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Wirtschaft: In der Pflicht

Das Sozialsystem von General Motors kostet so viel, dass nichts für neue Entwicklungen übrig bleibt

Von Holman W. Jenkins Jr. Geschichte ist Schrott“, hatte Henry Ford einmal gesagt. Rick Wagoner, Chef von General Motors (GM), würde das nur zu gerne entgegnen, wenn seine Kritiker mal wieder über ihn herziehen. Sei es wegen der stetig sinkenden Martkanteile von GM, die in den USA seit 1985 von 41 Prozent auf mittlerweile 25 Prozent zurückgegangen sind. Oder wegen der teuren Tarifabschlüsse, die jedem Gewerkschaftsmitglied den vollen Lohn garantieren – egal, ob es in den GMWerken genügend Arbeit gibt oder nicht.

Doch Wagoners Job ist es nicht, sich mit der Geschichte anzulegen, sondern mit ihr zu leben. Auch wenn das immer schwieriger wird. Erst in der vergangenen Woche erntete er den Spott der Medien, als GM plötzlich seine Werbeanzeigen aus der Los Angeles Times zurückzog. Eine offizielle Begründung gab es zwar nicht. Aber alle ahnten, dass der Rückzug mit der vernichtenden Kritik zusammenhängt, die der Autobauer für seine neuesten Modelle einstecken musste – allen voran der aufwendig beworbene Pontiac G6.

Dabei ist es wenig verwunderlich, dass GM gerade noch so viel Geld in die Entwicklung neuer Modelle steckt, um die Produktion am Laufen zu halten – aber nicht genug investiert, um wirklich angesagte Autos zu bauen. Denn das zusätzliche Kapital für solche Investitionen verschlingt das großzügige konzerneigene Sozialsystem. So bezahlt GM die Krankenversicherung der Mitarbeiter komplett. Auch die betriebliche Rentenversicherung ist inzwischen so aufgebläht, dass der Pensionsfonds vor zwei Jahren nur durch die Ausgabe von Schuldverschreibungen gerettet werden konnte.

Ein Schlüsselwort für begrabene Hoffnungen ist „Zeta“. So hieß bei GM das Konzept einer neuen Heckantriebs-Architektur. Dank „Zeta“ sollten die in die Jahre gekommenen Modellreihen Pontiac, Buick und Chevy in die Moderne geführt worden. Man hoffte, mit den neuen Heckantrieben Daimler-Chryslers oder der Neuauflage des Ford Mustang Konkurrenz machen zu können.

Das Aus für „Zeta“ kam im vergangenen Monat. Es war das Ende einer Reihe von schlechten Nachrichten: dramatisch gesunkene Verkaufszahlen, enttäuschte Erwartungen bei den neuen Modellen, Verfall des Aktienkurses und die Absenkung von GMs Bonitätsnote durch die Ratingagenturen. Dennoch stellte es der Konzern so dar, dass die eingesparten Mittel aus „Zeta“ nun in andere Fahrzeugreihen gesteckt würden. Man wolle etwa die Entwicklung von neuen SportGeländewagen und Pickup-Trucks beschleunigen, hieß es.

Doch die Wahrheit sieht anders aus: „Zeta“ wurde eingestellt, um in den kommenden Jahren die Kosten für die Kranken- und Rentenversicherung der Mitarbeiter aufzubringen. Denn inzwischen steht fest, dass dieses Geld nicht von den Verkäufen neuer Modelle wie G6 und Cobalt kommen wird. Das sind zwar gute Autos, aber nicht gut genug, im Vergleich mit dem, was die Konkurrenz zu bieten hat: gewagteres Design, kräftigere Motoren und modernere Getriebe. So versucht sich GM abermals mit einem lahmen Vier-Gänge-Automatikgetriebe durchzumogeln, während Fünf- und Sechsganggetriebe bei den anderen Autoherstellern längst Standard sind.

Mit dem Abschied von „Zeta“ hat GM sein Ziel für den Rest des Jahrzehnts formuliert. Man hat versprochen, nur noch fade Massenware zu produzieren. Risiken geht letztlich nur ein, wer für anonyme Aktionäre arbeitet. Wer dagegen darauf abzielt, Arbeitern, Rentnern und ihren Angehörigen den gewohnten Lebensstandard zu erhalten, scheut das Risiko.

Dabei hatte GM mit dem Cadillac einst vorgemacht, wie man den Absturz einer Marke erfolgreich umkehrt. Ende der 90-er Jahre war die amerikanische Luxuskarosse kurz vor dem Aus: Die Technik war veraltet, und das Durchschnittsalter der Cadillac-Käufer ging auf 65 Jahre. Wer auf sich aufmerksam machen wollte, kaufte sich einen BMW, Lexus, Jaguar oder Mercedes. Dann steckte die GM-Führung vier Milliarden Dollar in den Bau einer neuen Reihe – und die Autos wurden zum Renner. Allein in diesem Jahr sollen 50000 Cadillacs mehr verkauft werden als im Börsenboomjahr 1998.

Doch diesmal hat sich GM-Chef Rick Wagoner anders entschieden: Sein Konzern geht nun ohne die Chance auf Star-Modelle – die durch die „Zeta“Technik entwickelt worden wären – ins Rennen.

Die Texte wurden übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Öl), Tina Specht (GM), Christian Frobenius (Rover) und Svenja Weidenfeld (Hilton).

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