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Wirtschaft: Geb. 1956

Frank Suplie

Dass etwas, das ganz hinten ist, plötzlich sehr weit vorn sein kann, wusste er vom Meer. Warum nicht auch der „Vorwärts“?

Sechs Stunden braucht das Meer für den Hinweg, sechs Stunden braucht es, um wieder zu gehen. Das Zeitmaß des Wassers kannte Frank Suplie, seit er ein Kind war. Er fand es überzeugend. Später lernte er, dass es noch andere Zeitmaße gibt. Gerade in seinem Beruf. Aber das hat ihn nicht beunruhigt. Frank Suplie war Journalist.

„Suplie…“ Längere Pause. „Frank, bist du noch dran?“ – Telefonieren mit dem Chefredakteur des „Vorwärts“. Da musste man lange Ebben in der Leitung aushalten können, sagt Susanne Dohrn. Selbst in der „Vorwärts“-Redaktion neben dem Willy-Brandt- Haus in Berlin, hörte Frank Suplie sich an, als säße er gerade in seinem Haus in Seester hinterm Deich. Suplie hatte Susanne Dohrn zum „Vorwärts“ geholt, jetzt ist sie die Chefredakteurin, Suplies Nachfolgerin. Er hat, sagt sie, nie viel geredet. Er liebte die Nordsee für ihre Schweigsamkeit. Ein Luxus, den unsere Zeit zwar noch für Meere vorsieht, für Chefredakteure aber nicht unbedingt.

Der Wirt eines Berliner Restaurants hatte seine Stimme noch auf dem Anrufbeantworter, da war Frank Suplie schon tot. Er hatte einen Tisch bestellt – für den Tag nach seinem Unfall. Es sollte ein wichtiges Gespräch werden, eins das über Frank Suplies Zukunft entschieden hätte. Über sein Leben nach dem „Vorwärts“.

Denn einmal muss Frank Suplie doch zu schnell gewesen sein. Jedenfalls für den Geschmack seiner Genossen. Da wollten sie ihn, der seit vielen Jahren Chefredakteur und Verlagsgeschäftsführer ihrer sozialdemokratischen Traditionszeitung war, nicht mehr. Von einem Tag auf den anderen. Von einer Stunde auf die andere. Auch für Menschen mit anderen Zeitmaßen wäre das ein Zeitschock gewesen.

Susanne Dohrn und Frank Suplie kannten sich lange. Als Kinder wohnten sie nur zehn Kilometer voneinander entfernt, aber sie sind sich dort nie begegnet. Erst bei der Pinneberger Zeitung trafen sie sich – zwei freie Journalisten. Sie ging hinaus, dokumentierte die Ankunft des Finanzministers Stoltenberg in Uetersen oder das Erntedankfest in Borstel-Hohenraden; er kümmerte sich um die Produktion der Zeitung. Ein Blattmacher. Beim Blattmachen muss man nicht so viel reden wie auf Erntedankfesten. Wie sozialdemokratisch Frank Suplie damals schon war, weiß Susanne Dohrn nicht, aber bei der Pinneberger Zeitung waren sie ja alle irgendwie links. Irgendwann waren Susanne Dohrn die Erntedankfeste in Borstel-Hohenraden egal, und auch Frank Suplie ahnte, dass es größere Blattmacher-Herausforderungen geben müsse als die Pinneberger Zeitung.

Wenn zum Beispiel eine Zeitung den Titel „Vorwärts“ trägt, aber längst aussieht, als müsse sie „Rückwärts“ oder wenigstens „Der Stillstand“ heißen – dann ist das so eine Herausforderung. Frank Suplie war ja nie unempfindlich für Dynamik. Dass etwas, das ganz hinten ist, plötzlich sehr weit vorn sein kann, wusste er vom Meer. Warum nicht auch der „Vorwärts“? Frank Suplie glaubte an diese Bewegungsform. Leser-Ebbe? Anzeigen-Ebbe? Frank Suplie organisierte die Flut. Er krempelte den „Vorwärts“ um, die 1876 gegründete Zeitung der deutschen Sozialdemokratie.

Susanne Dohrn und Frank Suplie hatten sich längst aus den Augen verloren, da rief er plötzlich wieder an. Er brauche sie, wenn das mit dem „Vorwärts“ wirklich vorwärts gehen solle. Es ging. Denn ein Organisator der Flut ist etwas ganz anderes als ein Wellenmacher. Ein Wellenmacher, ein großer Kommunikator war aus Frank Suplie auch jetzt nicht geworden. Darum bemerkte nicht jeder, dass Frank Suplie da war, auch wenn er, was er selten tat, für seine Zeitung schrieb. Suplies letzter großer Beitrag im „Vorwärts“ war eine Reportage über Kaliningrad. Susanne Dohrn mochte seine Art zu schreiben. Bei ihm wusste sie wieder, dass Journalismus nicht nur mit Schnelligkeit zu tun hat, sondern ebenso mit Geduld, mit Warten-Können, mit Sehen-Können.

Wenn auch nicht jeder die Anwesenheit eines stillen Menschen bemerkt – seine Abwesenheit bemerkte jeder.

Suplie musste sich nicht nur um den „Vorwärts“ kümmern, der Vorwärts-Verlag verfügt außerdem über solche, dem öffentlichen Bewusstsein weitgehend entzogene Drucksachen wie die „Demokratische Gemeinde“, die „führende kommunalpolitische Zeitschrift Deutschlands“ (SPD-Selbstaussage), Auflage 10 000. Als Pragmatiker überlegte Frank Suplie im letzten Frühjahr, wie man die irgendwie führende Zeitschrift noch viel führender machen könnte. Da fiel ihm die PDS ein. Die hat überhaupt keine kommunalpolitische Zeitschrift, und wenn man ihr nun ein paar von ihr selbst zu verantwortende Seiten abgäbe, könnte man dann nicht noch viel mehr Auflage…? Es war nur ein Gedanke, wie ihn hauptberufliche Flut-Organisatoren manchmal haben. Ein völlig unverbindlicher Gedanke und dann ein unverbindliches Gespräch. Aber es war zu viel für Frank Suplies Obergenossen.

Auf diesen Wechsel von Ebbe und Flut war das Nordseekind Suplie nicht vorbereitet. Seine Kollegen auch nicht. Keiner stand jetzt mehr morgens vor Susanne Dohrns Schreibtisch und erklärte, was es heißt, den Schwanz des Vogels abzustreifen. Seinetwegen sind sie mal alle zum Tai Chi gegangen, bei keinem hat die Entspannungstechnik so gewirkt wie bei ihm. Und „Mr. Vorwärts“ Knut Schumann, der alle „Vorwärts“-Chefredakteure seit 1956 und alle Relaunchs überlebte, wird nun in Bad Saarow ein Segelboot verkaufen. Es hatte ihm und Frank Suplie zusammen gehört. Schumann will das Boot nicht mehr betreten. Es heißt „Rosa L.“.

Im August stießen in der Nähe Berlins ein Auto und ein Motorrad zusammen. Der Motorradfahrer Frank Suplie war sofort tot. Kerstin Decker

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