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Wirtschaft: Häuptling Offenes Ohr

Verdi-Chef Frank Bsirske gibt sich als Mann zum Anfassen und will die Gewerkschaften stärker links profilieren

Von Alfons Frese

Frank Bsirske ist ein guter Kumpel. Eigentlich müsste er längst unterwegs sein zum nächsten Termin, doch die Kollegen stehen an diesem Mittag Schlange in der Kongresshalle von Weimar. Sie belagern ihren Vorsitzenden, haben viel zu erzählen und drücken dann auch noch den Verdi-Chef für ein Erinnerungsfoto an sich. Ein Typ zum Anfassen eben. „Die Kollegen haben ein Recht auf Zugewandtheit“, sagt Bsirske. Sein Programm als Vorsitzender der größten deutschen Gewerkschaft ist schlicht: Zuhören. Nach anderthalb Jahren an der Verdi-Spitze hat er sich nach eigener Beobachtung eine „Grundpopularität“ in der 2,7 Millionen Mitglieder umfassenden Dienstleistungsgewerkschaft erarbeitet. Vor allem durch Besuche an der Basis und Bsirskes Führungsmotto: „Das Gespräch suchen, das Gespräch suchen, das Gespräch suchen.“

Die Kommunikationsfreude des Chefs hat Konsequenzen für den Fahrer. Mit 240 Sachen jagt der Audi A8 der verlorenen Zeit hinterher. Unterwegs nach Hannover, wo Bsirske sich mit Bürgermeister Herbert Schmalstieg trifft. Bsirske ist Mitglied der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen. Auch das noch. Bis zu 18 Termine am Tag hat der Verdi-Chef. Wenn überhaupt, dann kann Bsirske den Sonntag in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg verbringen. Doch auch sonntags gehen „acht bis zehn Stunden“ für die Akten drauf. Ein Hundeleben. Bsirske wird gut bezahlt, mit 13800 Euro im Monat ist er nach IG-Metall-Chef Klaus Zwickel (17400 Euro) der bestbezahlte Gewerkschafter. Aber ist es das wert? Er selbst spricht von einem „eklatanten Verlust an Lebensqualität“. Welchem Arbeitnehmer möchte man so einen Job zumuten?

In einer Nacht im November 2000 wurde Bsirske vom stellvertretenden niedersächsischen ÖTV-Chef angerufen. Die Gewerkschaft war in Not, hatte auf ihrem Kongress in Leipzig gerade den Vorsitzenden Herbert Mai verloren und sträubte sich gegen die Fusion mit vier anderen Organisationen zur vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. Die ÖTV drohte auseinander zu fallen. Ob er nicht Vorsitzender werden wolle, wurde Bsirske in jener Nacht gefragt. Zwei Stunden hat er gebraucht, um mit seiner Frau die Antwort zu finden. Am nächsten Tag wählten ihn knapp 95 Prozent der Delegierten, er überzeugte die ÖTV von der Notwendigkeit der Fusion mit den anderen Gewerkschaften und wurde vier Monate später zum ersten Verdi-Chef gewählt. Eine einmalige Karriere in der deutschen Arbeiterbewegung.

Kein Jazz im Autoradio

Frank Bsirske, am 10. Februar 1952 als Sohn eines Arbeiters und einer Krankenschwester in Helmstedt geboren, verdiente sein erstes Geld als Bildungssekretär der Sozialistischen Jugend Deutschlands. Das Mitglied der Grünen arbeitete für die Öko-Fraktion im Hannoveraner Stadtparlament und stieg schließlich in der ÖTV nach oben: Gewerkschaftssekretär in Hannover, Geschäftsführer der Kreisverwaltung, schließlich stellvertretender Bezirksvorsitzender. 1996 wurde Bsirske auf Vorschlag der Grünen Personal- und Organisationsdezernent von Hannover. Bis zum November 2000, als er die ÖTV übernahm und auf Fusionslinie brachte.

Die ersten 250 Tage war der neue ÖTV-Chef nur stundenweise zu Hause. Bsirske war permanent unterwegs, um die ÖTVler auf Fusionskurs zu bringen. An ihm hing es, ob die ÖTV bei Verdi mitmachte und somit das größte gewerkschaftliche Reformprojekt zustande kam. Heute erinnert sich der Jazz-Fan, dass er damals nicht eine Minute Jazz gehört hat. Einfach keine Zeit. Und im Auto laufen Little Feet, Van Morrisson, Billie Holiday oder Bob Dylan. Mit Jazz will der Chef den Fahrer nicht nerven.

