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Lippenbekenntnisse. Wie Make-Up-Artikel sind auch Stimmen Moden unterworfen. Zurzeit gelten weibliche Stimmen als seriös, wenn sie sonor klingen. Foto dpa

© dpa/dpaweb

Wirtschaft: Gut gestimmt

Wie man auf andere wirkt, hängt zu einem großen Teil von der Stimme ab. Und die kann man trainieren. Zum Beispiel bei der ehemaligen Opernsängerin Maria Beck. Im Job kann eine geschulte Stimme große Vorteile bringen.

„Ssssssss“. Den Mund zu einem breiten Lächeln geöffnet, die Zähne locker übereinander, die Füße geerdet: Neun Vorstandsassistentinnen lassen das stimmhafte S in hohem Ton vibrieren und es klingt, als erhebe sich ein Bienenschwarm im Konferenzraum. Auf das glücklich machende S lassen die Frauen mit gerundeten Lippen ein tiefes, beruhigendes, langgezogenes O folgen. „Wir brauchen solche Miniaturpausen“, weiß Stimmtrainerin Maria Beck. „Schon 15 Sekunden Vitalpause mit richtigem Atem und Stimmübungen reichen, um Spannung, beispielsweise nach einem schwierigen Gespräch, wieder loszuwerden.“

Dass das mithilfe der Stimme geht, zeigt die ehemalige Opernsängerin Managern und Führungskräften in Gruppen- und Einzelcoachings.

Wie wir auf andere wirken, das hängt zu über einem Drittel von unserer Stimme ab. Das belegen Studien. Den größten Einfluss auf die Reaktionen des Gegenübers hat unser Aussehen, nur klägliche sieben Prozent bestimmt der Inhalt. Aufs Äußere achten viele in unserer visuell getriebenen Kultur, auf die Stimme dagegen wissentlich kaum einer. Dabei nehmen wir gerade Klang intuitiv wahr, er drückt unseren Empfindungen gegenüber anderen einen tiefen, unbewussten Stempel auf.

Jeder kennt die Beispiele, bei denen Stimme und Rolle nicht im Einklang sind: Eine Vertriebsleiterin mit überhöhter, schriller Stimme – das ist unvorstellbar. Und keiner folgt einem unangenehm-knarzigen, mit gepresster Stimme gehaltenen Vortrag, sei der Inhalt auch noch so spannend. Wenn Klang und Person nicht harmonisieren, sträuben sich unsere Nackenhaare.

Dabei sind auch Stimmen Moden unterworfen. Zurzeit gelten sonore Stimmen als seriös. Viele Managerinnen und Politikerinnen legen sich eine unnatürlich tiefe Tonlage zu – das Ergebnis klingt oft künstlich, nasal oder monoton. Trainerin Maria Beck zwingt daher nicht in frauliche Tiefe, sondern öffnet den Weg zur eigenen, vollen Stimme. Eine Managerin mit lieblicher Mädchenstimme, die unter Anspannung zickig wirkte, fand nach wenigen Einzelstunden ihre weibliche Sicherheitstonlage mit vollem Volumen – und damit ein neues, glaubwürdiges Rollenbild. Wer seine natürliche Stimme gefunden, akzeptiert und trainiert hat, kommt kompetent rüber. Im Job kann eine geschulte Stimme also den entscheidenden Vorteil bringen.

Trotz des komplexen Terrains ist die Arbeit mit der Stimme ein unbelastetes Thema, freut sich Trainerin Maria Beck. Wohl deshalb wird in den Seminaren der Eins-Achtzig-Frau viel gelacht. Die Teilnehmer seien extrem neugierig, und oft fiele es ihnen wie Schuppen von den Augen, wenn sie Zusammenhänge zwischen Stimme und Wirkung erkennen. „Die Arbeit mit der Stimme eröffnet einen wunderbaren Zugang zur Persönlichkeitsentwicklung.“ Wie eng Stimme und Persönlichkeit verwoben sind, zeigt schon die Etymologie: Unser Wort Person leitet sich ab vom Lateinischen „per-sonare“. Dieses beschreibt den durch eine Maske dringenden Klang der Stimme eines Schauspielers. Als Einzelkämpferinnen an der oft zermürbenden Schnittstelle zwischen Kollegen und Chef stehen die Assistentinnen im Alltag unter großem Druck. Deshalb haben sie einen Kurs des Secretary Management Institutes zu Charisma und Präsenz im Job bei Stimmtrainerin Beck gebucht. Die Gründe für die Teilnahme sind vielfältig: Die eine wirkt auf die Kollegen unterkühlt, die andere machen Ungerechtigkeiten im Job sprachlos, die dritte bricht immer wieder in Tränen aus.

Stimmtrainerin Maria Beck beruhigt: „Weglaufen und sich-tot-stellen sind spontane, vitale Reaktionen. Diese haben wir nicht im Griff. Bevor wir denken können, haben sich unsere Körpersprache, der Atem und die Mimik schon verändert.“ Aus ihrer Zeit als Sängerin bringt Maria Beck das Wissen um die Kraft der Stimme mit, die in jeder Verfassung gut funktioniert. Dieses gibt sie an die Teilnehmerinnen weiter.

