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Paul Krugman

© dpa

Interview mit US-Ökonom: "Die USA können von Europa lernen"

Der US-Ökonom Paul Krugman spricht mit dem Tagesspiegel über die Fehler der USA, die Finanzkrise und die Gefahr einer Rezession.

Herr Krugman, warum ist der US-Finanzmarkt in die Krise geraten?

Weil wir an Zauberei geglaubt haben. Es war der Glaube entstanden, dass man aus größeren Mengen zweifelhafter Anlagen durch bestimmte Finanzkonstruktionen wertvolle Anlagen machen könnte. Aus Blei sollte Gold werden. Wir hatten ein System, bei dem niemand verantwortlich war: weder die Menschen, die sich Geld geliehen haben, noch die, die solche Anleihen in den Markt eingespeist haben.

Ist die Krise vorbei?

Das wissen wir noch nicht. Ich bin einigermaßen optimistisch, aber nicht sicher. Mein ehemaliger Dekan in Princeton, Ben Bernanke, hat als Chef der Federal Reserve sofort die Initiative ergriffen. Das war auch richtig. Die Risiken waren enorm und es musste etwas getan werden, um einer Panik entgegenzutreten. Inzwischen kann man vielleicht sagen: Der Patient hatte 40 Grad Fieber, jetzt ist es auf 39 Grad gefallen.

Wie viel Schuld daran hat die Politik von Bernankes Vorgänger Alan Greenspan?

Ziemlich viel. Ich teile zwar nicht die Meinung, dass Greenspan die Zinsen zu lange zu niedrig gehalten hat – dafür gab es gute Gründe. Er hat aber alle Warnungen darüber ignoriert, wohin ein unreguliertes Finanzsystem führen kann. Worum es sich gehandelt hat, war ein moderne Version der Bankenkrise von 1930/31. Die Weltwirtschaftskrise hätte damals verhindert werden können, wenn die Federal Reserve viel Geld in die Banken gepumpt hätte, ähnlich wie es Bernanke getan hat. Aber wir haben heute ein System, das die Regeln umgeht. Und Greenspan hatte die Risiken, die in diesem Markt liegen, ignoriert.

Ließen sich die Risiken eliminieren?

Natürlich, wir brauchen nur ein Basel II. Eigentlich brauchen wir nur ein Abkommen zwischen der Bank of England, der Europäischen Zentralbank und der Fed, das Hedge-Fonds und Investmentbanken zur Offenlegung zwingt. Bernankes Erfolg im Umgang mit der Krise wird vermutlich eher dazu führen, dass der politische Wille für mehr Regulierung wieder schwindet. Doch mit Obama im Weißen Haus und einer Mehrheit der Demokraten im Senat und Repräsentantenhaus sähe es natürlich ganz anders aus …

Ist die amerikanischen Wirtschaft auf dem Weg in eine Rezession?

Die echte Wirtschaft ist ins Stottern geraten, aber wir haben keine Wirtschaftskrise. Ich glaube, dass wir uns auf eine längere Phase wirtschaftlicher Schwäche einstellen müssen. Es herrscht eine Lage wie nach der 2001er-Rezession, als wir eine Krisenperiode von zweieinhalb Jahren hatten – und nicht wie 1982, als die Wirtschaft sofort wieder loslegte. Deshalb brauchen wir Anreize für die Wirtschaft, die langfristig angelegt sind.

Also droht den USA eine Rezession?

Wahrscheinlich. Wir befinden uns aber in einer Situation, wo die genaue Definition einer Rezession schwierig geworden ist. Wir hatten bereits zwei Quartale mit einem Wachstum von nur 0,6 Prozent. Das fühlt sich fast wie Nullwachstum an.

Sie haben geschrieben, dass die Amerikaner anfangen sollten, so zu leben wie die Deutschen. Was das Wachstum betrifft, hat Europa bisher nach Amerika geschaut.

In den vergangenen 15 Jahren haben sich alle über den Zustand der europäischen Wirtschaft Sorgen gemacht. Die amerikanische galt als Vorbild. Aber wenn man sich die Lage ein wenig genauer anschaut, erkennt man jene Bereiche, in denen die USA von Europa lernen können: das Gesundheitssystem oder der öffentliche Nahverkehr. Die meisten Vorstellungen von der europäischen Wirtschaft sind ohnehin veraltet. In Amerika denkt man, der europäische Arbeitsmarkt sei schwach. Dabei hat der Durchschnittsfranzose statistisch genauso wahrscheinlich einen Job wie ein Amerikaner.

Als der Chef der Deutschen Bank mitten in der Krise nach staatlicher Hilfe rief, verstand mancher das als Eingeständnis, dass der Kapitalismus am Ende sei. Ist er das?

Das hängt davon ab, was man als Kapitalismus bezeichnet. Von 1945 bis 1985 hatten wir ein Finanzsystem, dessen Fundament die kommerziellen Banken waren. Die sind einer strengen Kontrolle unterworfen. Das ist regulierter Kapitalismus, aber trotzdem Kapitalismus. Wenn wir nun andere Finanzinstitutionen, die es 1945 noch nicht gab und die inzwischen sehr einflussreich geworden sind, einer ähnlichen Kontrolle aussetzen, ist das nicht das Ende vom Kapitalismus. Vielleicht haben die „Masters of the Universe“ dann nicht mehr so viel Spielraum wie vorher, aber es ist noch lange nicht Nordkorea.

Das Interview führte Moritz Schuller.

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