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Wirtschaft: Gefahr für Leib und Leben

Kritik am Subventionsabbau von Koch/Steinbrück: „Wirres Durcheinander“ und „fachlich schlampig“

Von Antje Sirleschtov

Berlin . Der rot-grünen Regierungskoalition ist ein wichtiger Baustein im Bundeshaushalt 2004 weggebrochen. Rund 1,2 Milliarden Euro müssen in den nächsten Wochen an anderer Stelle im Etat gestrichen oder durch neue Schulden finanziert werden, weil die Vorschläge der Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) zum Subventionsabbau (siehe Lexikon auf dieser Seite) nach der „Rasenmähermethode“ offenbar in der Praxis nicht umgesetzt werden können. Das mehr als 50 Seiten umfassende Konzept der Länderchefs aus Hessen und Nordrhein-Westfalen sei in weiten Teilen „fachlich so schlampig“, sagte die Grünen-Haushälterin Franziska Eichstädt-Bohlig dem Tagesspiegel, dass es zum Abbau von staatlichen Subventionen „nicht geeignet“ sei. Und auch in Unionskreisen hieß es, Koch/Steinbrück habe sich zwar als Modell „als brauchbar erwiesen“, im Detail sei es jedoch „höchst fragwürdig“.

Folgenschwer ist das nicht nur, weil die Regierungskoalition Anfang nächster Woche neue Sparbeschlüsse fassen muss, die möglicherweise zu neuen Investitionskürzungen oder noch mehr Schulden führen. Auch die gemeinsame Hoffnung von Regierung und Opposition, mit dem Modell Koch/Steinbrück einen Konsensweg zum Abbau von Subventionen im Rahmen des jetzt beginnenden Vermittlungsausschusses gefunden zu haben, schwindet nun.

Mehrere Monate hatten die Regierungen in Wiesbaden und Düsseldorf unter strengster Geheimhaltung an dem Papier gearbeitet, bevor es die beiden Länderchefs Anfang Oktober vorstellten. Um drei mal vier Prozent sollten die in langen Tabellen aufgelisteten Einzelsubventionen ab 2004 abgebaut und damit die Haushalte bis 2006 um insgesamt 15,8 Milliarden Euro entlastet werden. Statt parteipolitischer Blockade bei jedem Versuch, einzelne Subventionen, wie etwa die Eigenheimzulage, abzubauen, erschien vielen Koch/Steinbrück als Muster für eine Konsensstrategie. „Eine sehr gute Basis“ und „die Richtung stimmt“, lobten CSU-Chef Edmund Stoiber und CDU-Chefin Angela Merkel die parteiübergreifenden Pläne. Und Finanzminister Hans Eichel (SPD) nannte das Koch-Steinbrück-Konzept eine „gute Grundlage für einen Subventionsabbau auf allen staatlichen Ebenen“.

Ende Oktober startete Eichels Staatssekretär für Haushaltsfragen, Manfred Overhaus, im Bund den ersten Versuch. „...bitte ich Sie, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Liste (von Koch/Steinbrück) zu prüfen“, schrieb er am 27. Oktober in einem Eilvermerk an alle Bundesministerien. Nur drei Tage Zeit gab Overhaus den Bundesbeamten, ihm konkrete Vorschläge für Kürzung nach dem Koch-Steinbrück-Tabellarium zu machen.

Doch so lange brauchten die Ressorts überhaupt nicht, um, wie es Eichstädt-Bohlig heute nennt, „den Fake aus Düsseldorf und Wiesbaden“ zu identifizieren. „...kann ich den Vorschlägen nicht folgen“, schrieb etwa das Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerium sofort an Overhaus zurück. Und Manfred Stolpes Haushaltsstrategen im Verkehrsressort erkannten sogar, dass „zahlreiche (von Koch/Steinbrück) zur Kürzung vorgeschlagenen Subventionen in der Zwischenzeit ganz weggefallen sind“.

Ob es die Förderung für sozialen Wohnraum, die landwirtschaftliche Sozialpolitik oder die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur ist: Überall haben die Beamten und Haushälter von Koalition und Opposition Kürzungsvorschläge für Subventionen entdeckt, die entweder nicht oder nicht mehr in dem Umfang vorhanden sind, gesetzlich fixierte Ausgaben betreffen, die nicht gekürzt werden können oder aber durch langfristige Verträge gebunden sind. Zum Teil, so der Befund der Ministerien, hätten Koch/Steinbrück sogar bei Erhaltungsinvestitionen in bundeseigene Anlagen Kürzungen empfohlen, wo Gefahr für Leib und Leben befürchtet werden muss. Nicht nur ein „wirres Durcheinander“ von echten Subventionen, Investitionen und der schlichten Verwechslung von Pflichtaufgaben des Staates mit entbehrlichen Zuschüssen wollen Beamte und Haushälter beim Studium der Tabellen erkannt haben. Zum Teil suggeriere das Papier sogar kurzfristige Einsparungen, die wegen vertraglicher Bindungen frühestens in sieben Jahren zu erreichen seien. „Die haben einfach Baransätze mit Verpflichtungsermächtigungen verwechselt“, heißt es im Finanzministerium. Vor allem aber sei das Datenmaterial von Koch/Steinbrück aus dem Jahre 2000 und damit hoffnungslos veraltet.

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