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Interview: "Es werden noch viele Tränen fließen“

Der Berliner Professor Michael Burda über die Lage der Weltwirtschaft und die wichtigsten Aufgaben von Barack Obama.

Der IWF sieht die Industrieländer im kommenden Jahr in der Rezession. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es ist vernünftig, die Prognosen zu senken. Die Lage ist sehr ernst und vielleicht noch ernster, als wir im Moment denken. Aber Amerika bleibt Ausgangspunkt und Zentrum der Krise. Europa wird mittelfristig nicht so stark betroffen sein.

Warum nicht?

Zum einen hat Europa den Euro, und man sollte wirklich jeden Tag dankbar sein, dass es ihn gibt. Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn alle europäischen Staaten ihre eigenen geld- und zinspolitischen Antworten hätten finden müssen. Der Euro verhindert Chaos.

Aber hängt Europa nicht sehr von der US-Nachfrage ab?

Vor allem ist Europa ein großer Binnenmarkt mit einer eigenen Währung. Deutschland kann davon besonders profitieren, weil das Land für den Handel mit den aufstrebenden osteuropäischen Staaten perfekt positioniert ist.

Also hat der IWF doch unrecht mit seiner Rezessionsangst?

Deutschland und Europa stehen eindeutig vor einer Rezession, die auch noch tiefer ausfallen könnte, als der IWF jetzt prognostiziert. Aber meines Erachtens wird die Rezession in Europa nicht lange dauern, schon 2010 kann es aufwärtsgehen. Ich bin vorsichtig mit Prognosen, denn ähnliche Entwicklungen gab es das letzte Mal in den 20er, 30er Jahren. Wir haben keine Erfahrungswerte.

Hätte die EZB die Zinsen stärker senken sollen?

Nein. Die EZB muss ihr Pulver trocken halten. Jetzt hat sie noch immer viel zinspolitischen Spielraum, den sie sicher geschickt ausnutzen wird. Die Fed ist schon fast am Ende der Fahnenstange – viel tiefer geht es nicht mehr.

Was muss der neue US-Präsident Barack Obama tun?

Auch ich habe ihn gewählt, aber er hat eine wirklich schwierige Aufgabe. Die Immobilienpreise werden noch deutlich sinken, und das trifft im Grunde jeden einzelnen Hausbesitzer in Amerika. Diese Korrektur ist unausweichlich, aber sie verläuft sehr langsam. Das kann fünf Jahre dauern. Es werden noch viele Tränen fließen, und Obama kann kaum etwas tun, weil der amerikanische Staat so hoch verschuldet ist und die Steuereinnahmen in der Rezession zurückgehen. Er muss jetzt Vertrauen stiften.

Und das ist alles?

Das ist das Wichtigste. Er muss das Vertrauen in das Finanzsystem wiederherstellen und darf sich trotzdem nicht von den Banken über den Tisch ziehen lassen. Der Rettungsfonds der Bush-Regierung scheint mir zu lax gehandhabt zu werden, denn die teilnehmenden Banken zahlen immer noch Dividenden und Boni. Das sollte geändert werden. Mittelfristig muss Obama die Militärausgaben senken, um wieder Spielraum im Haushalt zu bekommen. Das Ende des Irakkriegs ist auch aus finanziellen Gründen zwingend. Wichtig ist, dass Obama die richtigen Berater um sich schart. Er muss innovativ sein und schnell handeln.

Der Amerikaner

Michael Burda (49) lehrt seit 15 Jahren

an der Humboldt-Universität in Berlin Volkswirtschaft. Er hat in Harvard studiert und promoviert. Mit ihm sprach Moritz Döbler.

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