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Immobilien: Die Lebensabschnittsimmobilie

Die Amerikaner kaufen Immobilien wie die Deutschen Autos: alle paar Jahre etwas Neues. Doch hierzulande kann sich kaum jemand das passende Wohneigentum zum jeweiligen Lebensabschnitt leisten

In den USA kaufen die Menschen nicht ein Mal im Leben eine Immobilie, sondern gleich mehrfach: beim Einstieg in den Beruf, wenn die Familie Nachwuchs erwartet – und wenn ein Job-Angebot zum Umzug zwingt. Setzt sich der rege Immobilienhandel unter Privatleuten bald auch hierzulande durch? Immerhin hängen 80 Prozent aller Deutschen, glaubt man Statistiken der Landesbausparkassen, dem Wunsch nach Wohneigentum nach. Doch vom Wunsch ist die Wirklichkeit noch weit entfernt: Nur die Hälfte der Bundesbürger haben eine selbst genutzte Immobilie. Weniger als in fast allen anderen Ländern Europas.

Amerikanische Gewohnheiten in Deutschland sind allenfalls für eine kleine Oberschicht von Spitzenverdienern denkbar, die auch herbe Verluste beim Verkauf des City-Penthouses oder der Villa im Grünen mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. Dagegen muss die Mehrheit der Deutschen, und der Berliner allen voran, der „Lebensabschnittsimmobilie“ schon aus einem einfachen Grunde eine Absage erteilen: wegen der Immobilienkrise.

„In Berlin sind die Immobilienpreise in den vergangenen zehn Jahren gefallen“, sagt Jörg Sahr, „wer in dieser Zeit ausgestiegen ist, hat draufgezahlt“, weiß der Immobilienexperte der Stiftung Warentest. Teuer komme der Immobilienhandel in Deutschland auch deshalb, weil Nebenkosten für Makler, Grunderwerbsteuer, Notar und Grundbucheintragungen bei jedem Kauf bezahlt werden müssen. Diese Kosten seien aber nur in guten Zeiten durch Wertsteigerungen hereinzuholen. „Immobilien sind in Deutschland eine langfristige Anlage“, bilanziert Immobilienexperte Sahr.

Dieselbe Erfahrung macht der Gründer und Gesellschafter der Interhyp: „Einem raschen Verkauf steht außerdem noch die zehnjährige Spekulationsfrist in Deutschland im Wege“, sagt Robert Hasselsteiner. Sein Unternehmen ist einer der erfolgreichsten Kreditvermittler im Internet und das neue Medium hat eine entsprechend junge Kundschaft. Umso überraschender ist daher Hasselsteiners Erfahrung: „Auch unsere Kunden sind im Schnitt Ende 30 und geben meistens wegen Familienzuwachs ihre Mietwohnung in der City auf, um in das Eigenheim im Grünen zu ziehen.“ Nicht die „Lebensabschnittsimmobilie“, wie sie in den USA üblich sei, suchten Käufer in Deutschland. Sie hätten beim Grunderwerb vielmehr eine langfristige Perspektive vor Augen. Dass dieser Plan einstweilen durchkreuzt werde, habe oft weniger mit selbstbestimmten Entscheidungen zu tun als mit Schicksalsschlägen: Wenn die Ehe zerbricht oder der Arbeitsplatz verloren geht, dann müsse man das Eigenheim oft doch aufgeben – und zurück in eine Mietwohnung ziehen.

„Wer mobil bleiben will, muss zur Miete wohnen“, sagt die Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin Ursula Rühle. „Alles andere lässt sich aus Renditeaspekten nicht darstellen.“ Allerdings rückten nicht alle die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund. Einige entschieden sich aus anderen Gründen für Wohneigentum: „Dabei geht es dann um die Lebensqualität, die ein Eigenheim mit Garten in einem schönen Vorort mit intakter sozialer Infrastruktur bringt“, sagt Rühle – die Immobilie als Luxusgut.

Das sieht Warentester Sahr ähnlich: „Wer ins Eigenheim ziehen will, hat in Berlin eine große Auswahl.“ Allerdings lägen die Preise, gemessen an den Mieten, oft „an der Schmerzgrenze“. Wer ein Haus für das 25-fache der derzeit bezahlten Jahresmiete kaufe, sollte sehr gute Gründe für dieses hohe wirtschaftliche Risiko haben. Darauf zu spekulieren, dass der Wert des Hauses in Zukunft steigt, sei einfach blauäugig.

Das zählt zu den bittersten Erkenntnissen der Branche: Die Wertsteigerungen, die Immobilieneigentümer in vergangenen Jahrzehnten automatisch zu vermögenden Menschen machte, gibt es nicht mehr. In den neuen Ländern und in Berlin fallen die Preise sogar seit gut zehn Jahren. Wer Wohneigentum in diesem Zeitraum erworben hatte, wird dieses in schlechten Lagen nicht mehr los, in guten Lagen nur weit unter Kaufpreis.

Wie lange diese Entwicklung anhält, ist umstritten. Die Statistik liefert Stoff für Pessimisten und Optimisten gleichermaßen: Die rückläufige Geburtenzahl spricht gegen Immobilienerwerb, denn weniger Menschen brauchen weniger Wohnraum. Dem halten Optimisten eine ebenfalls statistisch belegte Entwicklung entgegen: Die Zahl der Haushalte nimmt zu, weil es immer mehr Singles oder alleinerziehende Personen gibt, und diese wollen immer größere Wohnungen.

Ob sich die Kleinsthaushalte jedoch Wohneigentum leisten können, bleibt fraglich. Beim Online-Dienstleister Interhyp weiß man: „Eigentlich müssten die Leute heute Immobilien kaufen wie noch nie, weil die Finanzierungskosten rekordverdächtig niedrig sind“, sagt Hasselsteiner. Anders ausgedrückt: Noch nie konnte man mit so geringen Monatsraten so viel Wohnraum erwerben. Dies habe in Großbritannien zu einem regelrechten Run auf Immobilien geführt. Nur in Deutschland herrsche Kaufverweigerung. Die Experten erklären dies mit der Stimmung im Lande: „Die Unsicherheit geht um“, sagt Hasselsteiner. Die Menschen hielten ihr Geld zusammen, das Risiko hoher Schulden gehe niemand gerne ein. Der Umbau des Sozialstaates, der Abbau von Arbeitsplätzen, die Stagnation – gute Gründe für viele Deutsche eine langfristige Bindung an Grundeigentum zwei Mal zu überdenken.

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