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Wirtschaft: In Rürups bunter Truppe fliegen schon beim Start die Fetzen

Die Reformkommission für Rente, Gesundheit und Pflege hat schon einen Konsens gefunden: Alle wollen über die Kommissionsarbeit schweigen und tun es nicht

Spötter in den eigenen Reihen sagen, das Einzige, was Bert Rürup in den letzten Tagen wirklich geärgert habe, sei, dass er selbst nichts sagen durfte. Der Chef der Kommission zur Reform von Rente, Pflege und Gesundheit – kurz: Nachhaltigkeitskommission – hat mit seinen Mitgliedern vereinbart, dass niemand Details über die Gespräche der Kommission ausplaudern darf.

Er selbst hält sich daran, seine Kommissionsmitglieder nicht: Seit Tagen fliegen zwischen den konservativen Wissenschaftlern der Kommission und denen, die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ergeben sind, die Fetzen. Und das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. Wenn die inhaltliche Arbeit beginnt.

Es gebe keinen Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland, dem die eitle Bezeichnung „Vordenker“ so wichtig ist wie dem Darmstädter Genossen Rürup, sagen seine Freunde. Neunundfünfzig Jahre ist Rürup jetzt alt. Die Kommission ist zwar nicht seine erste, sicher aber die letzte Chance, in der Politikberatung ganz groß rauszukommen. Deshalb nutzt er sie, so klein sie ist. Er will die Kommission erfolgreich „mit überzeugenden und im Konsens gefundenen Vorschlägen abschließen“, sagt er.

Rürup muss die Kommissionsmitglieder dazu bringen, ernsthaft und konstruktiv miteinander zu arbeiten. Dass viele von ihnen dazu nicht besonders viel Lust haben, hat System. Denn Ulla Schmidt hat die 25 Kommissionsmitglieder so kontrovers wie nur möglich besetzt. Denn die Ministerin selbst hat kein Interesse an einer erfolgreichen Kommissionsarbeit. Der Kanzler hat sie gezwungen, die Truppe zu bestellen. Sie selbst hätte lieber die Expertengruppe, die in ihrem eigenen Haus an einem Gesundheitsreformkonzept arbeitet, auch mit der Frage der Nachhaltigkeit der Reformen beauftragt. Jetzt tut sie alles, um die Experten zu entmutigen. Nein, für die Reformschritte im Gesundheitswesen in diesem Jahr werde sie schon selbst sorgen. Die Rente? Die sei doch bis zum Jahr 2015 in trockenen Tüchern. Die Gesichter der Kommissionsmitglieder wurden daher immer länger. Deshalb hoffen nun der Vorsitzende und diejenigen, die tatsächlich Ergebnisse wollen, darauf, dass der Kanzler es ernst meint mit der Ankündigung großer Reformen in seiner Neujahrsansprache.

Ob sie richtig liegen, ist derzeit eine beliebte Wette in Berlin: Denn den Kanzler selbst haben die Grünen in den Koalitionsverhandlungen genötigt, die Kommission zu berufen. Sonst hätten sie sich der Beitragserhöhung in der Rentenversicherung verweigert.

Jetzt sitzt die strenge Gewerkschafterin Ursula Engelen-Kefer neben dem Wirtschaftswissenschaftler Gert Wagner, der den Krankenkassen am liebsten die Devise „Wettbewerb jetzt“ verordnen würde. Der vorsichtige Arbeitgebervertreter in der Rentenversicherung, Jürgen Husmann, sieht sich dem Radikalgewerkschafter Klaus Wiesehügel gegenüber. Und der Finanzwissenschaftler Bernd Rafellhüschen wird seine Fehde mit dem Hausökonomen der Ministerin, Karl Lauterbach, fortsetzen.

Rürup aber will beweisen, dass er nicht nur als Politikbegutachter und -zensor etwas taugt, sondern auch als Politikmacher. Dabei fürchtet Rürup wirklich: Die Forderung von Gesundheitsministerin Schmidt nach einem einstimmigen Kommissionsergebnis im kommenden Sommer. Zwar glaubt er immer noch nicht, dass sich die Kommissionsmitglieder allzu sehr verbiegen müssten, um der Gesundheitsministerin einen Konsens zu präsentieren. Dennoch: Wenn es unüberbrückbare Gegensätze gibt, findet er alternative Optionen und abweichende Meinungen besser als einen Kompromiss, der ihm und den anderen Ökonomen – zum Beispiel von den eigenen Kollegen im Sachverständigenrat – im kommenden Herbst um die Ohren gehauen würde. Wenn er sich so eine Blamage vorstellt, schüttelt es den hageren Professor. Weder er noch seine wissenschaftlichen Kollegen hätten ihr Berufsleben in ökonomische Betrachtungen und Positionen investiert, um jetzt faule Kompromisse zu machen. Eine vertrackte Situation – doch der Vorsitzende hat Hoffnung: „Das macht uns auch freier“, beteuert Rürup, „es gibt keine Spielwiese, es gibt nur den Ernst".

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