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Die beiden jungen Gründer vor einer Backsteinwand.

© Knusperreich

Individuelle Lebensmittel aus dem Netz: Jeder isst, was er will

Ob Schokolade, Kekse oder Tee: Etliche Produkte kann man heute im Netz selbst zusammenstellen und sich nach Hause liefern lassen. Viele Anbieter sitzen in Berlin.

Von Maris Hubschmid

Gegessen wird, was auf den Tisch kommt – das ist der Satz einer anderen Generation. Wer heute jung ist, gibt sich nicht mehr so leicht zufrieden mit dem, was andere für ihn ausgesucht haben. Die Freunde Manuel Grossmann und Max Finne, beide 24, lernten sich beim Studium der Wirtschaftswissenschaften in Friedrichshafen kennen. In einer Lernpause hatten beide Lust auf amerikanische Kekse, Cookies, fanden in der kleinen Stadt am Bodensee aber keine, die ihren Ansprüchen genügten. „Das Supermarkt-Angebot war enttäuschend: Alles staubtrocken“, erzählt Grossmann. Also gingen sie selbst ans Werk. Heute lassen sie backen, mehr als 10 000 Cookies in der Woche. Im Internet können Kunden ihre persönliche „Wunschdose“ zusammenstellen, in der jeder Keks eine andere Zutat enthält. Wie wäre es mit Pflaume-Dinkel oder Grüntee-Aprikose? „Himbeer White Choc ist der Bestseller“, sagt Finne. „Obwohl es im Handel sonst gar keine Kekse mit Früchten gibt – wenn man mal von Rosinen absieht.“

Mit ihrem Ende 2011 gegründeten Unternehmen Knusperreich profitieren die beiden jungen Männer von einem deutschlandweiten Trend. Ob Schokolade, Kaffee oder Marmelade, etliche Produkte lassen sich im Internet auf vielfältige Weise individualisieren. Im Onlineshop der Berliner Firma Chocri mit Sitz in Lichtenberg können Kunden zwischen vier Grundsorten Schokolade und mehr als 80 Zutaten wählen und mit dem Konfigurator ihre eigene Schokolade kreieren. In Berlin-Friedrichshain startete vor einigen Monaten die Firma „5 Cups and some sugar“, die Kunden Tees aus mehr als 50 Zutaten zusammenmischt.

Frische und Qualität spielen eine große Rolle

Das prominenteste Beispiel ist wohl Mymuesli.de. Das Unternehmen, das 2007 von drei Freunden gegründet wurde, beschäftigt inzwischen 175 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2012 einen Umsatz von 1,2 Millionen Euro. Wer so erfolgreich ist, kann es sich leisten, andere zu fördern. Seit 2012 unterstützt Mymuesli Knusperreich als strategischer und finanzieller Partner. Inzwischen werden die Cookies sogar auf dem Produktionsgelände von Mymuesli in Passau hergestellt. Und dies, obgleich die beiden Jungs von Knusperreich sich nach dem Studium für Berlin als ihrem Firmenstandort entschieden. Von hier aus wollen sie das Unternehmen bekannter machen und an neuen Rezepten tüfteln. Eine weitere Finanzierungsrunde vor wenigen Wochen brachte ihnen dafür nochmals eine sechsstellige Summe ein.

„Jeden Morgen backen unsere Bäcker frisch von Hand, dann kommen die Cookies ofenfrisch in die Dose und werden bis spätestens 15 Uhr von DHL abgeholt“, sagt Finne. Mit etwas Glück sind sie dann schon am nächsten Morgen beim Kunden. Frische und Qualität spielen eine große Rolle bei den angesagten Online-Shops. Handgemacht, bio, egal ob Bonbons oder Likör: „Das ist Teil des Erfolgs. Die Konsumenten legen Wert auf hochwertige Inhaltsstoffe und betrachten ihren Kauf als Gegenbewegung zur Standardisierung und Massenware“, sagt Lutz Hildebrandt, Marketingexperte an der Humboldt-Universität Berlin. Die exklusive Schokolade darf dann auch etwas mehr kosten. „Meist geht es ja nicht um eine Grundversorgung, sondern darum, sich etwas zu gönnen.“ Max Finne und Manuel Grossmann sprechen von ihren Keksen als „Premium-Produkt“. Der Preis für sechs Stück liegt bei um die zehn Euro. Und der Versand des Müslis bei Mymuesli kostet mehr als die ganze Packung beim Discounter. Dafür weiß der Kunde ganz genau, was er bekommt.

Der Kunde emanzipiert sich und wird zum Designer

„Früher kauften Menschen für eine ganze Großfamilie ein, heute versorgen viele nur sich selbst“, sagt Ingmar Geiger, Konsumexperte an der FU Berlin. Individuelle Vorlieben rückten – wie in allen Lebensbereichen – stärker in den Vordergrund. Jeder ist so einzigartig wie sein Müsli. Bei Knusperreich arbeiten sie gerade an einem veganen Cookie. Die Nachfrage sei da. Sie ist vielleicht nicht so groß, dass es sich für jeden Supermarkt lohnte, vegane Cookies vorrätig zu halten. Im Internet aber, so glauben die Jungs, hat das Produkt eine Chance. „Über das Internet ist der direkte Kontakt zwischen Händler und Konsument möglich“, erläutert Marketingmann Ingmar Geiger. Ein großer Vorteil für den Verkäufer, der so ohne Marktforschungs- und Marketingaufwand seine Ware an den Mann bringen kann. Ein großer Vorteil auch für den Konsumenten, der in die Produktionsprozesse eingreifen darf, sagt HU-Experte Hildebrandt. „Das ist die Demokratisierung der Produktion.“ Der Kunde emanzipiert sich und wird zum Designer. „Man zahlt ja auch für das Erlebnis“, sagt Geiger. „Nicht zuletzt geht es darum, dass das Einkaufen Freude macht.“

Fast jedes Produkt eignet sich

Nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums fahren in Deutschland schon rund 350 Firmen nach dem Prinzip der „customized products“ – allein in der Lebensmittelbranche. Und dort hört das Angebot bei Weitem nicht auf. Firmen wie Myparfum, ebenfalls aus der Hauptstadt, hätte man noch vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten. Parfum aussuchen, ohne daran geschnuppert zu haben? Aber früher konnte sich ja auch niemand vorstellen, dass man eines Tages Schuhe im Internet bestellen würde.

Deutschland gilt als Vorreiter im Markt der individualisierten Produkte. Und einem Unternehmen ist schon den Sprung nach Amerika gelungen: Die Firma Chocri expandierte unter dem Namen Createmychocolate.com. Wie weit sich das Modell ausreizen lässt, ist nun die Frage. „Grenzen sind lediglich da gesetzt, wo die Kosten all zu unverhältnismäßig werden oder die Herstellung zu viel Zeit in Anspruch nimmt“, meint Experte Hildebrandt. Was die Produkte, die es zu individualisieren gilt, betrifft, scheint aber fast alles möglich. Nicht nur, dass man jetzt auch sein eigenes Bier brauen kann. Es gibt sogar schon eine Seite mit dem schönen Namen meine-mettwurst.de.

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