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Wirtschaft: „Höhere Einkommen kann es nicht geben“

Der Präsident der kommunalen Arbeitgeber, Thomas Böhle, über das neue Tarifrecht, Privatisierungen und weniger Urlaubsgeld

Herr Böhle, warum dauern die Verhandlungen über ein neues Tarifrecht inzwischen zwei Jahre?

Weil wir es mit hochkomplexen Tarifverträgen zu tun haben. Es gibt eigene Regelungen für Arbeiter und für Angestellte und wir haben separate Regelungen beispielsweise für Krankenhäuser. Dies alles wollen wir neu organisieren, vereinfachen und die gegenwärtig 17 000 Eingruppierungsmerkmale auf ein vernünftiges Maß zurückführen. Außerdem führen wir eine Reihe neuer Komponenten ein. Das alles braucht eine gewisse Zeit.

Hat sich der Aufwand bislang gelohnt?

Ja. Bei der Leistungs- und Wettbewerbsorientierung sind wir weit gekommen. Wenn es zum Beispiel Wirtschaftsbereiche gibt, die von Outsourcing bedroht sind, können wir künftig die Lohnkosten senken und diese Bereiche wettbewerbsfähiger betreiben. Und bei der Arbeitszeit bekommen wir die Möglichkeit, bis zu 48 Wochenstunden zu arbeiten. Wir werden flexibler und sparen teure Überstundenzuschläge.

Für die Beschäftigten sind das schlechte Nachrichten.

Durchaus nicht. Beispielsweise geht Arbeitszeitflexibilisierung einher mit mehr Arbeitszeitsouveränität und Selbstbestimmung für die Arbeitnehmer. Und die Leistungsorientierung ermöglicht es, überdurchschnittliche Leistungen zu honorieren.

Aber vor allem in den unteren Lohngruppen müssen sich neue Beschäftigte auf weniger Geld einstellen.

Der große Vorteil ist doch, dass sie überhaupt noch im öffentlichen Dienst verbleiben. Wenn diese Bereiche outgesourct und privatisiert werden, stehen zahlreiche Arbeitsplätze zur Disposition. Das haben wir bei Reinigungstätigkeiten erlebt. Private Reinigungsfirmen haben 30 bis 40 Prozent niedrigere Lohnkosten als öffentliche Anbieter. Diese Entwicklung wollen wir stoppen und rückgängig machen. Wenn zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr neue Buslinien ausgeschrieben werden, dann sollen die öffentlichen Betreiber mit privaten Verkehrsunternehmen konkurrieren können.

Ist Privatisierung nicht der bessere Weg?

Öffentliche Unternehmen sind anderen Grundsätzen verpflichtet als private, die ausschließlich Gewinn erwirtschaften müssen. So ist etwa bei der Versorgung mit Wasser der Umweltschutz zu berücksichtigen, was bei öffentlichen Versorgern eher gewährleistet ist als bei privaten. Ein anderes Beispiel ist der Verkehr. Private haben nur ein Interesse an Buslinien, die sich lohnen. Wir sind aber wegen der Daseinsvorsorge dazu verpflichtet, auch nicht lukrative Linien anzubieten. Die öffentliche Hand bliebe auf Linien sitzen, die sich nicht lohnen, und Gewinn machen die Privaten. Das kann nicht im Interesse der Bürger sein.

Was haben die Bürger überhaupt von der Tarifreform?

Wenn zum Beispiel die Bodenverkehrsdienste der Flughäfen zur Urlaubszeit stark besetzt sind oder die Kfz-Zulassungsstellen im Frühjahr, dann profitieren die Bürger davon. Und selbstverständlich hat der Kunde etwas davon, wenn Leistung eine stärkere Rolle spielt. Denn er wird besser bedient von Beschäftigten, die nach Leistung bezahlt werden und entsprechend motiviert sind.

Der leistungsorientierte Anteil ist mit zwei Prozent ab 2006 nicht gerade üppig.

Das ist nur ein erster Schritt, unser vereinbartes Ziel sind acht Prozent. Es geht ja nicht darum, dass der Einzelne, wenn er Überdurchschnittliches leistet, zwei Prozent mehr bekommt. Sondern zwei Prozent der gesamten Lohnsumme sind für leistungsbezogene Bezahlung vorgesehen. Es kann also sein, dass manche gar keine Leistungsprämie bekommen, andere aber zehn oder mehr Prozent. Denn wir gehen nicht davon aus – und hier unterscheide ich mich vom Präsidenten des Beamtenbundes –, dass alle Beschäftigten überdurchschnittliche Arbeit leisten.

Wann sollen die angepeilten acht Prozent Leistungsprämie erreicht sein?

Das konnten wir nicht verbindlich festlegen, weil das von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängt. Je robuster Wachstum und Steueraufkommen, desto größere Spielräume gibt es. Aber ich bin sicher, dass wir nicht zehn Jahre brauchen, um die acht Prozent einzuführen.

Wie soll die Leistung gemessen werden?

