zum Hauptinhalt

Berlin Kreuzberg: Ein eigenes Stückchen Naunynkiez

Nicht nur Problemquartier: Aus den größtenteils türkischstämmigen Mietern von Kreuzberger Häusern werden Miteigentümer

Türkische Imbisse, Reisebüros und Bäckereien prägen die Gegend um Adalbertstraße, Waldemarstraße und Naunynstraße in Kreuzberg. Besonders gepflegt wirken die wenigsten Häuser. In solche Gegenden blicken Soziologen und Politiker, wenn es um Problemkieze geht.

Aber ausgerechnet an dem schwierigen Standort realisiert derzeit die Wohnungsbaugenossenschaft (WBG) Am Ostseeplatz ein Modellprojekt, in dessen Rahmen türkischstämmige Mieter zu engagierten Genossenschaftsmitgliedern werden sollen. Im Sommer vergangenen Jahres hat die Genossenschaft von der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte zwölf Grundstücke mit insgesamt 182 Wohnungen und elf Gewerbeeinheiten erworben, deren Mieter zu 60 Prozent aus der Türkei stammen. Zwei Ziele verfolgt sie dabei: Sie will die Häuser sanieren und gleichzeitig den bisherigen Mietern die Möglichkeit geben, als Genossenschaftsmitglieder aktiv an der Gestaltung ihres Umfelds mitzuwirken.

„Das Projekt wird sehr gut angenommen“, sagt Genossenschaftsvorstand Richard Schmitz. Nach seinen Worten sind bisher gut 50 der rund 180 Mieter der Genossenschaft beigetreten. Das ist alles andere als selbstverständlich, da Wohnungsbaugenossenschaften in der Türkei einen schlechten Ruf haben und zudem eine ganz andere Aufgabe erfüllen als in Deutschland: Es handle sich bei ihnen um eine Art offene Immobilienfonds, die Geld einsammeln, um Siedlungen zu bauen. Nach Fertigstellung lösten sie sich auf, erklärt Schmitz.

Nicht nur aus diesem Grund gingen dem Kauf der Wohnungen intensive Vorarbeiten voraus. Innerhalb des vom Bundesbauministerium unterstützten Programms Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (Exwost) untersuchten die Berater Barbara Rolfes-Poneß und Thomas Bestgen, ob das Genossenschaftsmodell überhaupt realisierbar sei. Dabei zeigte es sich, dass die Mieter zwar zu einem großen Teil von Arbeitslosengeld II leben, sich aber gleichzeitig stark mit ihrem Kiez identifizieren: Immerhin die Hälfte der türkischstämmigen Befragten erklärte, sich in Kreuzberg und nicht in der Türkei zuhause zu fühlen.

Trotzdem ließ sich der ursprüngliche Plan, die Häuser durch eine neue, von den Mietern gegründete Genossenschaft zu erwerben, nicht umsetzen. Wegen der sozialen Rahmenbedingungen im Kiez habe sich die Finanzierung dieses Weges als unmöglich herausgestellt, berichtet Schmitz. Als realistischer erwies sich der Anschluss an eine bestehende Genossenschaft. Die Wahl fiel auf die WBG Am Ostseeplatz, weil diese im Jahr 2002 bereits 214 Wohnungen in Prenzlauer Berg erworben und anschließend saniert hatte und zudem aus wirtschaftlichen Gründen ihren Bestand vergrößern wollte.

Doch auch für die Genossenschaft war es keine einfache Sache, das nötige Geld aufzutreiben. Schließlich gelang es, eine Bank von dem Projekt zu überzeugen – wenn auch nicht im eigentlich geplanten Umfang: Statt 17 konnte die WBG zunächst nur zwölf Grundstücke erwerben. Die anderen fünf will sie nun später kaufen. Wie hoch das Investitionsvolumen ist, verrät Schmitz nicht; die Voruntersuchungen im Rahmen des Exwost-Programms hatten den Betrag auf 11,5 Millionen Euro beziffert.

Im Moment kümmert sich die Genossenschaft um liegengebliebene Instandhaltungsmaßnahmen an den Gründerzeithäusern, an denen zum Teil seit fast drei Jahrzehnten nichts gemacht worden ist. So lässt sie zum Beispiel Treppenhäuser sanieren, Fassaden überarbeiten und in Häusern mit Ofenheizung eine Zentralheizung installieren. Die Sanierungskosten beziffert Schmitz auf bis zu 600 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Trotzdem bleiben die Nutzungsentgelte (so heißen die Mieten bei Genossenschaften) günstig: „Wir werden unter dem Mietspiegelwert von 4,34 Euro pro Quadratmeter landen“, versichert Schmitz – was allerdings nur möglich sei, weil sich das Land Berlin finanziell beteilige.

Darüber hinaus will die Genossenschaft das Gemeinschaftsgefühl der Bewohner stärken. Eine ehemalige Eckkneipe an der Adalbertstraße verwandelt sie deshalb in einen Treffpunkt, und in einer Remise wird ein Fitnessraum für Frauen eingerichtet. Türkischsprachige Mitarbeiter stehen als Ansprechpartner für die Mieter und Genossen zur Verfügung. „Wir versuchen“, sagt Schmitz, „die Leute davon zu überzeugen, dass genossenschaftliches Wohnen gut ist, weil es eine soziale Miete gewährleistet und Mitbestimmungsmöglichkeiten bietet.“

Auf offene Ohren gestoßen ist diese Argumentation beim 40-jährigen Erol Hascelik, der sein ganzes Leben im Kiez an der Adalbertstraße verbracht hat und jetzt als Hausmeister für die Genossenschaft arbeitet. „Berlin ist meine Heimat geworden“, sagt er. Deshalb war es für ihn klar, Mitglied der Genossenschaft zu werden. Eigentlich aber möchte er mehr – nämlich seine Wohnung kaufen. „Wir sind Menschen, die Boden brauchen“, sagt er dazu. Das ist auch gar nicht ausgeschlossen: Als eigentumsorientierte Genossenschaft bietet die WBG Am Ostseeplatz die Möglichkeit, die Häuser in Eigentumswohnungen umzuwandeln, wenn mindestens die Hälfte der Bewohner das wollen. Nach Einschätzung von Schmitz ist das allerdings „Musik von übermorgen“.

Vorerst geht es um einfachere Dinge – zum Beispiel darum, den Bewohnern klar zu machen, dass sie jetzt als Mitglieder und damit Miteigentümer selbst Verantwortung tragen. „Mein Ziel ist, dass das Haus sauber ist und sich die Leute schämen würden, etwas auf den Boden zu werfen“, sagt Hausmeister Hascelik. Nun ja, einige Bewohner müssten „noch erzogen“ werden; aber insgesamt, bestätigt Genossenschaftsvorstand Schmitz, klappe zum Beispiel die Mülltrennung erstaunlich gut.

So könnte gelingen, was Thomas Bestgen und Barbara Rolfes-Poneß bei der Voruntersuchung als Ziel ausgaben: dass „ein wichtiger Beitrag zur Beteiligung türkischstämmiger Haushalte geleistet und eine neue Möglichkeit zur Stabilisierung von Quartieren eröffnet“ wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false