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Zusammenziehen: Ein Fall für Zwei

Es klang so einfach: Wir ziehen zusammen. Dann brachte sie Kissen, Poster und Pflanzen in die Wohnung. Protokoll einer Irritation.

Das erste Mal, als ich ahnte, dass hier etwas nicht stimmt, war an einem Samstagmorgen. Sie sagte, ich dürfe die Heizung nicht so weit aufdrehen, das schade den Topfpflanzen. Es störte sie nicht, dass ich fror. Es schien auch egal, dass ich keine dieser Pflanzen je haben wollte. Wie waren sie überhaupt in unsere Wohnung gelangt?

Es ist wie mit den Kissen auf der Ledercouch. Als ich sie bemerkte, war es zu spät. Sie gehörten einer Freundin, die umzog, sagt Odile. Wäre doch schade, sie einfach wegzuwerfen. Um fernzusehen, muss man jetzt acht Kissen beiseite räumen. Manche sind gestreift, manche bestickt, andere haben so kleine hübsche Bommel dran. Ich mag keine Bommel.

Es ist wie mit den Postern. Odile sagt, wir könnten beide gleichberechtigt entscheiden, aber nach elf gemeinsamen Wochen hängt an den Wänden doch nur, was ihr gefällt. In der Küche ein wirres Selbstporträt von Egon Schiele, dem Expressionisten. Dazu überall Filmplakate und Kunstkarten aus Frankreich, denn dort kommt sie her. Mein Oasis-Poster liegt im Umzugskarton im Keller. Sobald wir einen Platz finden, wird es aufgehängt, sagt Odile.

Es ist wie mit den Lampen. Es ist wie mit den Duftkerzen. Es ist wie mit den kleinen Glöckchen. 83 Quadratmeter sind 83 Gründe, sich in die Haare zu kriegen.

Wenn zwei Menschen überlegen, ob sie zusammenziehen, weil sie sich mögen und mehr Zeit miteinander verbringen möchten, hilft ihnen keiner bei der Entscheidungsfindung. Es heißt zwar: Der Zeitpunkt muss stimmen. Bloß verrät niemand, woran man diesen einen Zeitpunkt bitte schön erkennt, wenn er kommt. Oder welche Konflikte drohen. Mein Onkel sagt, zusammenwohnen ist ein bisschen wie Kreuzbandriss: Man muss das selbst erlebt haben, als Außenstehender kann man sich das nicht vorstellen.

Wir haben einen Test gemacht. Die Frauenzeitschrift „Elle“ bietet im Internet psychologische Fragebögen an. Zwischen „Sind Sie bereit für eine Affäre?“ und „Entgiften, der neue Trend: Welcher Detox-Typ sind Sie?“ verspricht einer herauszufinden, ob ein Paar schon reif ist für die gemeinsame Wohnung. Man muss sich zum Beispiel entscheiden, ob die eigene Beziehung eher einer „weißen Wolke“, einem „jungen Baum“ oder einem „Wasserstrudel“ gleicht. Wir nahmen den Baum. Am Ende sagte das Programm, unsere Antworten seien uneindeutig und passten in zwei Kategorien: „unbedingt zusammenziehen!“ sowie „Sie sind noch nicht so weit“.

Das Grauen unseres Zusammenwohnens hat ein Gesicht. Es ist das eines asymmetrisch glotzenden Fisches. Das Tier ist aus Ton und grob glasiert, sein linkes Auge hängt drei Zentimeter tiefer als das rechte. Oben hat es drei Löcher, damit man Blumen reinstecken könnte, wenn man sich für Blumen interessierte.

Der Fisch ist aus einem Töpferdorf nahe ihrer Heimatstadt Bourges, Odile dachte, er sei ein tolles Geburtstagsgeschenk. Weil ich sie nicht verletzen wollte, steht er jetzt prominent auf unserem Kühlschrank, von keinem Punkt der Küche aus zu übersehen. Glasiert in den Farben trübblau und ocker. An den Seiten sind die Farben ineinander verlaufen, wer sich nah genug vorbeugt, sieht lauter kleine Blasen auf der Oberfläche. Würden wir getrennt wohnen, könnte ich das Ding verstecken und nur bei Besuchen ins Regal stellen.

Eine Umfrage des Magazins „Freundin“ ergab: Jeder zweite Mann und jede dritte Frau haben Angst, sich in einem gemeinsamen Zuhause eingeengt zu fühlen.

Als wir zusammenzogen, stellte ich mir das so vor: einmal alles einrichten und dann den Status quo halten. Ich wusste nicht, dass die eigentliche Gestaltung der Räume, die kleinen und großen Machtkämpfe, erst danach beginnen.

Es geschah auch viel Positives. Ich habe gelernt, dass man beim Kochen mehr als zwei Gewürzsorten verwenden kann. Dass jedes Frühstück unbedingt eines separaten Löffels für den Honig bedarf, weil die Butterreste am Messer auf keinen Fall ins Honigglas gelangen dürfen. Dass beim Duschen nicht so viel Shampoo benutzt wird. Dass man im Schlafzimmer am besten das Deckenlicht auslässt und dafür viele kleine Lampen anknipst, weil es so deutlich gemütlicher wirkt.