Im ersten Schritt des Trainings lernen sie, die Urreflexe unseres „Eidechsengehirns“ zu akzeptieren und sie sich nicht übel zu nehmen. Auf dem Teppichboden liegend, die Hände an den Seiten, fühlen sie die tiefe Bauchatmung und reflektieren die individuellen Atemfunktionen: Wie atmen wir, wenn wir uns wohl fühlen, gehetzt sind oder sprechen? Bei Angst ist der Körper anders gestimmt, unter Druck funktioniert die Stimme schlecht. „Wenn die Menschen das verstanden haben,“ hat Maria Beck beobachtet, „fällt ihnen ein Stein vom Herzen“.

In Momenten der Verunsicherung nicht auf eingefahrene Muster zurück zu greifen – darum geht es im zweiten Schritt. Mit Rollenspielen zum Dreiklang „Atmung, Stimme, Körpersprache“ ermöglicht die Düsseldorferin Maria Beck, die bundesweit für Trainings unterwegs ist, ihren Teilnehmerinnen positive Erlebnisse. Sie zeigt, wie sie diese aufrufen und transferieren können, wenn sie in ungewohnte Situationen kommen und der Boden unter den Füßen unsicher wird.

Zwei Teilnehmerinnen spielen das Trainingsspiel „Flughafenfreude“. Strahlend gehen sie aufeinander zu. „Ich freu’ mich, Dich zu sehen“, rufen sie sich mit hoher, freundlicher Stimme zu, die Arme ausgebreitet, das Brustbein aufgerichtet. „Der Körper stimmt das mit Glaubwürdigkeit ab“, erklärt die Trainerin. Den gleichen Satz mit engem Brustkorb und verschränkten Armen zu sagen, ist den beiden Assistentinnen kaum möglich.

„Lächeln Sie mehr“, ermuntert Maria Beck und nennt das Impulsmanagement. Komme der Reiz dazu nicht von außen, so setze man ihn eben von innen. Dabei gehe es jedoch niemals darum, äußere Verhaltensweisen aufzusetzen, Glaubwürdigkeit kommt schließlich von innen. Am Schluss liefert die Trainerin noch hilfreiches Handwerkszeug: Artikulationsübungen. Da Artikulation nichts mit Persönlichkeit zu tun hat und unabhängig von Emotionen funktioniert, kann man sie trainieren.

„Es gibt einen riesigen Bedarf für Stimmtrainings in der Wirtschaft“, hat Brigitte Teuchert von der Deutschen Gesellschaft für Sprechwissenschaften und Sprecherziehung bemerkt. Bei der Berliner Stimm- und Sprechtrainerin Heidi Laue-Michaelis werden Trainings für Führungskräfte verstärkt nachgefragt. Sie trainiert Menschen, die in der Öffentlichkeit sprechen, Vorträge oder Präsentationen halten. Bundestagsabgeordnete sind unter ihnen und Rundfunkmoderatoren. „Der Trend geht hin zum Einzelcoaching“, weiß Marion Malzahn vom Deutscher Bundesverband der Atem-, Sprech- und Stimmlehrer. Vielen Menschen sei bewusst, dass nicht nur fachliches Know-how, sondern Stimme und Ausstrahlung die Karriere beeinflussten. Selbst Studierende fragten schon nach Seminaren zu Stimme, Atem und Präsentation.

Wie lange es dauert, bis die Übungen Wirkung zeigen, ist individuell verschieden. Sechs Treffen über ein halbes Jahr seien sinnvoll, sagt Maria Beck. Halbtagesseminare in Gruppen wie das in Köln könnten lediglich einen Impuls geben.

Manchmal jedoch bewirken sie auch große Veränderungen. Wie bei Katja Bäumler. Zum zweiten Mal hat sie ein Seminar von Maria Beck besucht. „Die Übungen geben Selbstsicherheit, das spürt die Außenwelt“, weiß die 38-Jährige.

An angespannten Tagen merke sie nun sofort, wenn sie falsch atme und der Brustraum eng werde. Dann sei sie kurzatmig, könne am Telefon nicht laut sprechen, wirke piepsig. „In solchen Situationen mache ich meine Bürotür zu, blicke in die Ferne, atme ein, zwei Mal tief aus, mache die Übungen. Das hilft und befreit.“ Als ein Kollege sie bei hüpfenden Lockerungsübungen überraschte, nahm es die Gießenerin mit Humor.

Unlängst hat Bäumler den Schritt von der Kollegin zur Chefin gemacht und leitet nun ein Team von 19 Assistentinnen der Volksbank Mittelhessen. „Fachwechsel“, nennt das Trainerin Maria Beck. „So wie man in der Oper mit zunehmender Reife neue Rollen übernimmt, erhält man in der Berufswelt neue Aufgaben.“ Bei dieser „Repertoireerweiterung“ falle oft das Natürlichste auf der Welt auf einmal schwer. Deshalb kommen gerade junge Führungskräfte in die Trainings. Katja Bäumler hat ihren „Fachwechsel“ mit Bravour bestanden. Seitdem sie Führungsverantwortung hat, muss sie Ansprachen halten. „Wenn ich ans Rednerpult gehe, atme ich tief aus, lasse den Druck raus“, sagt Bäumler. „Und plötzlich spreche ich frei vor einer Gruppe. Auch wenn meine Beine dabei noch zittern, bringe ich doch etwas völlig anderes rüber - nämlich Ruhe, Selbstsicherheit und Kompetenz.“

Astrid Oldekop

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