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Immobilien: Mittenrein in die Geschichte des Mittendrin

Das Wohnen in der Stadt war nicht immer selbstverständlich: Wie Wissenschaftler Entwicklung und Perspektiven sehen

Eigentumswohnungen – verboten! Unvorstellbar? Stimmt aber: Von 1900 bis 1951 war es in Deutschland nicht erlaubt, eine Wohnung zu erwerben. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch gehörten nämlich ein Grundstück und die Gebäude darauf zusammen, so dass man die „Einzelteile“ nicht kaufen konnte. Im Zweiten Weltkrieg aber wurden viele Häuser zerstört, die Wohnungsnot war groß, und der Staat hatte wenig Geld für Neubauten. Also erließ man im März 1951 das Wohnungseigentumsgesetz, das den Kauf von Eigentumswohnungen ermöglichte. Von da an lohnte es sich wieder, Mehrfamilienhäuser zu bauen, und das Beste: Die Bevölkerung konnte an der Finanzierung ihrer neuen Wohnungen beteiligt werden.

„Von dem Verbot weiß fast keiner“, sagt Tilman Harlander und schmunzelt. Der Professor für Architektur und Wohnsoziologie an der Universität Stuttgart ist der Hauptherausgeber des neu erschienenen Buches „Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau, Perspektiven“. Dieser Band erklärt das Verbot und seine Folgen für den Wohnungsbau in der Stadt: In vielen europäischen Städten gab es Experimente und spannende Entwicklungen, nur in Deutschland nicht. „Deutschland hat sich in der ersten Jahrhunderthälfte von Entwicklungen in anderen europäischen Staaten abgekoppelt“, erklärt der Professor. Noch heute ist die deutsche Wohneigentumsquote mit 43 Prozent sehr niedrig – und in Berlin beträgt sie gar nur 13 Prozent.

Das Verbot ist die erste Überraschung im Band. Aber es bleibt nicht die letzte. Das Buch soll eine Forschungslücke füllen: Wie leben Wohlhabende in der Stadt? Diese Gruppe wurde lange von der Wissenschaft vernachlässigt, die Forscher interessierten sich eher für die Armen in der Stadt und die Wohlhabenden auf dem Land. Ihr Interesse war berechtigt: Die Wohnungsnot war groß, gerade für die Armen, und das drängendste Problem war der soziale Wohnungsbau. Und die bessergestellten Leute wollten meistens ein Einfamilienhaus im Grünen.

Inzwischen ist Stadtwohnen für alle Bevölkerungsgruppen und Haushaltsgrößen attraktiver. Raus aufs Land zieht man nur noch, wenn es in der Stadt nix Passendes gibt. Zudem gab es schon immer soziale Gruppen, die nicht aufs Land, sondern in die Stadt wollten. Bürger, die Kultur und Komfort schätzten und sich das leisten konnten. Von ihnen und ihren Wohnungen handelt das Buch.

Der Band präsentiert die Ergebnisse eines Forschungsprojektes der Wüstenrot Stiftung und wurde kürzlich bei einer Podiumsdiskussion vorgestellt. Die Autoren beschreiben in 30 Fallstudien und Exkursen, wie Bürger ab dem 15. Jahrhundert in Europas Städten lebten. Die Hälfte der Artikel analysiert das Wohnen in Deutschland, die andere das in anderen europäischen Städten wie Genua, Utrecht, Amsterdam und natürlich den Metropolen London und Paris. Drei Fallstudien beschreiben Berlin: Das Rheinische Viertel, die Stadthäuser an der Lützowstraße und die Friedrichswerder Townhouses.

Am ältesten ist das Rheinische Viertel in Charlottenburg-Wilmersdorf, vierstöckige Reihenhäuser rund um den Rüdesheimer Platz. Eine der „wenigen bürgerlichen urbanen Wohnanlagen mit einheitlicher Gestaltung in Geschossbauweise und umfassender Ausformung der öffentlichen Räume, wie sie vor 1914 zwar in große Zahl in Planung waren, aber nicht mehr vollendet werden konnten", schreibt Carsten Benke. Die meisten der 478 Wohnungen hatten mindestens fünf Zimmer, außerdem gab es Mädchenzimmer und Dienstbotenaufgänge. Die „Elite des Rheinischen Viertels“ – Bankdirektoren, Legationsräte und Fabrikanten – lebten in Maisonettewohnungen mit acht Zimmern. In diesen verfügten die Herren über viel Platz für sich und ihre Dienstboten: bis zu 410 Quadratmeter.

Damit ist es lange vorbei... Der Schwerpunkt des Bandes liegt denn auch auf der Aufwertung und Neubestimmung des innerstädtischen Wohnens seit den 1970er Jahren: Seitdem nämlich streben nicht mehr nur Patrizier und Bürger in die Stadt, sondern auch ganz „normale“ Familien: Es war die große Zeit der Bürgerinitiativen, und diese Bewegung hatte „gerade im Protest gegen Sanierungsvorhaben und innerstädtische Straßenbauprojekte ihre wichtigsten Wurzeln“, schreiben Christian Holl und Johann Jessen. Auch das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 bedeutete eine wichtige Zäsur, von nun an sollte die historische Substanz erhalten und erneuert werden.

Großen Anteil am Interesse an Stadtwohnungen hatte die Internationale Bauausstellung (IBA), die von 1979 bis 1987 in West-Berlin stattfand.

Drei neue Haustypen wurden generiert oder reaktiviert: das Stadthaus – individuelle Reihenhäuser, aber ziemlich selten –, die Stadtvilla und der Loft. In Berlin stehen zwei besonders interessante Beispiele gerade für Stadthäuser: Die ganz neuen Townhouses auf dem Friedrichswerder sowie die Stadthäuser in der Lützowstraße. Letztere „kennt kaum jemand“, bemerkt der Architekt und Stadtplaner Christian Holl. Die 36 Häuser bestehen aus je einer großen und einer Einliegerwohnung, die meisten Wohnungen haben zwei Zimmer. Mit diesen Häusern sollte der Tiergarten als Wohnstandort verbessert werden. Das gelang – die Bewohner gehören zur oberen Mittelschicht und „das Projekt hat sich als stabil erwiesen“, schreibt Holl. Da wundert man sich, dass nicht noch mehr solcher Stadthäuser in der Innenstadt errichtet wurden.

Ulrike Heitmüller

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