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Wirtschaft: Geb. 1944

Michael Tost

„Betuddelt haben wir uns gegenseitig“, sagt der Bruder, „ein Leben lang“.

Sein Bruder? Ein Mann mit Manieren. Und immer Chef, meist in eigenen Läden, Restaurants am Ku’damm. Ja, der Mike. Der Heck aß bei ihm, Dieter Thomas, Roberto Blanco, Roland Kaiser, die ganze Hitparaden-Gang. Und wie der flambieren konnte. Nierchen! Ein As, ein Könner, Herr Tost sagt: „Eine Granate am Tisch!“ Doch niemals hätte er, Klemens Tost, das neulich zu ihm sagen dürfen! Niemals! Am Grab der Eltern standen sie, die Zwillinge, Friedhof am Olympiastadion, und – zack – lag dieser Satz im Sand: „Hier biste auch bald, Bruder!“ Mehr aus Jux, „na, was denn sonst, das sagt man so und meint es anders“, schwört Herr Tost und zählt sich deshalb immer wieder an.

Der „kleene Bruder“, zehn Minuten jünger, war gerade 58 und ahnte nichts von seinem schlimmen Magen. Dann diese Schmerzen eines Tages. Zu Fuß lief er ins Krankenhaus, ganz ohne Tasche, ohne Panik. Es war sein letzter Gang. Und einen Monat später – Sterbetag. „Es war ein Samstag“, sagt Herr Tost, WM lief, Deutschland. Noch wer, und er lagen auf der Couch: „Auf einmal, ehrlich, zog es da in meinem Herzen.“ Der kleine Bruder macht die Augen zu, nur ein paar Straßenzüge weiter.

Was war’s? Der Lebenswandel? Ein genetischer Defekt? Einfach alles war’s in diesen 58 Jahren, sagt der Bruder, der sich nun komisch fühlt, so halb nur und um seinen besten Freund beraubt. „Ich sag’s mal so: Verheiratet miteinander waren eigentlich wir.“ Nicht mit den Ehefrauen, bei Mike letztendlich drei. Bruderliebe eben, und richtig dicke Tinte, wie man so schön sagt. Vielleicht, weil es im Mutterleib schon anfing mit dem Aufeinanderglucken. Und auch das Leben später fast nur Kongruenz war, beim Essen, Trinken, Leben jeden Tag: der gleiche Schnaps, das gleiche Bier, und 1967 jeder eine Tochter. Alexandra und Jeanette.

Hotellerie, Gastronomie, das war die Leidenschaft der Brüder Tost, in Kindertagen schon. Was soll auch werden, wenn der Vater so erfolgreich und man selbst schon ganz früh eingebunden ist. „Fisch- und Feinkost Tost“, in der Reichsstraße, da kamen damals viele Promis hin. Die Knef, der Bubi Scholz, Viktor de Kowa und noch mehr.

Die erste Anstellung der Brüder Tost war gleich ein Knüller. 15 waren die Jungs und ganz schnell in der Zeitung. Das Hilton suchte ein Liftboy-Zwillingspärchen, 1959, „die Gäste sollten überrascht sein“, sagt Herr Tost. Wie zäh ein Page sein kann, nonstop zu Diensten, quasi ohne Pause, ohne Schlaf. Dabei waren es die beiden Brüder, die „Hilton-Zwillinge“, ein Blondschopf wie der andere, sie wechselten sich nur gegenseitig ab. Koch lernte Klemens dann und Kellner Mike, das Boxen bei Tennis Borussia gab nur Mike auf. Mit einem Veilchen ins Hotel? Um Gottes Willen, nein, die teure Kundschaft! Und das Renommee!

Dafür kam Mike den Promis nahe, den Pekinesen von der Callas führte er ums Eck, kassierte Trinkgeld, das sie nach Schichtschluss in Bierchen investierten. „Betuddelt haben wir uns gegenseitig“, sagt Herr Tost, „ein Leben lang“. Und alte Werte hochgehalten. Den Gast zu schätzen, auch wenn’s „nur“ der kleine Mann ist, ihm auch ein Schnäpschen zu spendieren und dessen Kindern eine Kugel Eis. Herr Tost sagt: So was gibt’s heut nicht mehr. Nur Läden à la Borchardts. Und Schnöselkellner, zickig und uncharmant. Er und sein Bruder waren da anders.

Und noch ein kleines Anderssein war Mike zu eigen. Dem „Schimmi“ sah er ähnlich, dem Götz George. Und war deshalb in einer Agentur gemeldet. Der Schnäuzer, die Pilotenbrille, das kam schon hin, „selbst so’ne Jacke hatte er am Ende immer an“.

Einen Brief hat Bruder Klemens dem Fortgegangenen ins Grab gelegt, weil was zu sagen war, was niemand anderes hören, sehen, lesen sollte. Ein Dank für all die netten Jahre, ein Versprechen auch: „Dein Grab, das wird’ ich immer pflegen!“ Zum Glück ist nicht nur Trauer allenthalben, man kann auch lachen, wie jetzt, wenn man darüber spricht und spürt: Der andere wird nie weg sein, da kann passieren, was will. Neulich, diese Sache mit dem Handy, das war so ein Moment, sagt Klemens Tost. Es klingelte bei ihm, auf seinem Display blinkte „MIKE“, am anderen Ende meldete sich die Schwägerin. Aber kurz, nur ganz kurz, hatte Klemens Tost diesen herrlich lebendigen Gedanken: „Wat will der denn?“ Judka Strittmatter

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