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Umzug: Rauchen, gucken, Trümmer machen

Wo bekommt Frau Handwerker für eine Renovierung her? Man fragt bei Freunden – ein entnervter Erfahrungsbericht.

Die neue Wohnung: Neukölln, versifft. Ich habe noch nie mit Handwerkern zu tun gehabt. Wo kriege ich welche her? Von Gerd*! Der ist Ingenieur und kennt jeden. Hermann zum Beispiel. Und Hermann kennt Kalle. Hoppla, den kenn ich auch. Kalle kennt Jan und Jürgen.

Jan und Jürgen sind Szene-Jungs aus Friedrichshain. Sie rücken an mit Räubermütze, Kapuze und Hund. Rammen die letzten alten Möbel raus und reißen die Tapeten ab. Zertrümmern im Bad die verwarzte Einrichtung und den alten Estrich. Und ein Wasserrohr. Beim Nachbarn unten wird’s nass. "Macht nix, kann passieren", winkt der ab, "streich ich selber." Der Mann ist Oberhaupt einer tunesischen Großfamilie. Den kann so leicht nichts erschüttern.

Als Nächstes kommt der Trockenbauer: Wanddurchbruch, Innen-Dämmwände – ich bin Öko –, neuer Badezimmerboden. Die Mitarbeiter des Trockenbauers pinkeln in einen Eimer mit Grundierung. Die Friedrichshainer Jugend ist empört: "Wir konnten nicht weiterarbeiten", sagen sie. "Wir könnten schon ganz viel fertig haben!" Die Dämmwände sehen höchst merkwürdig aus. Ich sage dem Chef der Trockenbauer, dass ich seine beiden Bauarbeiter nicht mehr auf meiner Baustelle haben will. Der Chef kommt und schleift die Wand. "Arschglatt mach ich die Ihnen", hat er versprochen. Und das bekommt er hin, der Chef, na sowas.

"Trümmertruppe"

Der Maurer macht weiter. Klappt, Rechnung kommt – der Handarbeiterwechsel kostet 400 Euro extra: Einer fängt’s an, einer macht’s fertig, jeder will Geld. Und die Parteien scheinen einander nicht zu mögen: Der Maurer berechnet 46,50 Euro, weil er den Duschträger hat reparieren müssen – den soll der Gas- und Wasserinstallateur "mangelhaft weggeschnitten" haben. Der Installateur wiederum muss immer die kaputten Rohre von den Jungs reparieren. Rechnet aber gleich mit ihnen ab. "Trümmertruppe", sagt er. Außerdem wartet er die Heizung und bringt neue Thermostatventile an. Zwei lecken. Kostet auch ein bisschen extra: Die Hälfte der alten Ventile war nämlich gegen die Fließrichtung des Warmwassers angebracht.

Der Gas- und Wasserinstallateur veranschlagt für Küche, Bad und Heizung vorher exakt 2.023,62 Euro – und schreibt eine Rechnung über 2.672,87. "Das ist noch wenig", sagt er: "Ich habe Ihnen Arbeiten für 400 Euro gar nicht berechnet." Zum Beispiel die Wartung der Therme, die nun tropft. "Die ist so alt und war so dreckig, ich hätte nicht gedacht, dass die noch funktioniert", sagt er, "sparen Sie schon mal für ’ne neue." 3.300 Euro. Ein paar Aufträge fallen mir auch erst ein, als der Installateur schon bei der Arbeit ist: Wir haben zwar besprochen, wo die Waschmaschine stehen sollte, nicht aber, dass sie auch einen Anschluss braucht. Kostet 100 Euro extra. Ist dafür, nein, nicht aus Gold, aber immerhin verchromt. Und führt durch die Spüle.

Die Spüle! Hab ich von Ikea. "Emsen" heißt sie und ist schön groß. Ich kaufe sie und merke: Ich muss noch Schränke drunterbauen und eine Arbeitsplatte aussägen. Noch mal Ikea. Alle Schränke heißen Faktum. Die Ikea-Frau im Chat hat gesagt, ich brauche zwei Faktums. Die Ikea-Frau im Laden sagt: drei. Jan und Micha – auch aus Friedrichshain – holen mich und ganz viel Faktum bei Ikea ab. Wir fahren in mein neues Heim, die Jungs laden alles aus und bringen es hoch. Bei der Gelegenheit zertrümmert die Trümmer-Truppe noch ein paar Faktum-Ecken.

Hexenschuss

Auf Faktum gehört die Arbeitsplatte. Meine neue Stichsäge frisst sich dreineinhalb Meter lang durch eine dicke feste Buchenholzplatte. Hexenschuss. Das Leben ist ein Jammertal. Die Friedrichshainer Jungs brauchen für alles viel länger als veranschlagt. Schon das Pensum für den ersten Tag dauert fast eine Woche. Aber wer löst auch Tapeten ohne Tapetenlöser? Gerd fragen. Vorschlag: Kein Stundenlohn, sondern Pauschale. Okay, sagen die Jungs und engagieren Leute, die schneller sind. Ulli spachtelt Lehm-Feinputz an die Wände. Vorschlag der Frau im Ökobauladen: Besser als Tiefengrund, "Chemiebombe", hat sie getadelt. Ich sage die Quadratmeter, sie rechnet, ich kaufe: 27 Sack Lehm-Feinputz. Sehr gesund, reicht bloß nicht: Ulli braucht 44 Sack – so viel, wie in der Gebrauchsanleitung steht. Hat wohl jemand falsch gerechnet. Derweil schleift Jürgen die Türen. Ein bisschen Lack ist weg, und ziemlich viel Holz. Ich ermahne ihn, aufzupassen. "Wieso", fragt er empört. Ich zeige ihm eine der Stellen, an der seine Maschine die ganze Verzierung weggeschliffen hat. "Oh... ein Unfall", meint er.

