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Immobilien: Neue Bewegung auf dem Spielfeld

Klima, Arbeits- und Lebensformen verändern sich: Was bedeutet das für Immobilienwirtschaft und Kommunen? Schlaglichter vom Kongress „Quo Vadis?“ in Berlin

Stein auf Stein. In Zeiten allgegenwärtiger Beschleunigung, der Globalisierung und des Klimawandels verkörpert eine Immobilie noch immer Beständigkeit und Werthaltigkeit, wenigstens bis die Abschreibung ausläuft. Doch die gebaute Welt könnte künftig nicht nur durch Unwetterstürme ins Wanken geraten: Demografie, Migration, steigende Energiekosten und neue Medien stellen alte Parameter wie Nutzfläche, Höhe oder die spektakuläre Konstruktion eines Baus infrage. Rund 300 Entscheider aus der Immobilienwirtschaft trafen sich kürzlich in der Hauptstadt zur jährlichen Nabelschau: „Quo Vadis?“ So viel ist sicher: Die „immobile“ Branche muss sich bald und auf vielen Baustellen in Bewegung setzen, um für die Zukunft gerüstet zu sein.

Eine Krise der Immobilienwirtschaft scheint vordergründig nicht in Sicht, im Gegenteil: In Asien schießen Hochhäuser wie Pilze aus dem Boden oder künstlichen Inseln, private und institutionelle Anleger schicken Kapitalströme rund um den Globus und streichen mit ihren Investitionen für Shoppingcenter, Hotels und Bürotürme satte Gewinne ein. Besonders Deutschland gilt unter ausländischen Anlegern als Einkaufsparadies für Wohnungsbestände und Seniorenheime. Auch hierzulande hat die Bauwirtschaft alle Hände voll zu tun, so dass viele Baustoffhändler ihre Kunden mit wochenlangen Lieferfristen für Wärmedämmung oder Gerüste vertrösten müssen.

Gleichzeitig ist ein Ende der Preisschraube für Energiekosten nicht absehbar, die unkontrolliert wachsende „zweite Miete“ zwingt Planer schon zum Umdenken, und der Klimawandel gilt nicht mehr als reine Kampfparole von Umweltaktivisten. Bis zum Jahr 2030 wird die Weltbevölkerung um ein Drittel auf acht Milliarden Menschen anwachsen, rund 60 Prozent der Bevölkerung werden dann in Städten leben. Der globale Energieverbrauch wird um zwei Drittel ansteigen. „Um eine interdisziplinäre Diskussion anzustoßen“, sagt Angela Rüter, „haben wir diesmal bewusst auch einen Vertreter der Energiewirtschaft als Referenten eingeladen.“ Rüter ist eine der beiden Geschäftsführerinnen von Bernd-Heuer-Dialog. Der Konferenz-Veranstalter initiiert den Dialog zwischen Kommunen und Immobilienwirtschaft.

„Enycity“, eine Methode, die Architektur, Energieversorgung von Gebäuden, Verteilnetze, Infrastruktur und Energieerzeugung integrieren und optimieren soll, stellte Jürgen Hogrefe, Generalbevollmächtigter des Energieversorgers Energie Baden-Württemberg (EnBW), vor. Das weltweit einsetzbare Konzept will allein durch die neuartige Kombination vorhandener Module der Energietechnik eine hohe Wirtschaftlichkeit des städtischen Raums erzielen (siehe Kasten am Ende dieses Beitrags). So lässt sich der CO2-Ausstoß um bis zu 25 Prozent und der Bedarf an Primärenergie um 15 Prozent gegenüber derzeitigen Standards senken. „Das bedeutet eine erhebliche Schonung der Energiereserven und für die Investoren eine geringere Abhängigkeit von weltweit steigenden Energiepreisen“, sagte Hogrefe und ging noch einen Schritt weiter. Er demonstrierte den lauschenden Investoren, Projektentwicklern und Architekten am eigenen Exempel, dass sich eine Branche in Zeiten des globalen Wandels neu erfinden muss. Der Paradigmenwechsel bedeutet ein neues Image – vom Energieversorger zum Energievorsorger, mit dem sich der Stromanbieter nun neue Märkte erschließen will. Anfragen für „Enycity“ gäbe es bereits aus dem arabischen Raum.

Nicht nur der Klimawandel erfordert ein Umdenken, auch unsere Arbeits- und Lebensformen verändern sich. Wer seine Immobilie künftig nach der klassischen Dreiteilung des Immobilienmarktes (Wohnen, Gewerbe, Büro) projektiert, könnte bald Schwierigkeiten mit der Vermietung bekommen und – wie es schon heute oft der Fall ist – am Markt vorbei Leerstand produzieren. Professor Gunter Dueck warnte: „Das Büro der Zukunft wiegt 1,4 Kilogramm und ist so groß wie ein Laptop.“ Auch Wohnungsanzeigen, die „lichtdurchflutete Räume“ anpreisen, stellte der IBM-Chief-Technologist infrage: „Bei so viel Tageslicht kann ich im Homeoffice die Schrift auf meinem Bildschirm kaum lesen.“ Statt riesiger Fenster sollten Architekten lieber große Wandflächen für Flatscreens und Multimediawände vorsehen. Weniger Glas könnte zudem Heizkosten einsparen.

Neben den Hard Facts wie Miet- und Betriebskosten werden Fragen zum Werterhalt eines Objektes wichtiger. Bei der Vermarktung einer Immobilie spielen die „Adresse“ und das Image des Quartiers zunehmend eine wichtige Rolle. Hier sieht Oliver Frey vom Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung der Humboldt Universität Berlin oft noch brachliegende Potenziale „kreativer Milieus“. Künstler könnten wie etwa in Berlin am Pfefferberg als Motor und Imageträger solcher Standorte wirken. Eher machtlos stehen Kommunen dagegen sozialen Brennpunkten gegenüber. Punktuelle Projektarbeit kann die Fragen von Integration bisher nur entschärfen, nicht aber lösen, berichtete der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und Bürgermeister von Bergkamen, Roland Schäfer. Er könne schließlich keinem Bestandshalter vorschreiben, an wen er seine Wohnungen vermieten solle.

Am Imagefaktor feilen auch ganze Städte und Kommunen. Sie konkurrieren im globalen Wettbewerb um Gewerbesteuern und Prestigeprojekte. Womöglich werden Entwickler ihre Projekte künftig zunächst virtuell auf ihre Markttauglichkeit erproben, um sie dann zielgenau in der realen Welt zu platzieren. Derzeit führen jedenfalls schon weltweit über drei Millionen Menschen beziehungsweise deren Alter Egos, genannt „Avatar“, ein „Second Life“ im Netz. Manches wird hier vorweggenommen: In den vergangenen vier Wochen stiegen die Immobilienpreise im virtuellen Paralleluniversum des Linden Labs noch stärker als in der Londoner Innenstadt: von knapp zehn auf 12,20 US-Dollar je Quadratmeter.

Insa Lüdtke

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