Die so genannte dienstliche Beurteilung kann es nicht sein. Sie ist ein Relikt aus dem Beamtenrecht. Wir wollen eine Leistungsmessung, für die es möglichst objektivierbare Kriterien gibt. In den Arbeitsagenturen zum Beispiel könnte dies die Zahl der vermittelten Erwerbslosen sein. Man kann aber auch in der allgemeinen Verwaltung die Zahl der bearbeiteten Vorgänge heranziehen oder mit Bürger- oder Kundenbefragungen arbeiten.

Wer stellt die Kriterien auf und wer entscheidet über die Höhe der Prämie?

Die Betriebsparteien entwickeln die Kriterien und es ist dann Sache des Arbeitgebers, das Geld zu verteilen.

Dann bleibt das Problem der Nasenprämien.

Nein. Es gibt ja objektivierbare Kriterien, bei deren Aufstellung Betriebs- und Personalräte beteiligt sind.

Wie werden die Prämien finanziert?

Der gesamte Prozess der Tarifrechtsreform darf keine zusätzlichen Kosten verursachen. Es gibt drei Finanzierungsmöglichkeiten. Zum Einen die Umwandlung vorhandener Bezahlungsbestandteile; wir denken da in erster Linie an Weihnachts- und Urlaubsgeld. Zum Zweiten gibt es für die heute Beschäftigten eine Besitzstandswahrung. Die Besitzstände laufen aber nach und nach aus und machen Mittel frei für die Finanzierung der Leistungsprämie. Die dritte Möglichkeit betrifft die Anrechnung von künftigen Lohnerhöhungen. Doch schon jetzt ist klar, dass es hier in den nächsten Jahren kaum Möglichkeiten geben wird, weil das neue Tarifrecht zunächst Kosten verursacht.

Über die zwei Prozent hinaus?

Die zwei Prozent sollen ja in erster Linie durch die Umwandlung vorhandener Lohnbestandteile finanziert werden, insofern fallen also keine Zusatzbelastungen an. Kosten fallen aber deshalb an, weil es für die jetzigen Beschäftigten keine Einbußen geben darf. Gleichzeitig wollen wir aber Jüngere besser bezahlen, um den Nachwuchs zu sichern. Also verursacht das neue Recht zusätzliche Kosten.

Müssen sich die Beschäftigten auf weniger Urlaubs- oder Weihnachtsgeld einstellen?

Ja. Derzeit machen die Sonderzahlungen etwa ein Monatsgehalt aus; das dürfte etwas weniger werden. Das Weihnachtsgeld entspricht etwa sechs Prozent des Jahresentgelts. Wenn wir also die zweiprozentige Leistungsprämie allein mit dem Weihnachtsgeld finanzieren, müsste es um ein Drittel reduziert werden.

Wie teuer wird die Reform alles in allem?

Das lässt sich nicht sagen, weil die Entgelttabelle und die Eingruppierungsmerkmale noch nicht vereinbart sind. 2006 gibt es zusätzliche Kosten, doch langfristig wird es eine Kostenentlastung geben.

Müssen die öffentlich Bediensteten 2005 auf eine Tariferhöhung verzichten?

Das neue Recht kostet Geld. Deshalb kann es 2005 und 2006 keine linearen Einkommenserhöhungen geben. Es ist auch Aufgabe der Gewerkschaften, dies ihren Mitgliedern zu vermitteln.

Sie plädieren für eine Einmalzahlung?

Auch dafür sehe ich keinen Spielraum. Übrigens braucht das neue Entgeltsystem mindestens zwei Jahre, um sich zu bewähren. Deshalb sollte auch der Tarifvertrag so lange laufen.

Auf dem Reformprozess liegt ein Schatten, weil die Bundesländer nicht dabei sind. Kommen die wieder ins Boot?

Das müssen Sie Verdi fragen, denn die Gewerkschaft verhandelt mit den Ländern. Die Länder haben sich aus der Verhandlungsgemeinschaft verabschiedet und die Tarifverträge zur Arbeitszeit und zur Sonderzahlung gekündigt.

Wenn die Arbeitszeit auf 40 Stunden verlängert wird, kommen die Länder zurück?

Da bin ich mir nicht sicher, es gibt auch andere Äußerungen von Ländervertretern. Einige wollen alles: Längere Arbeitszeit, Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, mehrere Nullrunden und Abschaffung der Unkündbarkeit nach 15 Dienstjahren. Aber alles geht nicht, auch als Arbeitgeber muss man Realist sein. Verdi hingegen muss sich bewusst sein, dass weitere Privatisierungen anstehen, wenn längere Arbeitszeiten tabu bleiben.

Die Beamten arbeiten schon 40 bis 42 Stunden. Wäre es nicht gerecht, wenn die Arbeiter und Angestellten nachziehen?

Das Verhältnis Beamte/Angestelle steht für die VKA nicht im Vordergrund. Beamte verdienen netto noch immer mehr als Arbeiter oder Angestellte, die ähnliche Tätigkeiten ausüben.

Kann das Reformwerk noch scheitern?

Ich halte das für unwahrscheinlich. Ich bin zuversichtlich, dass wir Ende Februar die Grundlagen für ein neues Tarifrecht gelegt haben.

Das Interview führte Alfons Frese.

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