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Hoch hinaus. Berater leben von ihrem Managementwissen. Sie haben einen Blick für erfolgreiche Geschäftsmodelle. Foto: ddp

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Wirtschaft: Immer am Limit

Ehemalige Berater ziehen Start-ups hoch, vor allem in der Internetbranche. Und das sehr erfolgreich.

Eigentlich müssten sich Moritz Werner und Josef Biller in- und auswendig kennen. Sie haben zusammen studiert, in der gleichen Beratung angefangen, sind gemeinsam für einen Managementmaster an eine Uni zurückgekehrt und haben als Duo 21Diamonds, einen Onlineshop für Schmuck, eröffnet. Und doch sitzen sie an diesem Herbsttag in ihrem Start-up-Büro in München und lernen sich ein Stück weit neu kennen. „Du hinterfragst viel mehr Sachen als ich“, sagt Biller erstaunt zu seinem Mitgründer, nachdem der erklärt hat, welche Methoden aus seiner Zeit als Unternehmensberater ihm heute noch helfen. „Mich nervt es, wenn Entscheidungen nicht schnell genug getroffen werden“, sagt Biller. „Stimmt“, sagt Werner, „ich will vorher beweisen, dass es die richtige Entscheidung ist.“ Lachen erfüllt den Raum.

Vielleicht liegt es daran, dass Unternehmersohn Biller nach einem Jahr als Berater bei der Boston Consulting Group (BCG) wieder ausgestiegen ist, Moritz Werner aber sechs Jahre blieb. Denn gerade die penible Analyse ist ja eines der Markenzeichen der Berater.

Die beiden sind ein ungleiches, aber dennoch ein typisches Gründerduo in der Internetbranche. Denn eine ganze Riege einstiger Firmenoptimierer von BCG, McKinsey, Bain & Company oder Roland Berger haben hier Start-ups gegründet. Auch wenn es keine Statistiken gibt: Dass aus so vielen Beratern Gründer wurden, fällt auf. Deutschlands Seriengründer Oliver Samwer etwa schwört auf sie, wenn er Unternehmer für die von ihm finanzierten Start-ups sucht. Sind Unternehmensberater also die besseren Gründer?

Wer mit Oliver Samwer spricht, dem bekanntesten der drei Samwer-Brüder, die mit Gründungen wie dem Klingeltonanbieter Jamba und dem Ebay-Klon Alando Millionen verdient haben und jetzt als Seriengründer Start-up-Geschichte schreiben, der vernimmt immer wieder die Namen der großen Beratungen und Investmentbanken wie McKinsey und Goldman Sachs – als Talentpool. „Er heuert doch fast schon im Zehn-Minuten-Takt Berater an“, sagt Christian Thaler-Wolski, der für den Risikokapitalgeber Wellington Partners spannende Gründungsideen aus dem Webbereich sucht und die Szene sehr gut kennt.

Und das hat seinen Grund: „Wenn Gründer vorher in einer der großen Beratungen gearbeitet haben, dann ist das für ihn ein Qualitätskriterium“, sagt Thaler-Wolski. Die großen Beratungen nähmen schließlich nur die Besten. Wer dort Leute abwirbt, dampft die sonst langwierige Personalsuche auf eine Sache von Minuten ein. „Wenn ich also Topberater rekrutiere, habe ich damit automatisch die besten Absolventen. Ob das dann auch die besten Gründer sind, wird sich zeigen müssen“, sagt er.

Der Maschinenbauer Andreas Fruth ist angetreten, es zu zeigen. Fruth ist, nachdem er fünf Jahre lang für McKinsey vor allem Automobil- und High-Tech-Unternehmen auf die Spur brachte, als Mitgründer in eine eigene Firma eingestiegen. Dropgifts ist die Antwort auf das Portal Wrapp, auf dem man Geschenkgutscheine kaufen und an Freunde und Bekannte etwa im Netzwerk Facebook verschicken kann. „In der Beratung sehen wir ja in der Regel nicht, was der Kunde aus unseren Vorschlägen macht“, sagt Mitgründer Fruth. Als Gründer aber könne er etwas eigenes machen. „Der Weg ist ja nicht vorgegeben, die Strukturen sind nicht da. Der Reiz ist doch, das alles aufzubauen.“

Fruth und seine Dropgifts-Mitgründer sitzen in einem Rocket-Gebäude in Berlin, der Hauptstadt der deutschen Internetszene – auch wenn in München mehr IT-Start-ups entstehen. Fruth kümmert sich um die Produktentwicklung, um die Internet- und Mobilplattform, über die die virtuellen Gutscheine verkauft werden. „Aus der Beratung hilft mir am meisten, dass ich weiß, wie man an eine Problemlösung herangeht und das dann auch umsetzt“, sagt er.

