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Immobilien: Verkauft und verwertet

Finanzinvestoren kaufen auch Kredite. Und setzen oft auch verschuldete Hausbesitzer unter Druck

Das Jahr 2004 wird für manchen deutschen Immobilienbesitzer als rabenschwarzes in die Annalen eingehen. Denn damals erfolgte eine milliardenschwere Finanztransaktion, von der heute viele betroffen sind: Entweder sind sie ihre Immobilie los – oder sie stehen vor einem finanziellen Scherbenhaufen.

Der Hintergrund: 2004 verkaufte die Hypo Real Estate (HRE) ein Kreditpaket im Wert von 3,6 Milliarden Euro an Lone Star. Quasi über Nacht waren etwa 17 000 deutsche Kreditnehmer nicht mehr Kunden der Hypo Real Estate, sondern Kunden eines amerikanischen Finanzinvestors aus Texas – oder, wie es Kritiker griffig ausdrücken, Kunden einer Heuschrecke. Die Hypo hatte an sie verkauft, um problematische oder risikobehaftete Kreditkunden schnell und komplett loszuwerden und so die Bilanzstruktur zu verbessern. Das Interesse der Käufer: möglichst schnelle und profitable Verwertung der Schulden.

„Viele Banken verkaufen derzeit Grundstücks-Kreditverträge“, weiß Henning von Muellern, Berliner Rechtsanwalt und Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Grund- und Wohnungseigentümer (IGW). Einer der wichtigsten Käufer sei Lone Star, die nach eigener Aussage in Deutschland flächendeckend Kredite im Wert von elf Milliarden Euro gekauft haben. Zu den Verkäufern zählen neben der HRE auch die Dresdner Bank oder die Aareal-Bank. Auch in Berlin, so von Muellern, sei Lone Star „von Zehlendorf bis Frohnau ein Begriff“.

Das Problem: In den meisten Portfolios sind nicht nur faule Kredite, sondern zu geschätzten 15 Prozent auch völlig unproblematische Kunden. Was das bedeuten kann, in der Kartei eines solchen US-Investors zu landen, hat beispielsweise Judith Gabriel (Name geändert) erfahren. Nach dem Auslaufen der Zinsbindung ihres Darlehens erhielt Gabriel ein Schreiben der Firma Hudson, der Inkasso-Gesellschaft von Lone Star, in dem eine „Konditions-Anpassung“ angekündigt wurde. Rund 9,4 Prozent plus ein Prozent Tilgung sollte Gabriel fortan bezahlen, fast doppelt so viel wie der durchschnittliche Marktzins. Gabriel musste passen. Da sie keine anderen Sicherheiten vorweisen konnte, zudem keine Verkaufsvollmachten unterschreiben wollte – andere Banken räumen ihr inzwischen auch keine Finanzierung mehr ein –, drohte die Zwangsversteigerung. Denn wird der Kunde säumig, kann der Gläubiger die gesamte Grundschuld völlig legal sofort vollstrecken lassen.

„Wer ein Baudarlehen hat, das an einen amerikanischen Investor verkauft wurde, muss sich warm anziehen“, sagt Arno Gottschalk, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Bremen. Selbst wer bisher brav die Zinsen gezahlt habe, könne Schwierigkeiten bekommen. Wenn die alte Bank den Kreditkunden verkauft habe, dann hänge diesem das wie ein „Kains-Mal“ an. Es könne deshalb schwer werden, so Gottschalk, schnell und zu akzeptablen Konditionen eine neue Bank zu finden.

Schlimmer noch, weiß ein Kölner Anwalt, der Lone-Star-Geschädigte vertritt, namentlich aber nicht genannt werden möchte, seien jene Häuslebauer oder Wohnungskäufer dran, die sich Zahlungsverzögerungen zuschulden kommen ließen. Ein Verzug reiche da schon. Investoren wie Lone Star reagierten hier schnell mit der Androhung einer Zwangsvollstreckung und der Pfändung von Konten. Dagegen könne man zwar gerichtlich vorgehen. Wer aber ohnehin in einer wirtschaftlich klammen Lage sei, scheue häufig die Anwaltskosten und den ungewissen Prozessausgang, auch wenn er Prozesskostenhilfe beantragen könne, gibt der Kölner Anwalt zu bedenken.

Denn kein Gesetz regelt explizit den Verkauf von Krediten. Nun müssen die Gerichte klären: Darf man überhaupt einen Kredit ohne Kenntnis des Kreditnehmers einfach an einen ausländischen Investor verkaufen, noch dazu an einen, der keine Banklizenz hat? Die meisten Juristen verneinen diese Fragen. „Kredite, die nicht gekündigt sind, dürfen auch nicht ohne Zustimmung der Betroffenen verkauft werden“, fordern die von Kreditkunden beauftragten Anwälte unisono.

Bei der deutschen Lone-Star-Niederlassung in Frankfurt heißt es, man bewege sich ausschließlich auf dem Boden der Gesetze. Zudem sei nur in etwa 0,5 Prozent der Kreditfälle keine Einigung mit den Kunden erzielt worden. Anwälte wie Ulrich Ernst Büttner aus Hamburg kontern: „Da werden Vermögenswerte der Schuldner schnell und ohne Rücksicht auf menschliche Existenzen verwertet beziehungsweise vernichtet.“

Auch von Muellern wundert sich: „Deutschland ist ein sehr bankenfreundliches Land, auch in der Rechtsprechung. Die Politik kümmert sich nicht darum, die Bankenlobby funktioniert, die Machtposition der Banken ist enorm.“ Dabei passe das Wort Heuschrecken wirklich: Lone Star kaufe für schätzungsweise 40 Prozent des Nominalwerts und verwerte nach zwei bis drei Jahren zu 80 bis 90 Prozent. Dann ist das Thema abgegrast, man zieht weiter.

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