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Immobilien: Türkische Berliner entdecken die Immobilie

Die Nachkommen türkischer Gastarbeiter lassen sich von der Krise auf dem Grundstücks- und Wohnungsmarkt nicht abhalten. Je nach Höhe des Einkommens erwerben sie Eigentumswohnungen oder Eigenheime – Geschäftsleute und Vereine suchen Mietzinshäuser

Vor fünf Jahren erwarb Nihat Sorgec das frühere Fabrikgebäude in der Cuvrystraße 34 . Der Altbau mit der Fassade aus weißen Klinkersteinen stand seit zehn Jahren leer: zerschlagene Fensterscheiben, beschmierte Wände und verfaulte Decken – eine Ruine. Sorgec schreckte dies nicht ab. Er erwarb das Baudenkmal und sanierte es. Fünf Millionen Euro kostete das Projekt insgesamt. Nun sind die Ausbildungsräume für sozial benachteiligte Jugendliche und das angrenzende Wohnhaus fertig. Die Immobilie rechnet sich, obwohl die Kosten höher waren, als geplant und zwei Partner wegen des hohen Risikos ausstiegen. Dennoch sagt der Chef des Bildungswerks in Kreuzberg (BWK): „Manchmal habe ich schlaflose Nächte, wenn ich an die vielen Schulden denke“.

Sorgec ist ein typischer Berliner – mit türkischer Herkunft. Ein „Türke der zweiten Generation“, wie sich Nachkommen von Gastarbeitern auch gerne bezeichnen. Viele haben einen deutschen Pass und nennen Berlin ihre Heimat. Sie wollen nicht mehr in die Türkei zurückkehren. Deshalb erwerben sie seit etwa zehn Jahren auch Immobilien hier zu Lande. Eigentumswohnungen, Eigenheime – und die Erfolgreicheren: Mietzinshäuser oder Geschäftsgebäude. Sogar die Bankgesellschaft hat sich auf die zweite Generation eingestellt, denn unter Investoren ausländischer Abstammung sind die türkischen Berliner die wichtigste Gruppe. Sie beleben einen dahindümpelnden Markt, aus dem sich viele andere Anleger aufgrund der geringen Renditen weitgehend zurückgezogen haben.

Leicht war Sorgec die Entscheidung nicht gefallen, die frühere Produktionsstätte von AEG zu erwerben. „Doch wir zahlten mehr als 42000 Euro im Monat Miete“, sagt der BWK-Chef, „dieses Geld wollten wir lieber in die Finanzierung eines eigenen Hauses investieren.“ Ein weiterer Grund: Zuvor musste der Bildungsträger jeden Umbau von Unterrichtsräumen mit dem Vermieter abstimmen. Das war zu aufwändig. Hinzu kam Ärger mit Anwohnern: Die Besucher der Lehrgänge, vorwiegend sozial benachteiligte Jugendliche teilweise ohne Schulabschluss oder Ausbildung, seien „sehr temperamentvoll“. Daher seien Lärm oder auch mal verschmierte Wände nicht auszuschließen. Das stört nun weniger, weil die Ausbildung im Hinterhof stattfindet, gegenüber liegt der Pausenhof einer Schule. Das Vorderhaus, ein typisches Berliner Mietshaus, ist ebenfalls im Eigentum des Unternehmers. Konflikte mit Bewohnern löst Sorgec mit der ihm eigenen umsichtigen und ruhigen Art.

Bundespolitiker zu Besuch im Kiez

Das BWK ist ein Musterbeispiel für Integration und ein Vorzeigeprojekt: Die Berliner Grünen veranstalten dort am Montag ihr „Sommerfest“. Der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, war bei dem privaten Bildungsträger ebenso zu Gast wie Wirtschaftsminister Wolfgang Clement.

Das Baugeld für die Immobilie bekam Sorgec von der KfW-Mittelstandsbank (Zinsen von 2,4 Prozent). Auch die Berliner Bank gab ihm Kredit. Ihm hielten die Banken zugute, dass er seit zehn Jahren in verantwortlicher Position des BWKs steht und das Geschäft boomte, als er die Einrichtung erwarb: Von 1997 bis heute wuchs die Zahl der beschäftigten Lehrer und Betreuer von 35 auf 102.

Ein typischer Berliner

Dabei ist Sorgec nicht vom Fach: Der Sohn eines türkischen Gastarbeiters von Siemens schloss ein Ingenieurstudium mit Diplom ab, begann wie sein Vater bei Siemens, bevor er „in Westdeutschland“ bei einem Automobilzulieferer als Abteilungsleiter reüssierte. Das Angebot seines Arbeitgebers, eine Niederlassung in Frankreich zu leiten, schlug er aus – Herzensangelegenheiten „und die Liebe zu Berlin“ zogen ihn zurück in die Hauptstadt. Hier übernahm er eine Metallbaufirma und stieg später als Geschäftsführer in die Bildungseinrichtung ein, die er 1997 erwarb.

