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Wirtschaft: Globalisierung: "Kritik an der Globalisierung ist heuchlerisch"

Robert Litan ist Vizepräsident und Direktor des Economic Studies Program der angesehenen amerikanischen Denkfabrik "The Brookings Institution" in Washington. Er ist gelernter Ökonom und Anwalt und hat mehrere Bücher zur Globalisierung geschrieben.

Robert Litan ist Vizepräsident und Direktor des Economic Studies Program der angesehenen amerikanischen Denkfabrik "The Brookings Institution" in Washington. Er ist gelernter Ökonom und Anwalt und hat mehrere Bücher zur Globalisierung geschrieben. In der Regierung von Ex-Präsident Bill Clinton hat Litan als Spitzenbeamter die Finanz- und Kartellrechtspolitik wesentlich mit gestaltet.

Herr Litan, nach den Ausschreitungen in Genua kommen Zweifel am Sinn der G-8-Treffen auf. Was meinen Sie dazu?

Nichts kann die persönliche Kommunikation ersetzen. Bush und Putin etwa haben sich hervorragend verstanden. Ein solch gutes Verhältnis wäre über E-Mail oder diplomatische Kanäle nie zustande gekommen. Ich erwarte nicht, dass diese Treffen in Zukunft mehr Substanz bringen. Aber das ist auch nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist, weitergehende Konsultationen zu ermöglichen, und das sollte beibehalten werden.

Aber die Staatsoberhäupter könnten sich auch bilateral treffen.

Das tun sie ja auch. Aber es ist interessanter, wenn man mehrere unterschiedliche Meinungen hört. Treffen entwickeln eine andere Dynamik, wenn mehrere Leute teilnehmen.

Die Proteste gegen die Globalisierung treiben Tausende von Menschen auf die Straße. Wäre ein Mitspracherecht der Globalisierungsgegner nicht demokratischer?

Demokratische Gesellschaften funktionieren, indem wir Repräsentanten wählen, die für uns verhandeln. Wenn Globalisierungsgegner bei Verhandlungen mit am Tisch sitzen dürfen, warum dann nicht auch die Wirtschaft? Ich sehe keine Notwendigkeit dafür. Konsultationen von Regierungen mit Umweltgruppen, Gewerkschaften und Vertretern des Privatsektors finden natürlich statt. Beschlüsse sollten aber den Regierungen überlassen werden.

Wie sähe eine sinnvolle Reaktion auf die Angst der Globalisierungsgegner aus?

Das Problem ist, dass die Demonstranten eine so heterogene Gruppe bilden, dass es schwierig wird, alle Ängste anzusprechen. Einige Sorgen gegenüber der Globalisierung sind absolut verständlich. Ich denke, alle Industrienationen müssen den Arbeitern, die ihren Job verlieren, mehr Sicherheit bieten.

Welche Lösung würden Sie vorschlagen?

Ein System, das ich Lohnversicherung nenne. Menschen, die ihren Job verlieren und eine neue, schlechter bezahlte Stelle annehmen, sollten Teile der Einkommensdifferenz erstattet bekommen - aber erst, wenn sie tatsächlich einen neuen Job gefunden haben. Dadurch würde ein enormer Anreiz geschaffen, eine neue Stelle zu suchen.

Globalisierungsgegner kritisieren, dass Arbeiter in Industrienationen mit hohen Lebenshaltungskosten und Umweltstandards mit Arbeitern aus der Dritten Welt konkurrieren, die solche Standards nicht erfüllen.

Nach dieser Logik dürften wir nie mit armen Ländern Handel treiben. Die Globalisierungsgegner müssen begreifen, dass dies arme Länder in die permanente Armut schicken würde. Der einzige Weg, wie diese Länder je vorankommen, ist der Handel mit Industrienationen. Wir müssen Ihnen Zugang zu Technologie und Gütern gewähren. Wenn wir sie aber für ihre Armut bestrafen, werden sie sich niemals entwickeln. Daher ist es heuchlerisch, wenn wir die armen Länder dafür kritisieren, dass sie keine Umweltauflagen erfüllen.

Bleiben die Forderungen nach sozialen Standards also zu Recht ungehört?

