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Johann Köppel ist für einen Ausstieg aus der Atomkraft.

© Kai-Uwe Heinrich

Interview: Wissenschaftler Köppel: "Ökostrom ist so teuer wie McDonald’s"

Johann Köppel, Wissenschaftler an der TU Berlin, über den Ausstieg aus der Atomkraft und einen raschen Ausbau erneuerbarer Energien.

Herr Köppel, die Skepsis gegen die Atomkraft wächst, und Strom aus Kohle schadet dem Klima. Wie schnell kann Deutschland auf erneuerbare Energien umsteigen?
Deutschland ist so gut vorbereitet auf das Zeitalter der Erneuerbaren wie kein anderes Land auf der Welt. Die Energiepolitik hierzu war in den vergangenen Jahren vorbildlich, egal, ob sie von den Grünen, der SPD oder nun der Union dominiert war. Bei der Nutzung der Sonnenenergie liegen wir weltweit an der Spitze, bei der Windkraft sind wir erst kürzlich von den USA überholt worden. Zuletzt deckten die Erneuerbaren gut 16 Prozent des Bruttostromverbrauchs und mehr als zehn Prozent des Endenergieverbrauchs. Das ist eine gute Ausgangsbasis.

Die sieben älteren Atomkraftwerke abzuschalten ist also kein Problem?

Nein, und die übrigen kann man auch in absehbarer Zeit vom Netz nehmen. Je länger sie Strom produzieren, desto schwerer und langwieriger wird der Umstieg auf erneuerbare Energieträger. Zum einen, weil man den Innovationsdruck für die grünen Techniken senkt. Zum anderen, weil zu viel Grundlast an Strom das System für die erneuerbare Energie verstopft. Ein erneuerter konventioneller Kraftwerkspark zementiert alte Strukturen.

Die Industrie pocht auf eine verlässliche Grundlast, weil sie Stromengpässe an Tagen mit Flaute oder Wolken fürchtet.

Durch das Wachstum erneuerbarer Energien wird das Stromnetz dezentraler organisiert – dann könnten in der Tat Konzerne wie Eon, Vattenfall, RWE oder EnBW womöglich an Marktposition verlieren. Aber Vattenfall zum Beispiel engagiert sich beim Offshore-Windstrom.

Deutschland kann sich also auf eine sichere Energieversorgung verlassen, selbst wenn es nur noch Ökostrom gibt?

Es werden noch für lange Zeit Gaskraftwerke nötig sein, die man rasch hochfahren kann, wenn die Erneuerbaren nicht genügend liefern. Und die letzten Atomkraftwerke gehen auch erst schrittweise vom Netz. Es braucht dann weder eine Grundlast durch Kohle noch durch Kernkraft, wenn die ehrgeizigen Szenarien für die Erneuerbaren aufgehen, 80 bis 100 Prozent des Stromverbrauchs bis 2050 damit abzudecken.

Moderne Kohlekraftwerke produzieren wesentlich günstigeren Strom, sie sind nicht auf Subventionen angewiesen.

Jetzt einseitig auf Kohle zu setzen hieße, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Kohle hat keine Zukunft ohne die Abscheidung des Kohlendioxids per CCS. Die Technik ist in Deutschland noch längst nicht einsatzreif und erfordert ebenfalls kräftige Investitionen in den Aufbau von CO2-Speichern und Pipelines.

Welcher der alternativen Energien geben Sie die größte Zukunft?

Windkraftanlagen haben das größte Potenzial. Im Binnenland sind die Atombefürworter Bayern, Baden-Württemberg und auch Hessen noch im Hintertreffen beim Ausbau. Am vielversprechendsten ist aber die Winderzeugung auf hoher See. Aber auch bei der Sonnenenergie erwarte ich noch einen großen Sprung.

Was würde der massive Ausbau der Öko-Energie kosten?

Zunächst wären hohe Investitionen nötig, später wäre die Sache preiswerter. Bis 2050 rechnet sich der Umstieg allemal, das hat kürzlich der Sachverständigenrat für Umweltfragen ausgerechnet. Nicht nur wegen der Investitionen in CCS käme die Kohle wohl nicht günstiger, auch angesichts der erforderlichen Emissionszertifikate und steigender Rohstoffpreise.

Dann haben Sie überhaupt keine Bedenken gegen die Erneuerbaren?

Einen großen Flaschenhals auf dem Weg zu mehr erneuerbarer Energie stellen die Energienetze dar. Kohlestrom wird oft dort produziert, wo die Nachfrage ist. Windstrom kommt hingegen von der Küste, Sonnenstrom aus dem Süden – es fehlen aber die Leitungen für den Transport zu den Wirtschaftszentren, vor allem für den Offshore-Windstrom.

Und die Speicherung der Energie?