Micha lackiert die Fenster. Auf die alte Farbe drauf, die schon abblättert. Ich sage: "Erst schleifen!!!" Er: "Ich hab mich ja auch gewundert, aber Jürgen hat gesagt, ich soll das so machen." Nix da. Schimpfen, Gerd fragen, Hermann anrufen. Der spricht mit Kalle, Kalle mit den Jungs. Geht doch – jetzt schleift Micha die Fenster vor dem Lackieren. Drei Scheiben gehen dabei zu Bruch. Die macht Michas Kumpel heil. Micha lackiert, die Fluppe im Mundwinkel. Weißer Lack tropft vom Pinsel auf die Fenstergriffe. Ich gucke dem Lack beim Tropfen zu. Micha folgt meinem Blick, "mach ich noch alles", sagt er, "klar". Er legt den Pinsel weg, schnappt sich eine Ecke Schleifpapier und fängt an, den Messinggriff zu polieren. Sieht gut aus. "So kann man das machen", sagt er und guckt mich treuherzig an. Micha kann gucken wie Jürgens Hund. Alle hier können gucken wie Jürgens Hund. Das muss wohl so sein in Friedrichshain. Da sind junge Männer große Jungs, sie lieben die Antifa, verbessern die Welt und haben kein Geld.

Jan ist gestresst: Am einen Tag will ein dänischer Professor mit ihm über Jugend-Subkultur reden. Ein anderes Mal hat er einen Termin mit Bela B. von den Ärzten. Micha weiß alles. Und mag wohl lieber reden als arbeiten. Jan will die letzte Rechnung aushandeln. Jürgen und Micha stehen daneben, Verstärkung. Jan hat ausgerechnet: noch 2.742 Euro. Ich hab ausgerechnet: noch 700 Euro. Jan kriegt Panik: "Ich muss meine Leute auszahlen!" Ich rechne noch mal: Pauschale, Stundenlohn für Extra-Arbeiten, Benzingeld. Wird kaum mehr. Jan schlägt vor: "1.956 Euro, die brauch ich für meine Leute. Dazu helfen wir drei umsonst beim Umzug und renovieren deine alte Wohnung." Okay. Wie immer kriegt Jan das Geld – er ist der Einzige, der eine Rechnung schreiben kann. Jürgen zahlt er wohl gleich aus – der verschwindet nämlich und scheißt auf alle Abmachungen. Stattdessen macht er lieber eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Hoffentlich muss ich mich von dem nie retten lassen.

Kiefer kaputt

Dann der Umzug: Die Wohnung ist natürlich nicht fertig. Aber Micha schleppt gratis Kartons. Die habe ich für ein altes Sofa eingetauscht. Auch Jan schleppt gratis. Er zahlt zwei Jungs, ich drei. Jürgen bleibt verschwunden. Den mag jetzt niemand mehr. Johannes bleibt jetzt auch verschwunden. Dabei sollte er mit Jürgen noch Scheuerleisten anbringen. Jan zahlt dafür Helle, der arbeitet zwei Tage, verteilt Sägespäne in der Küche und verschwindet auch. Vorher hab ich ihn noch mit Micha telefonieren hören: Helle soll für zweimal fünf oder sechs Stunden 50 Euro und eine gebrauchte Säge kriegen. Als Letzter verschwindet Jan. Ich rufe Kalle an und Jan schickt eine SMS: Er ist im Krankenhaus. Kiefer kaputt, erzählt Micha. Da haben die Jungs wohl die Wohnung eines Kampfsportlers renoviert. Das war das letzte Lebenszeichen. Kalle sagt, er kann nichts machen.

Mist! Naja, immerhin sind die Jungs arm. Das freut mich – ätsch – und ist kein Wunder: Sie können nicht kalkulieren, rauchen zu viel, ärgern Auftraggeber und vergessen ihr Werkzeug. Ich besitze neuerdings: Vier Holzböcke, Pinsel, Rollen, einen Meißel, einen Akkuschrauber, eine Regenjacke von Carhartt. In der Tasche die letzte Mahnung und eine fiese Drohung mit der Schufa wegen einer Handyrechnung von 108,01 Euro. Zurückgeben? Nee, Jungs, Ihr sollt schrauben, frieren und nie mehr telefonieren! Der Chef der Trockenbauer hatte mir ja zum Abschied schon viel Spaß gewünscht mit den Friedrichshainer Jungs. Immerhin sind die stubenrein.

*Alle Namen geändert.

Ulrike Heitmüller

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