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Bauarbeiter im Osten verdienen im Schnitt 9,50 Euro.

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Gehaltsunterschiede in Ost und West: "Die Menschen kommen nicht zurück"

Der Osten zahlt noch immer schlechter als der Westen. Darum fehlen die dringend benötigten Fachkräfte. Dabei kann man die Bezahlung im Osten nicht pauschal als schlecht bezeichnen.

Auch 21 Jahre nach der Wiedervereinigung hinkt der Osten, was die Bezahlung von Arbeitnehmern angeht, noch hinter dem Westen her. In den fünf neuen Bundesländern liegen die Löhne durchschnittlich 17 Prozent unter denen im Westen, hat die Hans-Böckler-Stiftung jüngst errechnet. Laut Gerhard Bosch, Chef des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen, wird in den neuen Bundesländern im Schnitt nur ein Lohn von rund elf Euro pro Stunde bezahlt, während es in den alten fast 15 Euro sind.

Dabei kann man die Bezahlung im Osten nicht pauschal als schlecht bezeichnen. Je nach Branche und Qualifikationsniveau gibt es beträchtliche Unterschiede. Und angesichts des Fachkräftemangels in vielen Bereichen werden Appelle für die Angleichung an das Westniveau lauter. Denn während niedrigere Löhne für die Betriebe im Osten lange ein Wettbewerbsvorteil waren, da sie ihre Leistungen billiger anbieten konnten, entpuppt sich dies in Zeiten des demografischen Wandels als Nachteil bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern.

„Dort, wo Tarifverträge im Osten gelten, konnte eine weitgehende Annäherung an das Westniveau erreicht werden“, sagt Claus Matecki, DGB-Vorstandsmitglied. Das betrifft vor allem große Unternehmen, die für den Weltmarkt produzieren. Das Problem: In der ehemaligen DDR gibt es nur wenige solcher Unternehmen. Den größten Teil der ostdeutschen Wirtschaftslandschaft machen kleine und mittlere Unternehmen aus, die selten nach Tarif und damit niedrigere Löhne zahlen. Darüber hinaus ist die Branchenstruktur im Osten eine andere als in den alten Bundesländern. „In Ostdeutschland gibt es relativ viele Arbeitsplätze in Branchen, die vergleichsweise wenig zahlen“, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaft in Berlin (DIW). Dazu zählt er zum Beispiel einfache Dienstleistungen oder die Gastronomie. Unternehmen aus Branchen, die besser bezahlen, wie der Bankensektor oder die Industrie seien dagegen viel seltener als im Westen Deutschlands. „Es fehlen die großen Banken, die großen Softwarehäuser und damit die höherwertigen Arbeitsplätze“, sagt Brenke.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie die niedrigen Löhne in den neuen Bundesländern auch für die Unternehmen zum Problem werden.

Vor allem im Dienstleistungsbereich können viele Ostdeutsche von ihrem Einkommen nicht leben. In der Pflegebranche verdienen die Angestellten im Schnitt 7,50 Euro.
Vor allem im Dienstleistungsbereich können viele Ostdeutsche von ihrem Einkommen nicht leben. In der Pflegebranche verdienen die Angestellten im Schnitt 7,50 Euro.

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Nur etwa die Hälfte der Betriebe in den neuen Bundesländern ist an einen Branchen-, Flächen- oder Haustarifvertrag gebunden. Bei den anderen gibt es bei der Bezahlung kaum Grenzen nach unten. 2007 arbeitete laut DIW fast ein Viertel der Beschäftigten für einen Stundenlohn von weniger als 7,18 Euro. Das ist die Niedriglohnschwelle im Osten. Am wenigsten verdienen die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern: „Die Löhne liegen hier im Durchschnitt bei nur rund 76 Prozent des Bundesdurchschnitts“, sagt DGB-Mann Matecki. Manch eine Kellnerin an der Küste muss mit sechs Euro in der Stunde auskommen. Weil das Geld nicht reicht, müssen viele Menschen ihr Gehalt mit Hartz IV aufbessern. Laut Arbeitsagentur sind es im Osten rund 480 000 Erwerbstätige, die zusätzlich Arbeitslosengeld II bekommen.

Allmählich werden die niedrigen Löhne in den neuen Bundesländern aber auch für die Unternehmen zum Problem. „Wir befinden uns mittlerweile in einem Kampf um die besten Köpfe. Dabei konkurrieren die einzelnen Bundesländer miteinander“, sagt Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt (CDU). Da es Jahr für Jahr einen steigenden Fachkräftebedarf gebe, seien höhere Löhne im Osten notwendig, um die Menschen im Land zu halten oder abgewanderte Familien zurückzuholen. Haseloff hat deshalb schon vor einem Jahr noch als Wirtschaftsminister mit den industriellen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften eine „Gemeinsame Erklärung zur Stärkung der Tarifpartnerschaft im Land Sachsen-Anhalt“ verfasst. Darin rufen sie Arbeitgeber und Arbeitnehmer dazu auf, sich wieder stärker zu organisieren und ordentliche Tarifabschlüsse abzuschließen. Auch in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern haben laut DGB Gewerkschaften, Arbeitgeber und Landesregierungen ähnliche Appelle unterzeichnet, da der Personalmangel bereits überall spürbar ist. „Der Fachkräftemangel betrifft nicht nur den hochqualifizierten Bereich, sondern der demografische Effekt schlägt sich auch im niedrigqualifizierten Bereich nieder“, sagt Haseloff. „Wir müssen heute jeden mitnehmen."

Klaus Dörre von der Universität Jena hat allerdings Zweifel, ob solche Appelle etwas bringen. „Den Schalter jetzt wieder umzulegen, ist schwierig“, sagt der Soziologe und Arbeitsmarktexperte. Zu lange hätten die Betriebe zu wenig ausgebildet und gezahlt. „Die Menschen, die weggegangen sind, sind für den Osten verloren. Sie kommen nicht zurück“, glaubt er. Im Osten ticke eine „demografische Zeitbombe“.

CDU-Ministerpräsident Haseloff sieht die Sache optimistischer. „In den letzten zwei Jahren sind, nicht zuletzt durch unsere Anstrengungen, 3000 Familien aus dem Westen zurück nach Sachsen-Anhalt gekehrt“, sagt er. Die Angleichung der Löhne in Ost und West ist für ihn eine Sache, die noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird, aber deren Ende absehbar ist. „2019 geht der durch den Solidarpakt gestützte Aufholprozess zu Ende. Dann wird auch das Lohnniveau besser vergleichbar sein“, sagt Haseloff. Gleiche Löhne werde es aber nie geben. Bei der Bezahlung werden immer regionale Unterschiede bestehen, ist sich der Ministerpräsident sicher: „Die gibt es auch zwischen Schleswig-Holstein und Bayern.“

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