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Wirtschaft: Gewerkschaften warnen vor Fachkräftemangel Unternehmen und Staat sollten mehr und besser ausbilden

Berlin (brö). Eine Woche vor dem Start des neuen Ausbildungsjahres haben die Gewerkschaften den Arbeitgebern vorgeworfen, die Bewältigung der Lehrstellenkrise auf den Staat und auf die Sozialversicherung abzuschieben.

Berlin (brö). Eine Woche vor dem Start des neuen Ausbildungsjahres haben die Gewerkschaften den Arbeitgebern vorgeworfen, die Bewältigung der Lehrstellenkrise auf den Staat und auf die Sozialversicherung abzuschieben. Zudem seien die berufsvorbereitenden Maßnahmen von Ländern und Arbeitsämtern, die unvermittelten Lehrstellensuchern ersatzweise angeboten werden, ineffektiv. Sollten erneut Tausende Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden, drohe in einigen Jahren ein Fachkräftemangel, warnt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).

Ende Juli waren laut Bundesanstalt für Arbeit (BA) noch 231 200 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz – bei nur 83 500 offenen Stellen in den Betrieben und Verwaltungen. Damit fehlen derzeit 35 000 Lehrplätze mehr als im vergangenen Jahr. Die BA erwartet, dass die Lücke am Jahresende bei 50 000 bis 60 000 Lehrstellen liegen wird. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht von 20 000 bis 30 000 Stellen aus. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hat vor kurzem versprochen, jeder Jugendliche werde ein Angebot bekommen, „ob für einen Ausbildungs- oder einen Praktikumsplatz oder für eine berufsvorbereitende Maßnahme“. Schuld an der geringen Ausbildungsbereitschaft ist auch die Wirtschaftskrise. Erst wenn das Bruttoinlandsprodukt um mehr als zwei Prozent wachse, würden die Betriebe wieder mehr Lehrlinge einstellen, sagen Konjunkturforscher beim IW.

Sollte die Zahl der unversorgten jungen Leute tatsächlich die von der BA prognostizierte Marke erreichen, müssten die Arbeitsämter insgesamt rund 600 Millionen Euro dafür aufbringen, um Clements Zusage einzulösen – bei durchschnittlich 10 000 Euro je Maßnahme und Teilnehmer. In den Kursen werden Praktika angeboten und Bildungsdefizite von Jugendlichen ausgeglichen. Bereits im Jahr 2000 haben Bund und Länder rund elf Milliarden Euro in das Ausbildungssystem gesteckt, hat das Bundesinstitut für berufliche Bildung (BIBB) in Bonn ausgerechnet. Tendenz: steigend.

In Warteschleifen abgeschoben

Das stößt bei der IG Metall auf Kritik. „Bund und Länder müssen die Ausbildungsmisere ausbaden, weil die Unternehmen nicht genug tun“, sagt Klaus Heimann, Leiter des Bereichs Berufsbildungspolitik. Und dieses Problem wachse von Jahr zu Jahr. Die Jugendlichen, die sich in einem Jahr vergeblich um eine Stelle bemüht haben, bewerben sich im Folgejahr erneut. Dann aber haben sie es umso schwerer, weil sie mit den jüngeren Schulabgängern konkurrieren. Benachteiligte Jugendliche liefen Gefahr, in eine „Maßnahmenkarriere“ abgeschoben zu werden. Die Maßnahmen seien oft ineffektiv, bemängelt Volker Scharloswky, Bildungsexperte beim DGB. „Viele der Auffangmaßnahmen führen nicht dazu, dass die Chancen junger Leute auf eine Lehrstelle steigen.“ Unter Fachleuten gelten sie oft als Warteschleifen. Stattdessen sei eine zielgenaue Betreuung nötig, um die Defizite jedes einzelnen beheben zu können, sagt Scharlowsky.

Die geringe Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft könnte in einigen Jahren zu einem Fachkräftemangel führen, warnen die Gewerkschaften. „Langfristig werden wir ein Qualifikationsproblem bekommen, weil die Unternehmen nicht genug aus- und weiterbilden“, sagt Scharlowsky vom DGB. Derzeit bilden nur etwa 30 Prozent der deutschen Betriebe aus. Hinzu komme die Demographie, sagt Elisabeth Krekel, Abteilungsleiterin beim Bildungsinstitut BIBB. „Am Ende dieses Jahrzehnts wird es wahrscheinlich keinen Mangel an Lehrstellen, sondern einen Mangel an Bewerbern geben.“ Ein Personalengpass könnte die Volkswirtschaft vor große Probleme stellen. „Eine Strategie der Wirtschaft gegen diese Bedrohung hat aber noch niemand entwickelt“, gibt Reinhard Zedler, Leiter der Abteilung Bildungspolitik beim IW, zu.

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