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Passiv-Mehrfamilienhaus: Und jetzt alle zusammen

Internationale Bewohner, mehrere Generationen und Heizkosten, die unter 100 Euro im Jahr liegen: In Friedrichshain hat sich eine Baugruppe zusammengefunden, die sich ihren Traum vom gemeinsamen Leben erfüllt.

Die Heizkostenzähler lassen sie einfach weg. „Das lohnt schlicht nicht, bei 70 bis 100 Euro je Wohnung jährlich“, sagt Jörg Meyerhoff. Der Journalist wird im kommenden Januar in das erste zertifizierte Passiv-Mehrfamilienhaus Berlins einziehen. Gemeinsam mit 18 weiteren Parteien – Familien, Singles, Senioren – hat er sich in einer Baugruppe mit hohem Anspruch zusammengefunden. An der Bänschstraße 10 in Friedrichshain entsteht ein Passivhaus, das gleichzeitig auch ein Mehrgenerationenhaus werden soll. Es mischen sich nicht nur alt und jung, sondern auch Nationen und Städte – mit Bewohnern, die es von Brasilien, den Niederlanden, Osnabrück, München oder Suhl nach Berlin verschlagen hat.

Was hoch ambitioniert klingt, begann vor gut drei Jahren mit einer fast blauäugigen Idee. Genervt vom Lärm vor seinem Fenster an der Eberswalder Straße beschloss Christoph Hackbart, sich nach einer Eigentumswohnung umzusehen. Ruhig und zentral, komfortabel und energiesparend sollte sie sein. Thomas Fiedler, Freund aus gemeinsamer Zeit im kirchlichen Umweltkreis in Thüringen, ging’s ähnlich, nur das seine Wohnung nicht laut, sondern extrem heizbedürftig war. Er brachte den Begriff Passivhaus ins Spiel. Hackbart war skeptisch: Gleich ein ganzes Haus bauen? Was ist überhaupt ein Passivhaus? Und was kostet das?

Etliche Recherchen und Grundstücksbesichtigungen später war Hackbart und Fiedler klar: „Wir suchen uns Mitstreiter für den Bau eines Mehrfamilienhauses.“ Im künftigen Domizil sollte umweltfreundlich geheizt werden. Die Wohnungen wünschten sich die Initiatoren barrierefrei. „Und im Erdgeschoss wollten wir Gemeinschaftsräume und einen Garten hinter dem Haus, der jeder Altersgruppe etwas bietet. So ist niemand einsam, und berufstätige Eltern können Nachwuchs auch mal von älteren Nachbarn betreuen lassen“, träumte Hackbart. Das geeignete Grundstück hatten die beiden bei vielen Spaziergängen ausfindig gemacht: Eine provisorisch genutzte Baulücke, Eigentum der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain, die gerade per Bieterverfahren an den Mann gebracht werden sollte.

Dem unerschrockenen Start folgte allerdings Ernüchterung. Kaum jemand meldete sich auf die Anzeigen nach dem Motto „Wer hat Lust mitzumachen?“ Ein konkreter Entwurf musste her, einer der Appetit auf das Projekt macht. Softwareentwickler Fiedler bastelte eine Website mit Infos und einer Architekten-Skizze, wie das Haus einmal aussehen könnte. Inseriert wurde nun nur noch die Internetadresse. Und diesmal sprang der Funke über. Eine bunt gemischte Baugruppe kam zusammen und zurrte die Idee in einem GbR-Vertrag fest.

Die auf Passivhäuser spezialisierten Architektinnen Christine Reumschüssel und Alexandra Merten aus Hamburg entwarfen ein siebengeschossiges Projekt mit 2150 Quadratmetern Wohnfläche, Balkonen, Terrassen und Südfenstern, die gleich dreifach verglast werden. Geheizt wird mit Holzpellets und Sonnenkollektoren. „So wird der Energieverbrauch nur sieben Prozent des Durchschnittsverbrauchs eines Neubaus betragen“, rechnet Bernd Schwarzfeld von Ökoplan, dem Büro für zeitgemäße Energieanwendung, vor. Ergänzt werden kann die Idee später durch Solarzellen, die einen Teil des elektrischen Stroms liefern. Eine Lüftungsanlage mit Wärmetauscher sorgt nicht nur für angenehmes Raumklima, sondern auch für sinnvollen Energieeinsatz. Denn die Abluft erwärmt die neu zugeführte Luft. Rund vier Millionen Euro wird der Neubau kosten, pro Quadratmeter zahlen die Käufer etwa 2100 Euro. Weniger, als die meisten dachten. „Ein Passivhaus ist im Schnitt nur fünf bis zehn Prozent teurer als ein herkömmlicher Bau“, sagt Architektin Christine Reumschüssel.

Bis in diesem Frühjahr der Grundstein gelegt wurde, ging’s allerdings nicht ohne Krisen. Mehr als einmal schien das Projekt zu kippeln. Auf die erste Bauausschreibung kamen nur derart happige Angebote, dass der Traum vom preiswerten und umweltbewussten Wohnen schon als Illusion erschien. In der zweiten Ausschreibungsrunde suchte die Baugruppe auch nach Anbietern im weiteren Berliner Umland. Und wurde fündig, mit einem Angebot, dass fast centgenau auf die Berechnungen der Architektin passte.

Die zweite Hürde war ein bisschen die Baugruppe selbst. Diskussionsfreudig widmete man sich der Detailplanung. Stand für die einen der Umweltgedanke im Vordergrund, war es bei den anderen vor allem der Mehrgenerationenaspekt, so wie bei Ralf Bei der Kellen, der mit Ehefrau, Kindern und den Schwiegereltern einziehen wird. Bis zur Farbgestaltung der Fassade schieden sich die Geister mitunter heftig. Reumschüssel regelte es diplomatisch: „Was einmal entschieden ist, wird nicht wieder angepackt.“ Die Architektin hat trotz mancher Debatte Respekt vor den engagierten Mitstreitern: „An Passivhäuser trauen sich viele noch nicht heran, gut, dass Baugruppen da mutiger sind.“

Ab August wird es Führungen durch das Haus an der Bänschstraße 10 geben. Infos: www.klimasolarhaus-berlin.de.

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