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Wirtschaft: Heidi Draheim

Geb. 1941

Kino Arsenal, Reihe 25, Mitte. Da saß sie. Im Zoopalast und im Royal nur selten. Wenn es um ihren Job ging, kannte sie keine Berührungsängste, da war sie Diplomatin, Telefonistin, Detektivin – und unerschrockene Cineastin unter lauter Cineasten. Zur Eröffnung der Hitchcock-Ausstellung im Filmmuseum Düsseldorf 2001 klemmte sie sich einen der Hitchcock-Aufsteller unter den Arm und stellte sich den Presse-Fotografen: Der große Set-Diktator und Starletschleifer verzieht keine Miene, waagerecht schwebt er unter Heidi Draheims Arm und ist völlig wehrlos.

Fürs Ausstellungskonzept war sie mitverantwortlich: Der Parcours glich einem Labyrinth. In einer Installation wurde der Blick des Besuchers in die schwindelerregende Glockenturm-Sze- ne aus Vertigo gezogen, in einem Guckkasten leuchtete das mumifizierte Gesicht der Mutter von Norman Bates aus Psycho auf. In akribischer Feinarbeit hatte Heidi Draheim etliche Set-Devotionalien aufgestöbert, zum Beispiel eine verknitterte Rechnung über einen Duschvorhang (farblos, matt, 28 Dollar 8 Cent) und zwei lange Küchenmesser (je 7 Dollar 95 Cent).

Sie wollte die Leute für die Filmgeschichte begeistern, vor allem das junge Publikum, sie wollte zeigen, dass Film mehr ist als digitale Bildbearbeitung und ein Eimer voll Popcorn, sondern ein Medium mit eigener Sprache, Technik und Tradition.

Wie so viele in ihrer Branche, kam sie über einen Seitenweg zum Film. Ende der Sechziger zog die gelernte Krankengymnastin nach Berlin, machte das Abitur nach und studierte Soziologie. In einem Seminar lernte sie den Film-Enthusiasten Wolfgang Theis kennen. Den Beginn ihrer wunderbaren Freundschaft schildert er so: „Da saß diese Rothaarige mit dem asymmetrischen Haarschnitt und quasselte in einem fort“. Als Alternative zu den marxistisch durchdrungenen Seminaren empfahl er das Kino.

Jeden Spätnachmittag zogen die beiden los in Richtung Filmkunst 66, Lupe, Kurbel, Notausgang und immer wieder ins Arsenal. Reihe 25, Mitte, das war bald ihr angestammter Platz dort. Die großen Kino-Paläste mieden sie, und wenn sie einmal doch im Zoopalast oder im Royal landeten, dann nur verkleidet.

Selbst vor dem Western machte Heidi Draheim nicht Halt – ein Genre, das rezeptionsästhetisch vor allem dadurch auffällt, dass auf 34 Besucher pro Vorstellung maximal eine Frau kommt.

Heidi Draheim moch- te den späten Douglas Sirk und Rainer Werner Fassbinder. Aber als wahre Cineastin bevorzugte sie Werkschauen mit komplexerem Inhalt: „Monroe von Huston und Miller“ oder der „Bogdanovich von ’Is was, Doc?’“.

„Der Film ist noch nicht zu Ende!“, sagte Heidi Draheim streng, wenn eine Freundin während des Abspanns den Saal verlassen wollte. Auch maßregelte sie allzu respektlose Sitznachbarn, die glaubten, die Bilder ständig kommentieren zu müssen: „Wenn Ihre Frau das nicht versteht, gehen Sie mit ihr doch in einen anderen Film!“ Und wenn einmal der Bildstrich verrutscht oder der Ton zu leise war, dann stand sie auf und sagte dem Vorführer Bescheid. Wenn es sein musste, auch zwei Mal. Da war sie unnachgiebig.

Nach einer Bandscheibenoperation Anfang der Achtziger gab sie ihren Nebenjob als Krankengymnastin endgültig auf. Als freie Mitarbeiterin im Filmmuseum Berlin hangelte sie sich nun von einem Auftrag zum nächsten. Anfang der Neunziger schaffte sie dann den Durchbruch als Organisatorin der Ausstellung „Nahaufnahme Neukölln“. Die Ausstellung, die die Geschichte des einstigen Kinokiezes von den Anfängen des Films bis zur Gegenwart zeigte, begeisterte die Leute. Prompt fragte das Filmmuseum Düsseldorf nach und bot ihr eine feste Stelle. Heidi Draheim nahm dankbar an, siedelte aber schweren Herzens über. Jeder Umzugs-Meter wurde für sie zu einer melodramatischen Schluss-Szene. Sie weinte und weinte.

Als Kuratorin war ihr größter Coup eine angerauchte Zigarre von Sam Fuller, die sie dem amerikanischen Regisseur am Rande einer Konferenz in Hamburg abschwatzte. Fuller wollte sie zuerst nicht rausrücken, da er nur zwei Stück täglich von seiner Frau zugeteilt bekam, wie er vorgab. Also überredete Heidi Draheim Fullers Frau, brachte ihm eine neue Zigarre und tauschte sie gegen die angerauchte ein.

Berlin – das hätte Heidi Draheims Abspann werden sollen. Doch im Filmmuseum am Potsdamer Platz wurde keine Stelle frei. Sie starb am Karfreitag, ein Jahr nachdem sie sich das Rauchen abgewöhnt hatte.

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