„Als Berater ist man es gewohnt, alles zu hinterfragen“, sagt 21Diamonds-Gründer Werner. Der Druck, an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu gehen, ist fast schon elementarer Bestandteil des Jobs. Eine gewisse Furchtlosigkeit und Respektlosigkeit vor übermenschlich erscheinenden Herausforderungen kämen hinzu, sagt Werner. „Es wird unterstellt, dass Berater besonders belastungsfähig sind, Stress und ein hohes Arbeitspensum bewältigen können und unter Unsicherheit gut arbeiten“, sagt Tobias Kollmann, der als Professor an der Universität Duisburg-Essen Internetgründungen erforscht und selbst junge Unternehmer finanziert. „All das braucht man auch als Gründer“, sagt er.

Vor allem im schnelllebigen Onlinehandel. Fabian Westerheide vom Investor Point Nine Capital hat sich in seinem Blog mal daran gemacht herauszufinden, was für Menschen eigentlich gründen. Sechs Typen hat er ausgemacht, darunter auch die Ex-Berater, die er in einem Atemzug mit den Ex-Investmentbankern nennt. Ihm ist aufgefallen: Ihre Start-ups haben fast alle etwas mit dem Onlinehandel oder Marktplätzen zu tun. „Weniger oft findet man diese Art von Gründern in innovativen Geschäftsmodellen“, schreibt er in seinem Blog. Die Tüftler, die monate- oder gar jahrelang an einer Idee arbeiten – das sind die meisten Berater also eher nicht. „Die Leidenschaft, große Probleme zu lösen, sehe ich bei vielen nicht“, sagt auch Thaler-Wolski vom Kapitalgeber Wellington Partners. Und der Uniprofessor Kollmann ergänzt: „Berater leben vom Managementwissen, und das ist im E-Business vielleicht einfacher anzuwenden.“

Offenbar geht es etlichen vor allem darum, das Unternehmen schnell groß und dann selbst Kasse zu machen. „Das kann gutgehen, oft aber auch nicht, da für diese Art Unternehmen die Markteintrittsbarrieren niedrig sind und alles nur über die Geschwindigkeit der Umsetzung läuft“, sagt Thaler-Wolski.

Soll heißen: Weil viele der Gründungen Kopien oder Abwandlungen bestehender Geschäftsmodelle sind, geht es vor allem darum, schneller zu sein als die Konkurrenz, Marktführer in der Nische zu werden, schlagkräftig in möglichst vielen Ländern aufzutreten. „Diese neue Art von Gründungen geht viel schneller, braucht aber auch viel mehr Kapitalgeber“, sagt 21Diamonds-Gründer Werner, dessen Firma heute schon in 18 Ländern unterwegs ist. Er betont, dass es ihm und Biller nicht um den schnellen Ausstieg gehe. Die beiden haben gerade eine neue Finanzierungsrunde abgeschlossen – in welcher Höhe verraten sie nicht. Das Internetportal „Deutsche Startups“ war sich schon bei der letzten Runde sicher, dass es damals ein siebenstelliger Betrag gewesen sei.

„Ohne Rocket hätten wir das Unternehmen vermutlich langsamer aufgebaut“, sagt auch Matthias Siepe, der mit anderen Gründern Westwing hochzieht, einen Shoppingclub für Möbel und Dekoration – und eine Kopie einer US-Plattform. Offenbar hat der schnelle Aufbau Konsequenzen. Anfang Oktober mussten 15 Prozent der Mitarbeiter am Münchener Standort gehen, weil das Start-up in einigen Abteilungen zu viele neue Mitarbeiter eingestellt hatte. „Fehler zu machen ist doch völlig normal und notwendig, um besser zu werden. Das wird in Deutschland vielleicht noch nicht so gesehen wie in den USA“, meint Siepe, der von sich sagt, dass er in eineinhalb Jahren als Gründer so viel gelernt hat wie in sechseinhalb Jahren bei Bain.

Würden die Gründer selbst Berater anheuern? „Wir haben hier auch schon einige Berater eingestellt, das nimmt uns ein gewisses Risiko, und wir wissen, dass sie ihr Grundhandwerk verstehen. Dafür sind sie meist nicht die Günstigsten“, sagt Siepe. Für die 21Diamonds-Gründer Biller und Werner ist das kein Thema: „Ins Gehaltsgefüge würden sie nicht passen.“ Mit den Branchengehältern – Einsteiger verdienen bei den Topberatungen bis zu 70 000 Euro – können sie nicht mithalten. Das gilt auch fürs eigene Auskommen. Anfangs hätten sie von etwa einem Fünftel dessen gelebt, was sie früher verdienten, sagen beide. Heute seien es 30 bis 35 Prozent.

Aber allein darum gehe es auch nicht. „Die Selbstverwirklichung und etwas von Anfang bis Ende selbst zu verantworten – das lässt sich nicht in Geldbeträgen messen“, sagt Werner. Irgendwann wollen sie aber schon wieder so viel verdienen wie zuvor. „Als Berater versteht man ja, was man gründen muss, um das alte Gehalt wiederzubekommen“, sagt Werner. Sie müssen nur ihre eigenen Ratschläge beherzigen: Die Umsätze hochbringen und profitabel werden. (HB)

Stefani Hergert

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