zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Hasta la vista, Berlin

Die Hauptstadt wirbt um Akademiker aus Spanien Jetzt kommen sie – und finden keinen Job

„El dentista habla español“, steht auf einem Schild in der Heimstraße 19. Der Zahnarzt spricht Spanisch. „Hier in Kreuzberg leben viele Spanier“, sagt die Sprechstundenhilfe. „Daher der Hinweis.“ Lucía Cano ist eine von ihnen. Sie ist 28 Jahre alt und hat Architektur an der Polytechnischen Universität in Madrid studiert. Seit letztem Jahr lebt sie in Berlin – und von 750 Euro brutto im Monat.

Lucía Cano war da, bevor Angela Merkel nach ihr rief. Im Februar dieses Jahres war die Bundeskanzlerin nach Spanien gereist und hatte dort um spanische Fachkräfte geworben. Deutschland brauche qualifizierte Erwerbstätige aus dem Ausland, sagte sie. Bis 2025 werde die Zahl der Arbeitskräfte um fast 3,5 Millionen auf 41,3 Millionen zurückgehen, prognostiziert das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. 2050 werden dann rund zwölf Millionen Menschen auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Vor allem Ingenieure, Pflegekräfte und Mediziner fehlen in Deutschland.

Ab September wird im spanischen Fernsehen und im Internet ein TV-Spot der Hauptstadtkampagne „be Berlin“ laufen: „Find your job in Berlin“, heißt der Slogan. „Viele meiner Freunde sind nach Berlin gekommen, weil es die Hauptstadt ist und als cool gilt. Und sie dachten, dass es hier Jobs gibt. Aber auch in Berlin gibt es keine Jobs“, sagt Lucía. Sie arbeitet in einem Architekturbüro in Mitte, sie hat keinen festen Arbeitsvertrag, nur ein bezahltes Praktikum. „Ich hatte mich hier beworben, und sie haben mich genommen. Ein Praktikum zu finden ist einfach. Jobs gibt es in Deutschland, aber nicht in Berlin. Ich müsste nach Hamburg oder Köln gehen.“

Von Lucías Freunden, die in Spanien geblieben sind, hat keiner einen festen Job. Auch sie machen alle Praktika oder haben befristete Verträge von drei oder sechs Monaten. „Ungefähr 95 Prozent aller neuen Arbeitsverträge in Spanien sind befristet, meist trifft es die jungen Menschen“, sagt Gayle Allard, Arbeitsmarktexpertin an der IE Business School in Madrid. „Es kann Jahre dauern, bis sie eine Festanstellung erhalten.“ Das Hauptproblem sieht die Professorin in den starren Arbeitsverträgen: Es sei teuer und schwierig, langjährige oder ältere Mitarbeiter zu entlassen. Drei Viertel der Angestellten haben solche alten Verträge. In Krisenzeiten können sie bleiben, die Jungen müssen gehen – oder werden erst gar nicht eingestellt. In Spanien ist fast jeder Zweite zwischen 15 und 24 Jahren arbeitslos. In Deutschland ist es jeder Elfte.

Wie viele Spanier bisher nach Deutschland gekommen sind, kann keiner genau sagen. In Europa gilt das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das heißt, jeder kann frei entscheiden, wo er arbeiten möchte. Schätzungen sagen, dass 17 000 Spanier an einem Job in Deutschland interessiert sind. Gayle Allard bewertet die Initiative der Bundesregierung dennoch kritisch: „Nach Deutschland zu gehen kann nicht die Lösung sein. Nur wenige Spanier sprechen Deutsch und die deutsche Kultur ist der spanischen sehr fremd. Spanier sind ein intensives soziales Leben und große Familien gewöhnt.“

Nur jeder zehnte Spanier hat Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Lucía kennt die deutsche Kultur hingegen schon länger. 2005 war sie das erste Mal hier, über das Erasmus-Programm studierte sie damals in Köln. Wenn Lucía deutsch spricht, schwingt ein spanischer Akzent mit. Oft macht sie kleine Fehler.

Gerne würde Lucía Grammatik und Aussprache verbessern, aber sie hat keine Zeit. „Meist arbeite ich bis 20 Uhr abends, an manchen Tagen bin ich auch erst gegen zehn Uhr oder noch später fertig“, erzählt sie. Abends und am Wochenende telefoniert sie dann mit ihrer Familie oder sie schreibt E-Mails. „Ich vermisse sie“, sagt Lucía. „Aber ich überlebe das." Auch mit den 750 Euro überlebt Lucía. Das Leben in Berlin ist vergleichsweise billig. Nur 200 Euro kostet ihre kleine Wohnung in Kreuzberg.

Berlin, sagt Lucía, gebe ihr an vielen Stellen eine innere Ruhe – und ein bisschen Frieden: „Me da paz.“ Der Anblick der Neuen Nationalgalerie zum Beispiel. In den kommenden Jahren möchte sie nicht zurück nach Madrid. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt wird sich weiter verschlimmern, glaubt sie. „Ich möchte dann nicht in Spanien sein.“ Sollte sie in Berlin nicht bald einen besseren Job finden, wird sie dennoch umziehen: Nach Hamburg, Köln – oder in die Schweiz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false