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Immobilien: Willkommen im Erdgeschoss

Die Mehrheit hat sich im Angesicht des Parterreschmuddels eingerichtet – Sachbeschädigung inklusive

Selbst Besucher nehmen das allgegenwärtige Geschmiere nur noch matt zur Kenntnis. Wie es hier aussieht, hat sich ja herumgesprochen. Die Einheimischen haben sich ohnehin im Angesicht des Parterreschmuddels eingerichtet: Was soll man sich aufregen? Kann man nichts machen. Berlin ist so. Fürwahr: Deutschlandweit gibt es hier augenscheinlich die besten Standortbedingungen für Pseudokünstler und Frusttäter, die mit gesprühten, gekratzten oder gemalten Symbolen das immobile Eigentum anderer kaputt machen. An Privathäusern, auf Spielplätzen, Denkmälern, Parkbänken und Verkehrsschildern – tausendfach ist die Sachbeschädigung zu sehen und tausendfach wird sie hingenommen. Eine Stadt hat resigniert. Im jüngsten Wahlkampf spielte das Thema nicht mal eine Nebenrolle. „Von der Politik erwarten wir keine Hilfe mehr. Dabei kostet die Graffitibeseitigung allein an Berliner Gebäuden jährlich 30 bis 40 Millionen Euro“, sagt Dieter Blümmel, Sprecher des Eigentümerverbandes Haus und Grund.

Eine kleine Schar unentwegter Eigentümer und Mieter fordert weiter, den Sprayern deutliche Grenzen zu setzen und in eine bessere Aufklärung zu investieren. In Skandinavien hat man mit dieser Doppelstrategie Erfolg, wie Experten auf der Berliner Antigraffitikonferenz in diesem Jahr bestätigten (siehe Kasten). „Ich war beeindruckt, wie sauber Helsinki, Oslo und Kopenhagen innerhalb kurzer Zeit geworden sind“, berichtet ein Vorstandsmitglied von Nofitti. Die Ehrenamtlichen des Vereins wollen nicht mehr namentlich genannt werden, denn immer öfter werden sie nicht nur unflätig beschimpft, sondern auch bedroht. Das Gästebuch ihres Internetauftritts haben sie deshalb inzwischen geschlossen. Wer den Graffitiopfern in Berlin helfen will, wird selbst eins.

Was den rechtlichen Rahmen betrifft, sind sich Nofitti und Polizei einig: „Wir brauchen keine Strafverschärfung, aber konsequente Anwendung des geltenden Rechts (siehe Kasten). Bis die Sprayer mit Freiheitsstrafen belegt werden, haben sie schon etliche Taten begangen“, sagt Mario Hein, Leiter der berlinweiten Ermittlungsgruppe Graffiti bei der Polizeidirektion 4. Die Täter müssten sich sofort nach einem Vergehen mit dem Thema auseinandersetzen, „sonst nehmen die unsere Ermittlungen nicht ernst“.

Ob das in den eigenen Reihen der Polizei immer der Fall ist, bezweifeln zumindest Eigentümer, die in Prenzlauer Berg Schmierereien auf einer frisch renovierten Fassade meldeten. Als sie einige Tage nach Erstatten der Anzeige gegen Unbekannt fragten, ob der Vorfall an die Ermittlungsgruppe auf Landesebene weitergeleitet worden sei, teilte man ihnen mit, der Vorgang werde erst nach Abschluss der Ermittlungen dorthin gemeldet. Warum man die Spezialisten nicht zeitnah verständigt, um die Erfolgsaussichten zu erhöhen, wollte man auf dem Revier nicht sagen – nur, dass „die Ermittlungen in aller Regel ohne Ergebnis bleiben“.

Die Experten vom LKA schätzen, dass in der Stadt 60 Sprayer-Crews mit jeweils zwei bis zehn Mitgliedern unterwegs sind. Die meist männlichen Täter kommen längst nicht alle aus dem „Hartz-IV-Milieu“ – und sind nach Angaben der Ermittler schwer zu fassen, weil „die Sprayer nachts agieren und Crewmitglieder Schmiere stehen“. So setzt die Polizei auch notgedrungen auf Prävention, erklärt in Schulen, was Sachbeschädigung ist, und dass dafür Schadenersatz fällig ist – wenn er denn durchgesetzt wird.

Weit mehr als Tausend Tatverdächtige hat man dieses Jahr bislang ermittelt. Wie viele davon tatsächlich verurteilt werden, kann die Justizverwaltung nach eigener Aussage nicht erfassen. Was bleibt, sind Einschätzungen wie diese: „Noch ist die Mehrheit der Täter zwischen 14 und 20 Jahre alt, da greift zunächst das Jugendstrafrecht", sagt LKA-Mann Hein. Ob die angewandten Maßnahmen wirken – gemeinnützige Arbeitsauflagen und sogenannte „normenverdeutlichende Gespräche“ – , kann den Eigentümern oder Mietern der beschädigten Häuser fast schon egal sein. Denn auf den Kosten bleiben sie am Ende meist sitzen. „Schadenersatzansprüche muss man zivilrechtlich geltend machen. Das dauert, kostet Geld. Und dann ist noch fraglich, wann der Täter in Lohn und Brot ist, um seine Schulden zu begleichen. Da greift man besser selbst zum Pinsel", empfiehlt Hein. Tsp

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