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Wirtschaft: Golf – jetzt wird auf der Straße gespielt

Die Anarcho-Golfer schlagen den Ball wann, wo und wie sie wollen – auch in einen Müllcontainer

Von Christopher Rhoads Norbert Kuntz greift zu seinem Eisenschläger und fegt einen Ball über einen Haufen Dreck und eine halbfertige Straße in die Seite eines blauen Containers. Der Golfball prallt von einem Baum ab und plumpst neben eine Betonwand voller Graffiti. Ein schlechter Schlag? Eher ein perfekter.

Das erste „Loch“ war ein Müllcontainer mitten auf einer Baustelle, einer von vielen in Ostberlin. Norbert Kuntz, der auf den Spitznamen „Naughty“ hört, findet seinen Ball auf einem vergessenen Fragment der Berliner Mauer und macht sich dann Gedanken über das nächste „Loch“. „Es muss nicht weit sein, nur interessant“, sagt er.

Der 40-jährige Naughty, der zum Golfen gerne ein paar Büchsen Billigbier in seinen ausgebeulten Tarnhosen mitnimmt, ist Teil einer wachsenden weltweiten Bewegung, die sich nicht um heilige Traditionen schert. Naughty steht für alle diejenigen, die spielen, wo, wann und wie sie wollen. „Crossgolf“ nennen die Anarcho-Golfer ihren Sport. Der Hamburger Club „Natural Born Golfers“ (NBG) organisiert Turniere von Paris bis Kuala Lumpur. Gerade ist die dritte Deutschland-Tour der Cross-Golfer durch sechs Städte zu Ende gegangen. Allein in Berlin, der letzten Station der Tournee, haben mehr als 1200 Menschen an den 60 Eröffnungsspielen teilgenommen. Abgeschlagen wurde von Hoteldächern, Lastschiffen und Mauern.

In Großbritannien wurde das erste Cross-Golf-Turnier im Mai abgehalten; eine Gruppe in San Francisco spielt mit Tennisbällen (der Sport ist auch unter dem Namen TurboGolf bekannt). Turniere in Budapest und Shanghai sowie eine Welttournee durch 14 Städte sollen folgen.

„Früher kam immer die Polizei und wir sind weggerannt“, erzählt der 41jährige Torsten Schilling, der vor zwölf Jahren die NBG gegründet und jetzt sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Im letzten Oktober gab er seinen Job auf, um für Unternehmen wie VW Turniere zu organisieren. Er verdient jetzt etwa 25000 US-Dollar (20560 Euro) täglich.

Beim deutschen Crossgolfen gibt es keine Punkte. „Wir wollen spielen, nicht schreiben“, erklärt Schilling, auf dessen schwarzem T-Shirt das NBG-Symbol gedruckt ist: Ein Totenkopf mit Golfbällen in den Augenhöhlen und zwei gekreuzten Golfschlägern. Die Organisatoren der Turniere vergeben die Trophäen nach ihren eigenen Regeln. Originalität zählt mehr als Können. So bekam ein Spieler einen Preis, weil der Kopf seines Schlägers beim Abschlag abbrach und weiter flog als der Ball.

Ein Grund für die wachsende Beliebtheit des Crossgolfens in Deutschland ist, dass es wenig öffentliche Golfplätze gibt und die Spieler zugelassen werden müssen. Golf ist hier nach wie vor ein elitärer und teurer Sport. Dabei gefällt dieser Sport immer mehr Jugendlichen. Junge Profis wie Jesper Parnevik aus Schweden und Aaron Baddely aus Australien sind für ihre engen Hosen, kragenlosen Hemden und weißen Designer-Gürtel ebenso berühmt geworden wie für ihr Spiel.

All das macht den Funktionären im traditionellen Golf Kopfzerbrechen. Der Royal&Ancient Golf Club of St. Andrews, nach dessen Regeln gespielt wird, begrüßt es, dass sich mehr junge Leute für den Sport begeistern. Aber wenn deutsche Punks in leer stehenden Häusern spielten, sei das nicht wirklich Golf, sagt Peter Dawson, R&A-Geschäftsführer. In diesem Jahr hat der älteste Golf-Club der Welt die Regeln verschärft. Das 192-seitige Regelwerk, das erstmals 1744 veröffentlicht wurde, wurde dahingehend ergänzt, dass eine Verletzung der Etikette mit Strafschlägen oder gar Disqualifizierung geahndet werden kann. Crossgolf, das „ist für Menschen meiner Generation eine ziemlich fremde Kultur“, sagt Dawson. „Wenn es das ist, was junge Menschen tun wollen – na großartig.“ Er hat aber noch die Hoffnung, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt.

Naughty schlägt derweil von einer Mauer ab und wählt als Loch einen Plastikeimer, der etwa 91 Meter entfernt ist. Als er nach dem geschlagenen Ball sucht, kommt ein Mann mit einem Bauhelm auf ihn zu. „Das ist eine Baustelle“, sagt der Mann. „Das ist ein netter Ort, um Golf zu spielen“, antwortet Naughty und lädt den Mann ein, mit ihm zu spielen. Der Bauarbeiter zuckt mit den Schultern und geht. Naughty klettert in seinen Caddie, einen roten, 18 Jahre alten verrosteten Mazda. „Golf erschien mir immer etwas lahm“, sagt er laut, um den Straßenverkehr und die Musik aus seinem Radio zu übertönen. „Aber es kommt darauf an, was man daraus macht.“

Die Texte wurden übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Spiderman), Svenja Weidenfeld (Golf), Matthias Petermann (Greenspan, Siemens) und Christian Frobenius (Chirac).

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