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Immobilien: Berliner Insellage zu verkaufen

Der Liegenschaftsfonds Berlin bietet im Tegeler Hafen ein bisher unbebautes Eiland und ein Stück Festland feil

Die Brücken mit ihren filigranen, eisernen Geländern erinnern an Paris oder an London in vergangenen Zeiten. In einem sanften Bogen überspannen sie das Wasser. Auf der Insel selbst herrscht Stille. Ein paar Jogger und vereinzelt Spaziergänger, mit Hund oder Kinderwagen, sind an diesem Wochentag unterwegs. Zwischen jungen Birken stehen auf einer Wiese ein paar verwitterte Holzstelen, die von einem unbekannten Künstler wie indianische Totempfähle behauen sind. Im Wasser putzen Schwäne ihr Gefieder und Enten suchen einen Platz an der Sonne.

Sie ist ein Idyll, die Insel im Tegeler Hafen, auch wenn sie künstlich ist – denn das Eiland wurde 1987 zur Internationalen Bauausstellung (IBA) angelegt. Eine Grünfläche sollte das Areal nie bleiben. „Die Insel war schon immer als Wohnbaufläche ausgewiesen“, sagt der zuständige Reinickendorfer Baustadtrat Michael Wegner. Jetzt sucht das Land einen neuen Käufer. Bis zum 6.Mai läuft die Ausschreibung des Liegenschaftsfonds Berlin. Danach könnte ein neuer Eigentümer die Geschicke des Eilands bestimmen.

Noch wirkt die Insel wie ein Zeugnis der Deindustrialisierung. Sie könnte so auch im Ruhrgebiet liegen. Vor mehr als hundert Jahren erwarb August Borsig am Tegeler See viele Flächen und baute hier eine Lokomotivfabrik. Anschließend ließ er einen Hafen für 20 Lastkähne ausheben. Beides – Hafen und Fabrik – sind heute Geschichte. Mit der Lastschifffahrt ging es schon 1970 zu Ende. Die letzten Flächen der Fabrik gab der heutige Inhaber Thyssen im Jahr 1992 auf. Zur Internationalen Bauausstellung 1987 in Berlin schüttete man für 20 Millionen Mark den Hafen und darauf die 9000 Quadratmeter große Insel auf. Das Wasser ist heute nur ein paar Zentimeter tief. Das Eiland ist betonummantelt.

In den vergangenen Jahren gab es auf der Insel Jazz-Konzerte, Open-Air-Festivals und bis 2001 die zuletzt bundesweit bekannte „Reinickendorfer Kriminacht“: Einmal im Jahr treffen sich Autoren von Kriminalromanen aus ganz Deutschland und lesen aus ihren neuen Werken. Mittlerweile hat man die Veranstaltung in eine denkmalgeschützte Halle auf dem Borsig-Gelände verlegt.

Das erste Nutzungskonzept sah ein „Spaßbad“ und ein Kulturzentrum vor. Geld dafür war nicht da. Das Vorhaben wurde aufgegeben. Mit dem Baukonzern Philipp Holzmann kam 1989 der erste Investor ins Spiel. Doch auch er gab Pläne für ein Freizeitzentrum wieder auf. Im Jahr 1996 trat die Rentaco an. Sie wollte ein Seniorenzentrum errichten und auf dem angrenzenden Festland an der Karolinenstraße 21, neben der Humboldt-Bibliothek, sechs- bis achtstöckige Bauten. Für die rund 60 Millionen Euro waren auf der Insel auch 200 Seniorenwohnungen vorgesehen, die man in drei- bis fünfgeschossigen Gebäuden unterbringen wollte. Geplant ferner: eine Tiefgarage, ein Wellnesszentrum, Gastronomie. In den Neubauten neben der Bibliothek sollten ein Ärztehaus und ein Hotel entstehen. Doch dazu brauchte die Firma einen neuer Bebauungsplan – und die Zustimmung der Bewohner in der Umgebung.

