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Demenz-WG

© dpa

Demenzkrankheit: In der WG geht’s automatisch besser

In Duisburg leben Demenzkranke in einer Modellwohnung: Wie moderne Technik eine besondere Wohngemeinschaft ermöglicht

In der WG von Anna Maria Wagner geht der Herd nach zwei Stunden aus. Automatisch. Das muss er auch, denn Frau Wagner und ihre Mitbewohner leiden an Demenz. "Ich vergesse alles", sagt die sehr gepflegte ältere Dame. Wie alt sie ist und wie die Enkelkinder heißen. Manch einer vergisst auch, dass man sich im Winter warm anziehen und die Haustür hinter sich schließen muss. Und dass ein vergessener Topf auf dem heißen Herd gefährlich ist. Darum sind in Frau Wagners WG ein paar Extras wie eben der "Sicherheitsherd" eingebaut.

Bei der WG handelt es sich um eine Modelleinrichtung der Alpha gGmbH, einer 100-prozentigen Tochter des katholischen Sozialwerks St. Georg. Das Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme ist mit einer konzeptionellen Begleitung beteiligt, vor allem an der Musterwohnung im Erdgeschoss. Heike Perszewski, Prokuristin bei Alpha, hat die inhaltliche Gesamtleitung der WG inne, sechs "Alltagsbegleiter" kümmern sich um die Bewohner, dazu sogenannte "Fachkräfte für die medizinische Leistung" sowie Schüler und Praktikanten.

In Frau Wagners WG-Küche befindet sich nicht nur der Herd mit Zusatzschaltung, sondern auch ein Rauchmelder. Ein Muss. Man könnte natürlich den Herd ganz abschaffen. Das aber bedeutet erstens eine Bevormundung, zweitens macht Kochen nicht nur Spaß, sondern stellt auch ein gewisses Training dar, erklärt Heike Perszewski, darum werde täglich mit den Bewohnern zusammen gekocht: "Einer kann Kartoffeln schälen, einer deckt den Tisch, einer ist bettlägerig", zählt sie auf.

Vernetzung und Technik sind nicht alles

Herd und Rauchmelder sind mit vielen anderen Komponenten, außerdem Computer und Handy, zu einem Netzwerk verbunden. In der Praxis sieht das so aus: Nach zwei Stunden Kochen geht der Herd aus und ein Altenpfleger bekommt eine SMS. Wenn der Rauchmelder schrillt, stellt sich der Herd auch aus, und wieder geht eine SMS los.

Vernetzung und Technik sind aber nicht alles: Das Milieu ist demenziell ausgerichtet, erklärt Frau Perszewski, "die Technik ist bloß ein Teil des Milieus, und das ist ganz individuell ausgestaltet, je nach Bedarf". Das fängt schon bei den Farben an: Weiß wirkt bedrohlich, daher sind die Wände cremefarben. Bei den Fußböden wird schwarz vermieden, denn das wirkt wie ein Loch. Die Decken sind grün, das gibt ein Gefühl der Sicherheit. Auch wichtig: die Möbel. In der Musterwohnung kann man sogar Tische und Schränke in der Höhe verstellen, so dass sie von Rollstuhlfahrern ebenso gut genutzt werden können wie von Zwei-Meter-Männern.

Im Bad der Musterwohnung wird noch eine neue Technik erprobt: eine Folie mit Sensoren, die Widerstände misst. Die erkennt erstens Pfützen, zweitens Gewicht. Solche Informationen schickt sie an einen Computer. Auf dessen Bildschirm ist ein Grundriss der Wohnung abgebildet - mit roten Punkten dort, wo die Matte einen Widerstand gemessen hat. Das kann heißen: Pfütze, rutschig! Viele rote Punkte bedeuten: Hier liegt jemand. Womöglich ist ein Mensch gestürzt und kann nicht mehr aufstehen. Dann bekommt der Pfleger automatisch eine SMS vom Computer, außerdem geht das Licht an.

Manche Extras unterstützen auch die Betreuer, so die Dokumentation: In einem Heim mit 24 Bewohnern müssen Pfleger im Verlauf von 24 Sunden nämlich 823 sogenannte "Handzeichen" leisten, erklärt Frau Perszewski, alles, was sie überprüfen, müssen sie dokumentieren: Fieber, Blutdruck, Zähne putzen. Imme Lanz ist die Geschäftsführerin des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege e. V.: "Da geht sehr viel Zeit drauf", sagt sie, "aber falls es dem Bewohner mal schlechter geht, müssen sie jeden Schritt dokumentieren, um sich später rechtfertigen zu können." In der Duisburger Musterwohnung hängen Terminals im Flur. Wie in einem Computer kann man mit einem Klick die Leistungen für mehrere Patienten auf einmal markieren, wenn man zum Beispiel alle Leute gewaschen hat. Geht viel schneller, als ins Büro zum PC zu laufen und dort alles zu notieren.

Zurück zur Technik, die den Bewohnern hilft. Das Josias-Löffler-Diakoniewerk Gotha gGmbH hat ein diakonisches Altenzentrum "intelligent" umstrukturiert und nutzt schon derartige Sensorböden. Allerdings nicht im Bad, sondern im Schlafzimmer, als "Sturzsensormatte", sagt die Heimleiterin Heidrun Schönfeld. Erstens im Bett, da gibt die Matte ein Signal, wenn ein sturzgefährdeter Bewohner allein aufsteht, damit der Mitarbeiter hineilen und helfen kann. Zweitens vor dem Bett, die Matte sendet ein Signal, wenn jemand drauftritt.

Auch in Duisburg plant man die Sensormatte fürs Schlafzimmer: "Manchmal werde ich nachts wach, dann stehe ich auf. Ich gehe zum Fenster und gucke, wie die Autos vorbeirauschen. Irgendwann lege ich mich wieder hin und schlafe", sagt Anna Maria Wagner. Falls sie dabei stürzen sollte, würde es der Nachtdienst bemerken. Allerdings versuchen die Duisburger vor allem, Stürzen vorzubeugen - damit die Sensormatte gar nicht erst Alarm zu schlagen braucht.

Nachts weiß Frau Wagner nämlich nicht mehr, wo sich der Lichtschalter befindet. Das passiert ziemlich vielen Menschen mit Demenz. Manche vergessen sogar, dass es überhaupt Schalter gibt, mit denen man Licht machen kann. In manch einem Krankenhaus oder Altenheim werden die Leute festgebunden, damit sie nicht aufstehen, im Dunkeln umherirren, stürzen und sich den Oberschenkelhals brechen.

Wer vergisst, dass es Lichtschalter gibt, braucht jedoch keine Fesseln, sondern automatisches Licht. Darum sind in der Duisburger WG neben den Betten funkgesteuerte Bewegungsmelder installiert: Wer aufsteht, aktiviert dabei automatisch eine Lampe. Diese ist unter dem Bett angebracht, so dass sie nicht blendet. Sie beleuchtet Teppichkanten, Stühle, Ecken, Türen - eben das, worüber ein alter Mensch stolpern oder woran er sich stoßen könnte. Das automatische Licht gefällt Frau Wagner. "Das finde ich gut, dann sehe ich ja alles", sagt sie trocken.

Ulrike Heitmüller

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