Stelle ich mich in den Flur und schaue abwechselnd in alle drei Zimmer, sehe ich kein einziges Möbel, dessen Position ich selbst bestimmt hätte. Tischplatte da hin, Bett dort, den Schrank lieber an die Südwand, da stört er nicht. Ein Mitspracherecht besteht nur theoretisch. Es hat wohl auch mit Berufen zu tun. Wer morgens zuerst geht und abends später kommt, hat kaum Gelegenheit, in Abwesenheit des Partners Fakten zu schaffen.

Vielleicht hat es meine Generation besonders schwer: die Generation der Freiheitsverwöhnten, die sich erst mit über 30 in die erste gemeinsame Wohnung wagen. Die vom Elternhaus in Studenten-WGs oder Singlebuden zogen, eigene Vorlieben entwickelten, vielleicht ein wenig kauzig wurden. Wer zwölf Jahre nur für sich selbst verantwortlich war, ist überrascht, wenn alte Gewissheiten von einem Tag auf den anderen nicht mehr gelten. Plötzlich soll Fertigsushi aus dem Supermarkt nicht mehr lecker sein. Soll einmal im Monat saugen zu wenig sein, Weintrinken aus Bechern stillos.

„Versuchen Sie nicht, den Partner zu erziehen“, heißt es in praktisch jedem Beziehungsratgeber. „Suchen Sie lieber Kompromisse!“ Wäre es bloß so einfach.

Zum Beispiel die Schuhe: Die soll man gleich im Flur ausziehen, finde ich. Wegen Kaugummiresten und dem, was sich sonst noch unter Sohlen sammelt, die über Berliner Straßen laufen. Odile sagt, sie sehe das nicht so, doch in einer Beziehung müsse man einander entgegenkommen, also willigte sie ein. Jetzt zieht sie die Schuhe aus, aber niemals direkt an der Eingangstür, sondern erst, nachdem sie den langen Flur komplett abgeschritten und das Licht im Wohnzimmer angeschaltet hat.

Ich glaube, es ist Provokation. Sie will, dass ich das Problem erneut anspreche, mich als Kontrollfreak oute. Odile fand es schon seltsam, als ich wegen ihr die Hausratsversicherung aufstocken wollte. Sie vergisst gerne, die Herdplatte auszustellen. Sie lässt Gläser fallen. Nur der hässliche Fisch rutscht ihr nie aus den Händen.

Wenn jemand helfen kann, dann Ursula Nuber. Die Frau ist Diplompsychologin und eine von Deutschlands führenden Zusammenwohnexperten, sie hat das Buch „Was Paare wissen müssen“ geschrieben, sie betreibt eine Praxis in Hirschberg bei Heidelberg. Man muss sich stets fragen, was dahintersteht, sagt Frau Nuber am Telefon. „Geht es Ihnen tatsächlich um den Fisch – oder fragen Sie sich eher, wo Sie selbst in der Wohnung vorkommen, ob Sie genug Spuren hinterlassen?“ Der Kardinalfehler zusammenziehwilliger Paare sei schlicht das Unterschätzen der Unterschiede: „Die allermeisten Menschen haben davon mehr als Gemeinsamkeiten.“

Trost spendet die Gewissheit, dass es anderen noch schlimmer ergeht. Wen man auch fragt, jeder hat eine eigene Leidensgeschichte parat. Meinen Bekannten Christoph nervt, dass seine Freundin benutzte Taschentücher grundsätzlich auf dem Tisch liegen lässt. Er selbst wirft seine auf den Boden, er findet, das sei hygienischer. Franziskas Freund hat seit zweieinhalb Jahren das Bad nicht geputzt, der von Lydia begreift nicht, dass man sich erst abtrocknet und dann aus der Dusche steigt. Katja regt sich über Teebeutel im Spülbecken auf, außerdem kann ihr Freund keinen Kaffee machen. Patricias Ehemann lässt von jeder Schokoladentafel immer genau ein Stück übrig. Er ist zu faul, die Verpackung in den Müll zu räumen, glaubt Patricia. Wenn man ihn darauf anspricht, sagt er nur: „Unverschämtheit!“

Gelogen wird auch. Eine Freundin, die hier „Anna“ heißen möchte, stritt sich mit ihrem Freund, ob in der geplanten gemeinsamen Wohnung wohl Platz für ihre Katze sei. Er wollte sie ins Tierheim geben, weil er Katzen hasst. Sie gewann mit dem Argument, das Tier sei ohnehin bereits 17 und könne also jeden Moment sterben. Annas Freund wird sich noch wundern. Die Katze ist elf.

Ehrlichkeit ist doch das Mindeste, dachte ich neulich. Also erzählte ich Odile von der Therapeutin Ursula Nuber – und dass ich gerne selbst irgendwie in der Wohnung vorkommen will. Dass ich Spuren hinterlassen möchte! Sie hörte geduldig zu, dann zählte sie meine Spuren auf: chaotische Kleiderstapel auf Stühlen, Papierberge in drei von vier Zimmerecken, orangene Plastikboxen zum Kramsammeln, den defekten Kühlschrank im Flur. So hatte ich das noch gar nicht gesehen.

Über Weihachten ist Odile bei ihrer Familie in Frankreich. Ich werde sie bald anrufen müssen. Weil ich sie vermisse und um ihr zu sagen, dass die Blumen vertrocknet sind.

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