Doch mit all diesen Vorhaben waren die Anrainer überhaupt nicht einverstanden. Die aufbegehrenden Bürger wohnen auch erst seit der IBA in der Nähe der Insel: Rund um den ehemaligen Hafen war in dieser Zeit eine Uferpromenade mit Wohnbauten im postmodernen Stil entstanden. An deren Gestaltung war unter anderem auch Kanzleramts-Architekt Axel Schultes beteiligt. Die Bebauung auf der Insel und dem gegenüber liegenden Grundstück, so fürchteten die Anwohner, werde ihnen künftig den Blick aufs Wasser verstellen. Zudem ist der Alexandersteg die einzige Brücke, über die man mit dem Auto auf die Insel fahren kann. Und der Steg lag direkt vor den Häusern der bewegten Bürger und dort war zuvor kein Verkehr zugelassen. Nun drohten Lärm und Gestank.

Deshalb gründeten die Betroffenen die „Bürgerinitiative Tegeler Hafen“. Einige verlangten, dass die Insel als Grünfläche unbebaut bleibt. Andere, wie die Vorsitzende der Bürgerinitiative, Karin Joigneaux, schlugen weniger und niedrigere Häuser als von der Rentaco geplant. „Wir haben uns damals auch an alle Fraktionen im Senat gewandt,“ sagt Joigneaux. Die Bezirkspolitiker reagierten auf die 6000 Wählerstimmen. Doch noch bevor diese Zugeständnisse machten, hatte die Rentaco bereits Insolvenz angemeldet. Kurze Zeit danach versprach die Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura, dass die Dichte künftiger Bebauungspläne für die Insel um ein Drittel geringer ausfallen werde.

Diese Vorgabe hat auch der Liegenschaftsfonds in seiner jetzigen Ausschreibung berücksichtigt. Die so genannte Geschossflächenzahl (GFZ) ist mit 0,9 bis 1,0 vorgegeben. Früher lag sie bei 1,4. Die GFZ gibt Auskunft über die Bebauungsdichte. Einfacher ausgedrückt: „Die Insel und das Festland sollen mit drei- bis viergeschossigen Häusern bebaut werden.“ So heißt es in einer Pressemitteilung des Liegenschaftsfonds. „Angestrebt“ sei außerdem eine „luftige Bebauung mit Durchblicksschneisen“. Und auch der Verkehr bleibt eingeschränkt: Über die Anwohnerstraße und den Alexandersteg dürfen nur Versorgungsfahrzeuge, Taxen und Einsatzfahrzeuge fahren. Wer Privatwohnungen auf der Insel errichten will, muss eine Tiefgarage bauen mit einer unterirdischen Zufahrt vom Grundstück Karolinenstraße 21 aus. „Wer das wirklich will“, sagt die Sprecherin des Liegenschaftsfonds, Annette Mischler, „muss es also teuer bezahlen.“

Ausschreibungsschluss sollte ursprünglich schon am 11.April sein. Kurz vor diesem Termin gab der Liegenschaftsfonds dann jedoch eine Verlängerung bis zum 6.Mai bekannt. Dies liege nicht etwa daran, dass sich kein Investor gemeldet habe, heißt es bei dem Fonds. Sprecherin Mischler: „Manche haben um eine Verlängerung gebeten.“ Drei Wochen nach Ausschreibungsschluss will der Liegenschaftsfonds den Sieger des Bieterverfahrens bekannt geben. Bei der Ausschreibung handle es sich um ein „Interessenbekundungsverfahren“ für „Projektentwickler und Investorengruppen“. Wer den Zuschlag erhält, bekomme eine „Option“ auf das Grundstück und müsse dafür zehn Prozent des Kaufpreises zahlen. Komme der Kaufvertrag am Ende nicht zustande „aus Gründen, die der Verkäufer oder das Land Berlin zu vertreten hat,“ erhalte der Investor die Anzahlung zuzüglich Zinsen zurück.

Die Rentaco hatte laut Zeitungsberichten 1996 rund 10 Millionen Euro für die Insel und das 7000 Quadratmeter große Grundstück auf dem angrenzenden Festland bezahlt. Allerdings versprach die höhere Baudichte damals größere Erträge. Wie hoch der Verkehrswert heute ist, mag Mischler nicht sagen, „da die Ausschreibung ein Bieterverfahren ist.“ Findet sich ein Interessent für die Insel, steht die Bürgerinitiative schon in den Startlöchern. Der Baustadtrat habe versprochen, neue Baupläne mit den Anrainern zu besprechen, so Initiativen-Chef Joigneaux. Baustadtrat Wegner dazu: „Einwände der Anwohner gilt es zu berücksichtigen.“

Bernd Hettlage

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