Ist es das Geld, die Macht, die Medienpräsenz? Auf die Frage nach dem „Warum“ antwortet der Politologe Bsirske: Es müsse ein „Widerlager“ geben in der Gesellschaft, also eine Gegenmacht der Beschäftigten gegenüber den Reichen und Mächtigen, den Arbeitgebern und ihren Verbänden. Bsirske steht links, wie sich das gehört für den Vormann einer Gewerkschaft. Aber Bsirske ist anders als Klaus Zwickel oder Hubertus Schmoldt. Bsirske, der am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin unter anderem bei Elmar Altvater und Wolf-Dieter Narr studierte, will die Gewerkschaften aus der Defensive holen. Er war Anfang 2001 der erste Spitzenfunktionär der die tarifpolitische Wende reklamierte: „Lohnverzicht bringt keine Arbeitsplätze.“ Die im Bündnis für Arbeit ein Jahr zuvor verabredete moderate Tarifpolitik habe „den Praxistest nicht bestanden“. Also zurück zu ordentlichen Lohnzuschlägen.

Mit Bsirske kam auch wieder Schwung in die verteilungspolitische Debatte. Der Verdi-Chef attackiert die rot-grüne Steuerpolitik zu Gunsten der Unternehmen. Wenn er seinen Mitgliedern vorrechnet, wie die Körperschaftsteuereinnahmen von 23,5 Milliarden im Jahr 2000 ein Jahr später auf unter Null gefallen sind, dann wird Bsirske laut und auch etwas gallig. Seit mehr als einem Jahr trommelt er bei jeder Gelegenheit für die Wiedereinführung der Vermögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Deutschland sei „eine Steueroase für Millionäre“. In den kommenden Jahren würden hier zu Lande rund 3,5 Billionen Euro vererbt, aber außer in Italien sei der Erbschaftsteuersatz nirgendwo so gering wie in der Bundesrepublik. „Das ist Sozialhilfe auf allerhöchstem Niveau für eine Gruppe, die das nicht nötig hat“, schimpft Bsirske.

Diese Ansprache mag das Gewerkschaftsmilieu. Dabei sind Parolen und Radau gar nicht seine Sache. „Ich versuche, die Dinge inhaltlich zu entwickeln“, beschreibt Bsirske seine Auffassung von Rhetorik. Sein Auftritt ist charmant, der 50-Jährige verbreitet gute Laune und ist das Gegenteil eines Klassenkämpfers. „Ich würde mich als freundlich und zugewandt bezeichnen.“ Diese Selbsteinschätzung nimmt man ihm ab.

„Auf Indianer! Los geht’s!“

„Lasst uns loslegen, auf Indianer! Los geht’s!“, hat Bsirske den Verdianern zugerufen. Aber wo soll es hingehen? Den Gewerkschaften insgesamt geht es schlecht, sie verlieren Mitglieder, bei Verdi sind es 80000 im Jahr. Das tut weh, denn „die Gewerkschaften leben von der Macht der Zahl“, wie Bsirske sagt. Allerdings sei das „Rückgrat der Zivilgesellschaft“ schwach geworden, „weil die Gewerkschaften zu lange geglaubt haben, sie hätten die Patentrezepte in der Tasche“. Ihm selbst kann das kaum passieren, glaubt er. Für ihn ist „Kommunikation im Prozess der Veränderung sehr wichtig“. Aber wie gewinnt er eine Zwanzigjährige für die Gewerkschaft? Tyisch Bsirske: „Ich würde mir erstmal ein Bild von der Gesprächspartnerin machen, anstatt sie zu überrollen.“

Bsirske will in den Massenorganisationen mehr „Raum lassen für individuelle Lösungen“. Er will „raus aus den Gewerkschaftsghettos“. Zum Beispiel vergangenes Wochenende auf einem Truckertreffen. Zwischen den Auftritten diverser Country-Größen erläuterte Bsirske den 10000 Kraftfahrern den Unterschied zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb. Stoiber, sagt er, wolle da weitermachen, „wo die Union 1998 aufgehört hat und was 16 Jahre nicht geklappt hat: noch mehr umverteilen, noch mehr deregulieren, noch mehr Arbeitnehmerrechte einschränken“. Doch weil sich der Wind nicht nur in Deutschland gedreht hat, sondern weltweit, wird es soweit nicht kommen, glaubt Bsirske. Denn die Globalisierung, also die Politik der Liberalisierung, Deregulierung und Geldwert-Stabilisierung, „ist nur einer Minderheit zugute gekommen“.

„Die Macht des Kapitals beruht auf Geld, unsere Macht auf Organisation“, beschreibt er nüchtern die Verhältnisse. Und da weltweit nur 13 Prozent der Beschäftigten in Gewerkschaften organisiert sind, ist klar, wer die besseren Karten hat. Also arbeiten, arbeiten, arbeiten, damit mehr Leute Mitglied bei Verdi werden. Es macht wohl Spaß, denn sonst wäre die „gewisse Bereitschaft zur Entgrenzung“, wie Bsirske seine Arbeitssucht umschreibt, ziemlich verrückt.

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