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Wirtschaft: Geb. 1944

Elke Hermes

Elke Hermes

Lang und schmal wie ein Schlauch zieht sich das Antiquariat Hermes an der Martin-Luther-Straße nach hinten. Das Licht ist schummerig, an den Wänden stapeln sich die Bücher bis unter die Decke.

Zu Elke Hermes ging man nicht nur, um Bücher zu kaufen. Viele kamen, um sich mitzuteilen. Die Buchhändlerin hatte ein offenes Ohr und Verständnis für die Sorgen aller Art. Für ein Schwätzchen ließ sie selbst kaufwillige Kunden warten. Sollte Kasimir, der Ladenhund, sie in der Zwischenzeit beschäftigen. Wenn der Rauhaardackel nicht im Laden umherlief, saß er in der kleinen Küche des Antiquariats auf einem Stuhl, die Vorderpfoten auf dem Tisch, und lauschte dem Gurgeln der Kaffeemaschine, das nur selten verstummte. Unter der Ladentheke gab es ein Regal, dessen Fächer mit den Bezirksnamen beschriftet waren. Rief Elke Hermes „Neukölln“, sprang der Dackel ins Neukölln-Fach. Und die Kunden staunten: Kann denn hier jeder lesen?

Ihre Tochter erinnert sich an den hohen Bücherturm im hinteren Raum, auf dem damals, als sie noch klein war, eine Matratze lag. Wenn sie leise waren, durften die Kinder mit einem Buch dort hinaufklettern.

Elke Hermes war ja selbst gern Kind gewesen auf dem Bauernhof ihrer Eltern in Norddeutschland. Eigentlich stand es gar nicht gut um den Hof. Viele Tiere starben, und der Vater verschwand 13 Jahre lang im Krankenhaus. Einem Kind muss das aber lange nicht die Kindheit verderben. Manchmal band die Mutter Elke mit einem langen Seil an einen Baum, sie konnte die Tochter ja nicht pausenlos beaufsichtigen. Elke fand das nicht schlimm, das Seil war doch lang genug.

Nach zehn Jahren war die Kindheit aber vorbei. Der Umzug in die Kleinstadt Schleswig muss ein Schock gewesen sein. Alles war so fremd, die Laternen, die Autos und die Kinder in der Schule. Ihre Rettung war Sylt. Mit 17 ging sie dorthin, um eine Buchhändlerlehre zu machen. Mit ihrer Chefin, einer resoluten Lesbe, und den vielen Touristen wurde es nie langweilig. Eines Tages fiel ihr ein Mann auf, der mit einem Fuß auf der Bordsteinkante und dem anderen auf der Straße lief. Rolf war Flieger bei der Bundeswehr, die Humpelei war einer seiner Späße.

Die erste gemeinsame Wohnung bezogen sie in Wedding. Elke war knapp über zwanzig, Mutter und Ehefrau. Und träumte davon, selbst arbeiten zu gehen. Aber Rolf, inzwischen Sicherheitsbeauftragter einer Gabelstaplerfirma, fand es ganz gut, dass die Frau zu Hause blieb. Nach zwei Jahren Hausfrauendaseins behauptete Elke, es gäbe da ein Jobangebot vom Fischer Verlag in Frankfurt. Rolf glaubte das und schlug ihr erschrocken vor, sich doch lieber in Berlin eine Arbeit zu suchen. Für die Tochter würde er schon eine Betreuung finden. Rolf entdeckte in der Nähe einen dieser alternativen Kinderläden. Als erstes fragte ihn dort ein anderer Vater: „Ich bin Marxist, und was bist du?“ – „Militarist“, meinte Rolf. Den Platz bekam er trotzdem.

Während ihr Mann nun die alternative Szene für sich entdeckte, machte Elke ihr Abitur und studierte Jura. Als sie 1977 das Angebot bekam, das Antiquariat in Schöneberg zu übernehmen, griff sie zu.

Bald wusste sie von jedem der 30000 Bücher, wo es herkam, wie viel es wert war, ob es noch neu zu kaufen war. Niemals schloss sie wegen Krankheit, das hätte sie sich nicht getraut. Länger als einen Tag verschlossen war die Ladentür nur zweimal im Jahr. Über Weihnachten, wenn Elke mit Anhang zur Mutter nach Schleswig fuhr, und im Sommer, da waren sie im Ferienhaus in Dänemark.

Dass sie trotz ihrer riesigen Neugierde fast immer dorthin fuhr, lag an ihrer Gründlichkeit. Nachdem sie mal zehn Tage durch Ägypten gereist war, brauchte sie fast zehn Jahre, um das Thema Ägypten aufzuarbeiten.

Ab und zu kam in ihr das Kind zum Vorschein, das auf dem Bauernhof mit allem gespielt hatte, was die Natur so hergab. Auf Spaziergängen stopfte sie dann die Taschen ihrer Jacke mit Steinchen, Stöcken, Samen und Blättern voll. Zu Hause drapierte sie liebevoll kleine Blüten in winzige Vasen und Steinchen in Döschen.

Genau zwei Jahre nach Rolfs Tod bekam sie im selben Krankenhaus die gleiche Diagnose wie ihr Mann: Krebs.

Karolin Steinke

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