„Seit Ende der 80er Jahre kaufen türkisch-stämmige Berliner Immobilien in der Stadt“, sagt Bahattin Kaya. Nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden der Türkisch-deutschen Unternehmensvereinigung sei für die „zweite Generation“ ohnehin klar, „dass sie nicht mehr in die Türkei zurückziehen werden“. Frühere Vorbehalte gegen Immobilieneigentum in Berlin hätten sie daher nicht mehr. Außerdem seien sie von Investitionen in türkische Immobilien enttäuscht worden. Die dort erworbenen Immobilien hätten stark an Wert verloren, weil der Kurs der türkischen Lira im Verhältnis zu D-Mark und Euro fortwährend gesunken sei. Ein solches „Währungsrisiko“ gibt es bei einem Immobilienerwerb in Berlin nicht – obwohl auch hier zu Lande der Markt seit Jahren in der Rezession steckt und viele Anleger Wertverluste hinnehmen mussten.

Kaya zufolge versuchen türkische Bauunternehmer derzeit Kunden mit dem Hinweis auf die auslaufende Eigenheimförderung zu gewinnen. Doch das Geschäft sei nicht ganz einfach: „Bei einigen Banken gibt es immer noch Vorbehalte gegen türkische Berliner“, sagt Kaya. Dass es auch anders geht, zeigt jedoch die Bankgesellschaft Berlin. Sie ist rührig um türkischstämmige Kundschaft bemüht. Laut Sprecherin Cornelia Reichel arbeiten in Bezirken mit hohem Ausländeranteil türkische Muttersprachler als Bankkaufleute im Kundendienst. Prospekte und Infomaterial würden auf Türkisch gedruckt. Wie viele Mitarbeiter der zweiten Generation beschäftigt sind, lasse sich nicht sagen. Die meisten haben deutsche Pässe.

Laut Unternehmerchef Kaya nimmt die Zahl türkischstämmiger Immobilieneigentümer stark zu: 300 bis 400 Häuser seien in Berlin in deren Vermögen. Die verhältnismäßig kleine Zahl täuscht, denn die Entwicklung verläuft rasant. Die Zahl der Eigentümer ist heute fünf mal so hoch, wie vor fünf Jahren. Familienväter erwerben Eigentumswohnungen und Geschäftsleute Mietzinshäuser.

Auf Immobiliensuche sind auch islamische Vereine. Zum Beispiel die islamische Gemeinde in der Schöneberger Hauptstraße 10. Seit 20 Jahren hatten die türkischen Berliner im Erdgeschoss des Altbaus ihre „Moschee“, erzählt Rechtsanwalt Rahim Vural. Die monatliche Miete von rund 3800 Euro habe man aufgerechnet mit den Krediten, die von diesem Geld zu finanzieren wären. Nun zieht die Gemeinde um, in die Hauptstraße 150, wo sie eine Immobilie erwarb. Das neue Gebetshaus wird wieder im Erdgeschoss liegen. Die Wohnungen in den oberen Stockwerken werden vermietet.

So unproblematisch wie in Schöneberg sei nicht jeder Immobilienerwerb durch islamische Vereine. In Rudow ein Grundstückskauf an Widerständen von Anwohnern gescheitert. „Man wollte keine Mosche haben, obwohl sie äußerlich nicht als solche erkennbar gewesen wäre“, sagt Vural. Rudow, hinter Neukölln gelegen, ist bevorzugter Wohnort wohlhabender, türkischer Berliner. Häufig scheitert der Erwerb von Immobilien durch türkische Berliner an fehlendem Eigenkapital. „Dann rate ich ab“, sagt Makler Sedat Samuray. Auch er ist türkischer Berliner. Seine Landsleute unterschieden sich von deutschen Kunden dadurch, dass er ihnen von der Besichtigung bis zur Eintragung ins Grundbuch alles abnehmen müsse. Dieselbe Erfahrung hat auch Samurays Kollege vom Verband Deutscher Makler gemacht. Michael Schick: „Gestandene türkische Geschäftsleute zahlen am liebsten Bar und sind mit Institutionen wie Grundbuchämter und Gerichte wenig vertraut.“ Den beiden Maklern zufolge kaufen türkische Berliner auch Immobilien in Neukölln und Wedding – „wo Deutsche selten investieren“, so Schick. Dort seien die Preise billig und die Häuser daher für türkischstämmige Händler interessant.

Von den rund 300000 Ausländern in Berlin sind Schätzungen zufolge etwa die Hälfte Türken. Weit größer wäre diese Zahl, wenn auch türkische Berliner mit deutschem Pass hinzugezählt würden. Wie viele Immobilien von ausländischen Investoren insgesamt erworben wurden, ist unbekannt. In Grundbüchern spielen Nationalitäten keine Rolle.

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