der Enkeltochter mit dem metallgeschmückten Nabel unterm T-Shirt-Rand. Holste dem Opa mal ’n Bier, meine Süße, sagt er, und: Was woll’n se denn nun wissen von meiner Edelgard?

Dünn sagt er, war sie, genau wie das Enkelkind, nur Haut und Knochen, so ’ne Zierliche, Feine eben. Veranlagung war das, sagt er, sie konnte essen, was sie wollte, viel mehr als er, drei Teller mit Kartoffeln und Fleisch, und Größe 36 schlabberte immer noch. Und lieb war sie, jede wilde Katze musste sie füttern, sonst brach ihr das Herz, der Tierschutzbund kannte sie persönlich, und in den ganzen 48 Ehejahren gab’s keinen einzigen richtigen Streit. Anschreien, das mochte sie überhaupt nicht, da lenkte sie lieber ein. Ab und an ließ sie ihn für eine Weile schmoren, wenn er nach der Arbeit wieder mal die Zeit in der Kneipe vergessen hatte, schwieg mit starrem Blick ihren Ärger aus. Aber mehr als eine halbe Stunde schaffte sie nie. Dafür schenkte er ihr jede Woche Blumen, da hatte sie ein Recht drauf, gewohnheitsmäßig, den Strauß mit Rosen oder einen neuen Ficus für die Fensterbank, das war nun mal Pflicht.

Als sie jung waren, da lief er für sie zu Fuß von Kreuzberg nach Rudow, kleine Stundenmärsche, um das Fahrgeld zu sparen. Er wollte sie doch ausführen, zum Tanzen in die Reuter-Terrassen in Britz, da musste etwas Bares in der Tasche sein. Er bestellte dann für sich ein Pils und einen Wodka, für sie Selters und Escorial grün, Kräuterlikör, 56 Prozent, den konnte man so schön anzünden. Schließlich ging es auf die noch menschenleere Tanzfläche, sie zog ihn an der Hand, auch wenn’s ihm erstmal peinlich war. Sie tanzten den Rock’n’Roll mit allem, was dazu gehört, mit Überschmeißen und Durch-die-Beine-Ziehen.

Als sie 15 war und er gerade 16, trafen sie sich auf dem Blütenfest in Britz. Sie hielt ihren kleinen Neffen an der Hand, er saß im Kassiererhäuschen vom Kinderkarussell und reichte ihr das Billett. Auf dem Rummel sieht man vieles und viele, sagt er, aber sie war was Besonderes, unerklärlich, wie so etwas nun mal ist – am Resultat erst erkennt man die Tragweite.

Eigentlich hatte er einen guten Job. Denn in Berlin, damals, Ende der fünfziger Jahre, war das ganze Jahr lang Rummel für das vergnügungssüchtige Volk. Das Geschäft mit dem kleinen Glück lief prächtig. Es gab das „Tivoli am Zoo“, den „Prater am Funkturm“, das „Frühlingsfest in der Neuen Welt“ in der Hasenheide, die „Tegeler Festwochen“, das Spandauer „Johannisfest“ und die „Steglitzer Heimatwoche“, das große „Oktoberfest“, das „deutsch-französische Freundschaftsfest“ und das „Deutsch-Amerikanische Volksfest“. Er musste gar nicht groß herumreisen, nur das Karussell alle zwei Wochen in einem anderen Bezirk wieder aufbauen. Aber erst um zehn Uhr abends nach Hause, das machte sie nicht lange mit, und dann der Alkohol und die vielen Mädchen auf dem Rummel, nein danke, wirklich nicht. Für sie hängte er seinen prima Job an den Nagel.

Und wurde Arbeitsbursche bei den Ozeanawerken und sie mit 19 Mutter, dann schnell die Heirat. Später verdiente sie als Datentypistin dazu, bei Kindl und bei Coca Cola. Es war eine gute Ehe, sagt er. Weggegangen sind sie aus Berlin, weil sie es sich wünschte, das Landkind aus Schwedt. Und immer haben sie zusammengehalten, auch als sie die Raten für das kleine Fertighaus nicht mehr zahlen konnten, dass sie sich in Schleswig-Hollstein gebaut hatten. Da suchten sie sich eben im Nachbarort etwas zur Miete, auch dort standen morgens im Garten die Rehe – obwohl vor dem Haus die laute Schnellstraße verlief. Und jeden Tag fuhr sie über 50 Kilometer nach Hamburg zur Arbeit. Bis es nicht mehr ging.

Die Enkelin erinnert sich: Oma stand in der Küche, machte uns Bananenmilch, und alle meinte, es geht ihr gut. Sie sagte ja auch: Es ist nichts, was habt ihr denn? Dabei war ihr Körper voller Narben, von all den Operationen. Krankheit, das war ein ständiger Begleiter, einer, über den sie nicht sprechen mochte. Mit 23 hatte sie zum ersten Mal Brustkrebs, später war es die Galle, die Gebärmutter, der Darm, zum Schluss die Nieren. Man wurde nicht schlau aus ihr, sagt ihr Mann, drei Tage lag sie im Koma, und zwei Tage später schob sie schon wieder den Staubsauger durch die Wohnung. Das Leugnen gab ihr wohl auch Kraft.

Die letzten zwei Jahre ihres Lebens fuhr sie zur Dialyse, ohne viel Aufhebens, das normale Leben sollte immer weitergehen. Es war ja ein gutes Leben.

Zur Vorsicht blieb sie im Sommer mal im Krankenhaus, zum Abschied sagte sie: Vati, kannst du morgen wiederkommen? Ich bin müde, – und starb in der Nacht um eins.

Die Enkeltochter spart für Gesangsstunden und hofft auf „Deutschland sucht den Superstar“. Erst mal die Ausbildung als Fleischereifachverkäuferin, – aber in zehn Jahren, da bin ich in New York, ihr werdet sehen. Dann kaufe ich jedem von euch einen Mercedes, so wie Britney Spears. Schön, sagt der Opa, und dann: die Edelgard, die hatte ja auch Träume. Einen Tanzkurs wollte sie noch machen. Walzer, Foxtrott, Tango, richtig gut tanzen lernen. Aber irgendwie, er weiß auch nicht warum, ist dann doch nichts mehr draus geworden.

Kirsten Wenzel

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