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Immobilien: Große Wohnung verzweifelt gesucht

Familien mit drei oder mehr Kindern finden kaum bezahlbare große Wohnungen in der Innenstadt. Viele verlassen nach langer Suche Berlin. Der Markt reagiert nur langsam auf diese Nachfrage

Ulrike Specht und Werner Marquardt sind überzeugte Kreuzberger. Seit über zehn Jahren wohnt das Lehrerehepaar mit ihren drei Kindern im Bezirk. Ihre Wohnung – drei Zimmer, Altbau, 95 Quadratmeter – ist nur wenige Schritte vom Kreuzberger Viktoriapark entfernt. Auch ihre Freizeit verbringt die Familie oft im Kiez: in den Cafés an der Bergmannstraße, beim Picknick am Kreuzberger Wasserfall oder beim gemeinsamen Grillen mit den Nachbarn auf dem Hinterhof. „Ich werde die Atmosphäre hier vermissen“, seufzt Ulrike Specht. Denn spätestens im Herbst zieht die Familie nach Kleinmachnow. Der Kaufvertrag für das 160 Quadratmeter große Einfamilienhaus wurde vor kurzem unterschrieben.

„Natürlich ist es schön, ein eigenes Haus zu besitzen“, sagt die 39-jährige Lehrerin. „Eine bezahlbare Fünf-Zimmer-Wohnung in Kreuzberg hätten wir trotzdem vorgezogen.“ Doch eine größere Wohnung sei nicht zu finden gewesen – und drei Zimmer seien für die fünfköpfige Familie einfach zu wenig. „Die angebotenen Wohnungen waren entweder zu laut oder zu teuer“, klagt Ulrike Specht. Für den Kredit dagegen zahlt die Familie nicht mehr als für ihre Mietwohnung. Zudem erhält die Familie Fördermittel von der Investitionsbank Brandenburg, unter anderem 12500 Euro für jedes Kind.

Zwar existiert keine Statistik darüber, wie viele Familien aus Berlin wegziehen, weil sie keine angemessene Wohnung finden. Die Situation von Ulrike Specht und Werner Marquardt ist jedoch kein Einzelfall. Nicht wenige Familien mit drei und mehr Kindern entscheiden sich auch deshalb für ein Haus im Umland, weil sie lange Zeit vergeblich nach einer Vier- oder Fünf-Zimmer-Wohnung in der Innenstadt gesucht haben – wie der Ingenieur und seine Frau aus Wilmersdorf mit vier Kindern. Oder die Juristin, ebenfalls aus Wilmersdorf und Mutter von vier Kindern. Oder die Bankkauffrau und der Schwimmlehrer aus Charlottenburg mit drei Kindern. Allen Familien ist gemeinsam, dass mindestens einer der Ehepartner in Berlin arbeitet, die Kinder in der Stadt zur Schule gehen und sie deshalb gerne in Berlin geblieben wären. Jetzt wohnen zwei der Familien in Potsdam, eine in Stahnsdorf.

Immer weniger Familien mit drei und mehr Kindern leben in der Hauptstadt. So ist allein in den vergangenen fünf Jahren der Anteil der Fünf-Personen-Haushalte von knapp drei auf 1,56 Prozent gesunken. Zu einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt hat dies jedoch nicht geführt: Sowohl Wohnungsbaugesellschaften als auch Makler beklagen, dass große Wohnungen mit mindestens vier Zimmern in Berlin Mangelware seien – zumindest in der Innenstadt. Dies gilt übrigens nicht nur für Miet-, sondern auch für Eigentumswohnungen.

„Es gibt eine Überversorgung an Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen in der Stadt, weil in den vergangenen Jahrzehnten fast nur Wohnungen mit dieser Größe gebaut worden sind“, sagt Jürgen Michael Schick, Vizepräsident des Immobilienverbandes Deutschland. Große Wohnungen dagegen seien vor allem in den innerstädtischen Quartieren äußerst knapp. Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage ist enorm: Während nur rund 13 Prozent aller Wohnungsangebote in Berlin auf die Kategorie „vier und mehr Zimmer“ entfallen, geben immerhin 35 Prozent aller Suchenden an, dass sie eine Wohnung in dieser Größe mieten möchten. „Die Leidtragenden sind Familien mit Kindern“, so Schick, „und zwar besonders jene mit geringem oder mittlerem Einkommen“.

Denn große Wohnungen sind nicht nur stark nachgefragt, sie sind auch – anders als noch vor einigen Jahren – deutlich teurer als kleinere. „Wer eine große Wohnung mietet, muss eine um etwa fünf bis sechs Prozent höhere Miete zahlen“, sagt Schick. Im Schnitt betrage der Quadratmeterpreis für eine Zwei-Zimmer-Wohnung 5,50 Euro, für eine Vier-Zimmer-Wohnung jedoch 5,80 Euro. Günstigere Mieten und ein größeres Angebot gebe es zwar in Randlagen sowie in Teilen von Neukölln, Marzahn oder Hellersdorf. Doch sei ein Umzug in diese Bezirke für viele Familien keine Alternative. Die Folge: Während in Charlottenburg, Wilmersdorf, Prenzlauer Berg und Mitte die Nachfrage steigt, stehen Berlinweit rund 100000 Wohnungen in weniger gefragten Gegenden leer. Die Frage, wer in welche Gegend zieht, der so genannte „Segregationsprozess“, habe sich in den vergangenen zehn Jahren erheblich verstärkt, sagt Schick.

Dass die Anfragen nach großen Wohnungen besonders Wilmersdorf und Prenzlauer Berg betreffen, hat auch Volker Hartig, Pressesprecher der Gewobag, festgestellt. Bisher übersteige die Nachfrage aber nicht das Angebot. Von den rund 52000 Wohnungen, die das Unternehmen verwaltet, haben rund 4500 Wohnungen vier und mehr Zimmern. Allein 1100 befinden sich im Prenzlauer Berg. Während „Stadt und Land“ relativ wenige Vier- und Fünf-Zimmer-Wohnungen im Bestand hat und die Nachfrage deshalb deutlich das Angebot übersteigt, machen derartige Wohnungen bei der Gesobau je nach Lage zwischen zwölf und 20 Prozent der insgesamt 40000 verwalteten Wohnungen aus. „Wir spüren jedoch deutlich eine Tendenz, dass sich immer weniger Familien so große Wohnungen leisten können“, sagt Beatrice Kindler, Pressesprecherin der Gesobau. Besonders im Märkischen Viertel, das mit Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen über eine gute Infrastruktur verfüge, werde deshalb gezielt um Familien geworben. Eine Vier-Zimmer-Wohnung in dieser Lage kostet 3,89 Euro pro Quadratmeter.

Auch bei großen Eigentumswohnungen mit vier bis acht Zimmern steige seit etwa einem Jahr die Nachfrage, so Anne Riney, Büroleiterin des Maklerunternehmens Engel&Völkers in Berlin. Gefragt auch hier: die City West und Prenzlauer Berg. Je Quadratmeter sei eine große Eigentumswohnung meist billiger als eine kleine. Die Preisspanne reiche von 1800 bis 3400 Euro je Quadratmeter, am häufigsten würden Wohnungen zwischen 1800 und 2400 Euro verkauft. Inzwischen haben große Eigentumswohnungen bei Verkäufen einen Marktanteil von zehn bis 20 Prozent – mit steigender Tendenz. „Viele Vermieter reagieren inzwischen auf den Trend und legen Wohnungen zusammen oder stellen in Altbauten die ehemaligen, größeren Wohnungsgrundrisse wieder her“, hat Anne Riney beobachtet.

Jutta Burmeister

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