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Gedenken. Jedes Jahr am 6. August erinnern Einwohner und Touristen in Hiroshima an den Atombombenabwurf im Jahr 1945.

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Gedenktourismus: Hiroshima lockt mehr als Nagasaki

Vor 69 Jahren fielen die Atombomben. Nun buhlen die japanischen Städte um Touristen, die Erinnerung und Grusel suchen.

Von Felix Lill

Im Peace Memorial Museum reicht die Schlange bis auf den Vorplatz. Es sind Japaner, Nordamerikaner, Europäer und Australier. Gelacht oder laut gesprochen wird hier nicht. Die Wartenden haben offenbar Respekt vor dem, was sie drinnen erwartet: verschiedene Atomwaffen, persönliche Schicksale und Modelle der Stadt vor und nach der Explosion.

Es sind viele Leute da. Obwohl Hiroshima den wichtigsten Tag des Jahres gerade erst hinter sich hat. An jedem 6. August schaut die ganze Welt auf die westjapanische Millionenstadt, die eine US-Atombombe an diesem Tag im Jahr 1945 in Schutt und Asche legte. Um 8.15 Uhr morgens explodierte 600 Meter über den Dächern der Gebäude „Little Boy“, abgeworfen vom 30-jährigen Air-Force-Piloten Paul Tibbets. 100 000 Japaner starben sofort, kurz darauf hatte sich die Zahl der Toten verdoppelt. Drei Tage später, am 9. August, ließen die USA auch über Nagasaki eine Atombombe fallen. Eine knappe Woche später kapitulierte Japan bedingungslos. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende.

Aus den Trümmerwüsten wurden moderne Großstädte

Heute, 69 Jahre später, würde ein Unwissender nicht erkennen, dass Hiroshima und Nagasaki einmal im Handumdrehen praktisch ausgelöscht worden sind: Hochhäuser, Parks, öffentlicher Verkehr, viele Menschen – beides sind heute moderne Großstädte. Trotz des gemeinsamen Schicksals betreiben beide die Vergangenheitsbewältigung höchst unterschiedlich. Hiroshima ist weltweit viel bekannter ist für seine Friedensbewegung um die Abschaffung nuklearer Waffen. Auch die jährliche Friedenszeremonie am Morgen des 6. August erfreut sich stärkerer internationaler Berichterstattung. Folglich kommen historisch interessierte Touristen auch eher nach Hiroshima als nach Nagasaki.

Bunt. In Erinnerung an die Opfer der Atombombenexplosion 1945 schwimmen hunderte Laternen im Fluss Motoyasu in Hiroshima. Foto: dpa
Bunt. In Erinnerung an die Opfer der Atombombenexplosion 1945 schwimmen hunderte Laternen im Fluss Motoyasu in Hiroshima. Foto: dpa

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Zwar unterscheiden sich die beiden Städte in absoluten Besucherzahlen nicht sonderlich. Allerdings gibt in Hiroshima ein Drittel an, aus historischen Gründen zu kommen, während dies in Nagasaki nur ein Fünftel tut. Die lokale Wirtschaftskraft Hiroshimas speist sich zu 2,3 Prozent aus Tourismus, knapp doppelt so viel wie im japanischen Durchschnitt. Das Peace Memorial Museum in Hiroshima zieht kommen jedes Jahr 1,3 Millionen Besucher, das Äquivalent in Nagasaki weniger als eine Million an. Auch die beiden Friedenszeremonien bestätigen dieses Bild: In Hiroshima kamen letztes Jahr rund 30 000 Gäste, in Nagasaki, wo am heutigen Samstag erinnert wird, waren es 2013 rund 6000.

"Atomic Bomb Dome" als Wettbewerbsvorteil

Warum dieser Unterschied? „Der wichtigste Grund ist wohl, dass die Bombe als erstes auf Hiroshima fiel“, sagt Norio Shiotani vom Tourismusbüro der Stadt. Hinzu kommt der bekannte „Atomic Bomb Dome“, einst das Gebäude der Handelskammer, dessen Grundmauern die Bombenexplosion wie durch ein Wunder überstanden. Die Ruine mit dem zerstörten Kuppeldach dient der Stadt heute als Symbol für die Vergangenheit und ist Unesco-Weltkulturerbe. Nagasaki hat diese Ehre zumindest in Bezug auf die Atombombe nicht.

Aber es sind nicht nur rein historisch interessierte Besucher, die es nach Hiroshima zieht. Dort sitzt auch die Initiative „Mayors for Peace“, durch die sich die Bürgermeister mehrerer Städte der Welt für die Abschaffung von Atomwaffen einsetzen. Den Vorsitz hat der Bürgermeister Hiroshimas inne. Nagasakis oberster Bürger ist hingegen nur einer von mehreren Vizechefs. „Das heißt, dass auch viele Menschen zu uns kommen, die nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern auch die Zukunft formen wollen“, sagt Shiotani. Diese Mischung macht den Tourismus zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Das Geld, das die Besucher in Hiroshima lassen, fließt auch in Souvenirs wie Postkarten und T-Shirts.

Die meisten Besucher in Hiroshima kommen aus dem Westen

Dass die Geschichte der Stadt dadurch zur Ware verkommen ist, wie einige Friedensaktivisten Hiroshimas kritisieren, findet Shiotani nicht. „Die Botschaft der Stadt ist die Verbreitung von Frieden. Das ist nur positiv.“ Unabhängig von der moralischen Bewertung geht die Strategie wirtschaftlich betrachtet offenbar auf. In den vergangenen Jahren sind die Besucherzahlen in Hiroshima gestiegen.

Ihr Potenzial hat aber auch Hiroshima noch nicht ausgeschöpft. „Die meisten ausländischen Besucher stammen aus westlichen Ländern. Aus Asien kommt kaum jemand“, sagt Randy Summers, der für die außenwirtschaftlichen Beziehungen der Stadt verantwortlich ist. Dafür gibt es Gründe. Japans Rolle im Zweiten Weltkrieg, als es China, Korea und mehrere südostasiatische Länder kolonisierte und deren Einwohner für alle möglichen militärischen Zwecke missbrauchte, wurde kaum aufgearbeitet. Die Beziehungen sind daher angespannt.

So wird auch in Hiroshimas Peace Memorial Park, ähnlich wie in Nagasaki, vor allem das Leiden der Japaner in der Stadt betont. Dass auch Koreaner, Chinesen und westliche Kriegsgefangene durch die Atombombe starben, und wie es dazu kommen konnte, ist selbst in den Museen kaum erwähnt. „Unsere Marketingstrategie orientiert sich an den unterschiedlichen Interessen in verschiedenen Ländern“, sagt Norio Shiotani.

Für die westliche Reiseindustrie rücken Hiroshimas Touristiker die Geschichte um „Little Boy“ in den Vordergrund. Bei der asiatischen Kundschaft versuchen sie es mit dem jahrhundertealten Schrein von Miyajima, der außerhalb der Stadt auf dem Wasser schwebt und als eine der schönsten Sehenswürdigkeiten Japans gilt. Holländische und portugiesische Einflüsse aus vergangenen Jahrhunderten sind in der städtischen Architektur unübersehbar. Aber: Würden Japan, Hiroshima und Nagasaki auch die dunklen Seiten der japanischen Kriegsvergangenheit besser aufarbeiten, könnten sie wohl mit mehr Touristen rechnen. Seit Jahren steigen in Japan die Besucherzahlen aus Asien. Hiroshima und Nagasaki bleiben die Massen bisher fern.

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