Dazu muss man erhebliche Kapazitäten gewährleisten: Pumpspeicherkraftwerke, bei denen mit überschüssiger Windenergie Wasser in ein Becken gepumpt wird, das später abgelassen wird und Turbinen antreibt. Dafür kommen vor allem Norwegen und die Alpenländer infrage – aber warum sollten die Lust haben, unser Energieproblem zu lösen?

RWE-Chef Großmann sagt, für eine sichere Versorgung mit Erneuerbaren bräuchte man ein Pumpspeicherkraftwerk von der Größe des Bodensees.

Ich halte das für plausibel. Im Alleingang wird Deutschland die Wende ohnehin nicht schaffen. Nötig ist ein Umbau der Energieversorgung im europäischen Rahmen. Eine Arbeitsteilung ist sinnvoll: Iren, Briten und Deutsche können eher Windstrom effektiv erzeugen, Spanier, Italiener und auch Afrikaner die Sonne ertragreicher nutzen.

Auf neue Stromleitungen haben viele Menschen ähnlich viel Lust wie auf den Bau eines Atomkraftwerkes in ihrer Nähe.

Man muss mangelnde Akzeptanz ernst nehmen und die Leute beteiligen – und zwar frühzeitig, das ist der springende Punkt. Es gibt ja Ideen, gerade die Planung des Netzausbaus auf die Bundesebene zu ziehen, um verbindlich voranzukommen. Gerade dann braucht es die Öffentlichkeitsbeteiligung. Man darf nicht in den alten Reflex verfallen, Beschleunigung durch weniger und zu späte Beteiligung erreichen zu wollen.

Es ist aber ein Widerspruch, einerseits einen raschen Umstieg zu Öko-Energien zu verlangen, andererseits aber die Planungen noch langwieriger zu machen.

Ich hoffe, dass angesichts der Bilder aus Japan viele Bürger erkennen, wie wichtig erneuerbare Energien für unsere Zukunft sind. Gleichwohl stehen wir hier noch vor komplexen Diskussionen. Und es gibt das „Green against Green“-Phänomen, wie es ein amerikanischer Journalist genannt hat: Klimaschutz mit Erneuerbaren einerseits und der Artenschutz andererseits zum Beispiel, das müssen wir lernen konstruktiv auszubalancieren.

Muss der Staat stärkere Anreize setzen, um die Erneuerbaren auszubauen?

Um das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das den Ausbau der Alternativen regelt, beneiden uns viele andere Länder. Es hat sich als richtige Idee erwiesen, nicht allein dem Markt den Ausbau der grünen Technik zu überlassen, sondern als Staat steuernd zu helfen. Denken Sie an den Stellenwert grünen Stroms – früher war er ein Spielfeld für Spinner, dann ging es um Klimaschutz, das Arbeitsplatzargument kam hinzu, heute geht es um Industrie- und Innovationspolitik. Man muss das Gesetz nur stetig weiterentwickeln, aber das geschieht ja auch.

Sie wollen noch höhere Subventionen?

Der Betrag, den eine Familie monatlich für den Ausbau der Erneuerbaren zahlt, ist vergleichbar einem Besuch in einem amerikanischen Schnellrestaurant. Das ist angesichts der Risiken, von denen wir sprechen und die uns zum Umdenken bewegen, zu verkraften.

Fast die Hälfte der Umlage des EEG fließt in die Solartechnik, sie steuert aber nur zehn Prozent zur Energieproduktion bei.

Ja, derzeit. Aber die konventionelle Energieerzeugung kostet auch Geld, und fossile Brennstoffe sind auch nicht billiger. Und die Endlagerung von Atombrennstäben oder Unfälle wie in Japan sind darin gar nicht kostendeckend enthalten.

Neue Netze, verstärkte Anreize durch den Staat – Strom wird noch teurer?

Die Anstrengungen werden noch steigen müssen. Aber es wird sich rechnen, spätestens 2050.

Das Gespräch führte C. Broenstrup.

ZUR PERSON

DER FORSCHER

Johann Köppel (54), gebürtiger Ingolstädter, leitet das Fachgebiet Umweltprüfung und Umweltplanung und ist Dekan der Fakultät Planen und Bauen an der Technischen Universität (TU) Berlin. Er erforscht die Auswirkungen erneuerbarer Energien auf die Umwelt und berät das Bundesumweltministerium.

DER STROM

Seit der Atomkatastrophe im japanischen Akw-Komplex Fukushima streiten Politiker und Experten über die Zukunft der Stromversorgung. Bislang bezieht Deutschland 23 Prozent seines Stroms aus 17 Akw. Nach dem bisherigen Konzept der Bundesregierung soll der letzte Meiler im Jahr 2035 abgeschaltet werden. Doch seit den Ereignissen in Japan steht dieses Datum wieder zur Disposition.

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