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Wirtschaft: Globalisierung läßt sich nicht stoppen

GENF .Zeitgenossen, die ihr reflexartiges Ressentiment gegen die zunehmende ökonomische Vernetzung der Welt schon für fundierte Kritik halten, kommt Renato Ruggieros Urteil über die vergangenen zwölf Monate sicher zu milde vor.

GENF .Zeitgenossen, die ihr reflexartiges Ressentiment gegen die zunehmende ökonomische Vernetzung der Welt schon für fundierte Kritik halten, kommt Renato Ruggieros Urteil über die vergangenen zwölf Monate sicher zu milde vor.Für den Generaldirektor der Welthandelsorganisation ist "1998 ein schwieriges Jahr gewesen".Schwierig vor allem deswegen, weil die Dominokrise in Asien, Lateinamerika und Rußland die Globalisierung in Verruf bringt.

Die nackten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Berichten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge suchen eine Milliarde Menschen einen Job oder sind unterbeschäftigt, laut Internationalem Währungsfonds halbiert sich das Wachstum der globalen Wirtschaftsleistung von 4,1 Prozent im Jahr 1997 auf zwei Prozent in diesem Jahr.Einzig die Direktinvestitionen im Ausland werden 1998 das Rekordniveau von 440 Mrd.Dollar erreichen, 427 Mrd.waren es im Vorjahr.

Die Zahlen für die Werte von Firmenzusammenschlüssen fallen noch gigantischer aus: Nach Angaben des Ökonomen Wulff Plinke von der Humboldt-Universität hat es in den vergangenen 18 Monaten weltweit 140 angekündigte und durchgeführte Großfusionen mit einem Volumen von jeweils mindestens einer Mrd.Dollar und insgesamt 1,5 Billionen Dollar gegeben.Die hektischen Aktivitäten der Strategen verstellen leicht den Blick dafür, daß "Globalisierung ein neues Wort für einen schon lange währenden Vorgang ist: die räumliche Ausbreitung der kapitalistischen Wirtschaftsweise bis an den Rand der Welt", wie Herbert Giersch, der langjährige Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, schreibt.

Volkswirtschaftliche Zusammenbrüche wie in Asien lassen die Erkenntnis reifen, daß große Konzerne mehr Sicherheit bieten.In Europa zwingt der Euro, zwingt die erhöhte Transparenz dazu, effizienter zu produzieren.Großunternehmen können das besser, so hoffen es die Entscheider in den Konzernen und die Anteilseigner.Wo aber führt das rasante Wachstum hin? Experten wie der Wirtschaftswissenschaftler Plinke betonen, daß viele Fusionen floppen.Mal lassen sich die Unternehmenskulturen nicht verschränken, mal passen vor dem Jahrtausendwechsel die Informatiksysteme nicht zusammen, mal wird die erhoffte Harmonie durch Leichen im Keller eines der Partner gestört.Oft müssen Firmen ihre Pläne schon nach wenigen Wochen begraben.Jüngstes Beispiel: die Schweizer Konzerne Clariant und Ciba Spezialitätenchemie.

Entstehen aber doch schlagkräftige, vor Synergieffekten strotzende Giganten, dann hat das Konsequenzen.Für die Arbeitnehmer, besonders aber für die Politik.Regierungen verlieren an Einfluß.Über internationale Kontrollbehörden wird zwar eifrig diskutiert; ein globales Kartellamt etwa dürfte es aber so schnell nicht geben.Und: Wieviel Macht sollte eine solche Superbehörde haben, wer sollte deren Macht ausbalancieren? In globalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation streiten Experten eifrig über den künftigen Stellenwert der Wettbewerbspolitik.Dabei gewinnen sie die Einsicht, daß ein gemeinsames Regelwerk alle Teilnehmer zu Kompromissen zwingt und die bisher erreichten nationalen Standards schwächen würde.

JAN DIRK HERBERMANN (HB)

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