Sie bleiben keineswegs ungehört. Die Handels-Agenda von Bush ist unter anderem deshalb in Schwierigkeiten, weil die Demokraten froh darüber waren, dass die Demonstranten ihre Proteste geäußert haben. Viele Demokraten wollen, dass künftige Handelsverträge Sozial- und Umweltstandards beinhalten. Das ist eine direkte Antwort auf die Sorgen der Leute, die auf der Straße protestieren. Ich glaube, die Globalisierungsgegner hatten auf das politische System in den USA einen enormen Einfluss. Sie haben sogar bewirkt, dass wir im Moment fast einen Stillstand haben, was Bushs Pläne angeht, die so genannte Fast-Track-Authority zu bekommen, die er für den Abschluss von Handelsverträgen braucht.

Welche Rolle spielt technischer Fortschritt für die Globalisierung?

Die Globalisierung ist durch Technik sehr vereinfacht worden. Selbst ihre Gegner könnten sich ohne das Internet nicht in solchen Massen auf der Strasse versammeln. Jedoch hat Technologie zerstörerische Kraft, die viel größer ist als die durch grenzüberschreitende Kapitalbewegungen oder Handel. Seit 200 Jahren ersetzt der technische Fortschritt Menschen durch Maschinen. Wenn das nicht so wäre, wären wir weniger produktiv, die Güter wären teurer und die Menschen weniger wohlhabend.

Dagegen scheinen die Demonstranten ja auch nichts zu haben.

Ich glaube, viele Demonstranten realisieren nicht, dass die Technik eine viel größere Rolle spielt als die Dinge, gegen die sie protestieren. Für sie ist es leichter, die Leute zu beschuldigen, welche die Globalisierung gestalten, als gegen das abstrakte Gebilde des technischen Fortschritts zu protestieren. Deswegen zerschlagen Demonstranten die Scheiben von McDonalds-Filialen oder andere Symbole des kapitalistischen Systems. Das ist ihre Suche nach einem Sündenbock.

Gibt es eine Alternative zur Globalisierung - einen Weg, die Entwicklung aufzuhalten?

Es gibt verschiedene Geschwindigkeiten für Globalisierung. Die eine ist volle Kraft voraus. Das ist die wahrscheinlichste Lösung - mit Straßenschlachten und Demonstrationen, aber auch mit technischem Fortschritt und zunehmender Integration aller Länder. Das muss aber nicht zwingend so sein. Die zweite Möglichkeit ist eine rückwärts gewandte Entwicklung. Sie könnte darin enden, das wir wieder Mauern aufbauen und sich die Länder misstrauen. Das wäre eine Tragödie, eine Welt, die Verdacht ausbrütet und Feindseligkeit, womöglich Krieg.

Gibt es einen Königsweg dazwischen?

Ich glaube, die moderaten Globalisierungsgegner wollen die Bewegung gar nicht stoppen, sondern sie verlangsamen und menschlicher machen. Das wäre der dritte Weg. Ich würde ihn befürworten - sofern Regierungen bessere Sicherheitsnetze etablieren, armen Ländern beim Kampf gegen Krankheiten und der Erfüllung von Umweltstandards helfen. Aber es gibt Leute, welche die Globalisierung allein aus ideologischen Gründen verlangsamen wollen. Sie denken, dass entweder Wachstum böse ist oder der Kapitalismus oder der Wandel.

Der starke Effekt des US-Abschwungs auf Europa hat viele Experten überrascht. Ist die Globalisierung bereits weiter fortgeschritten, als wir bisher angenommen haben?

Mich hat das nicht überrascht. Asien befand sich zur selben Zeit wie die USA in einem Abschwung. Was man nicht in die USA exportieren konnte, konnte man also auch nicht nach Asien exportieren. Zweitens war die Geldpolitik der EZB nicht so aggressiv wie die der US-Notenbank. Europa erholt sich nicht so schnell, weil es sich große Sorgen um die Inflation und den Euro macht.

Hätte die EZB aggressiver sein sollen?

Ich glaube, das Wachstum der europäischen Wirtschaft bleibt hinter seinem Potenzial zurück. Die EZB könnte Nachhilfestunden bei der amerikanischen Zentralbank nehmen. Denn die handelt sehr schnell. Die EZB sollte sich nicht so sehr um den Euro kümmern, sondern mehr um das Wachstum.

Herr Litan[nach den Ausschreitungen in Genua komm]

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