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Wirtschaft: Israels Industrie steckt den Krieg gut weg

Robuste High-Tech-Branche / Defizit im Staatshaushalt soll nur geringfügig steigen / Landwirtschaft und Tourismus leiden

Tel Aviv - Israels über viele Jahre krisengeschüttelte Wirtschaft ist derart robust, dass sie die gewaltigen Kosten und Auswirkungen des anhaltenden Libanonkrieges wegstecken kann – sofern bis spätestens Ende der Woche Waffenruhe herrscht. Staatsbankgouverneur Stanley Fischer schätzt den zu erwartenden wirtschaftlichen Schaden des Krieges auf rund fünf Milliarden Shekel ein (etwa 884 Millionen Euro oder 1,14 Milliarden Dollar). Das sind 0,7 bis 0,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Die wöchentlichen direkten Kriegskosten betragen somit 750 Millionen Shekel bis 1,08 Milliarden Shekel, also rund 0,2 Prozent des BIP.

Das Defizit im Staatshaushalt könnte sich um bis zu zwei Prozent erhöhen, doch da die geplante Erhöhung des Sozialetats wohl gestrichen wird, bleibt es bei einer Vergrößerung des Defizites um etwa 0,6 Prozent. Nicht zuletzt dank der in den letzten Jahren angehäuften Reserven könnte erstmalig ein Krieg ohne Steuererhöhungen oder „freiwillige“ Zwangsanleihen bewältigt werden.

Die erheblichsten Rückschläge erlitt natürlich der unter Raketenandrohung stehende Landesnorden. In mehr als 70 Prozent der dortigen Industriebetriebe wurde die Arbeit vorübergehend eingestellt. Doch gegen Ende der abgelaufenen Woche hatten rund 90 Prozent ihre Arbeit wieder aufgenommen. Israels größtes zusammenhängendes Industriegebiet, die nördlichen Vororte von Haifa, mit der Raffinerie und den petrochemischen Werken, blieb von Raketeneinschlägen praktisch verschont. Genauso wie der Hafen von Haifa. Trotz 15 schweren Raketenangriffen auf die Stadt selbst ruhte die Arbeit im Hafen gerade einmal zwei Tage lang, während die Schiffe ins offene Meer ausliefen und größtenteils nach Ashdod umgeleitet wurden.

Beim Hafen von Ashdod, unweit des ebenfalls kampferschütterten Gazastreifens, geschah am vergangenen Montag, also mitten im Krieg, so etwas wie ein Wunder: Die dortige Raffinerie wurde privatisiert. Das Finanzministerium, das mit einer Einnahme von rund 400 Millionen Dollar gerechnet hatte, kassierte exakt das Doppelte: 800 Millionen Dollar. Und es war keineswegs der einzige Mega-Deal in diesen Tagen. Auch zwei US-Konzerne kauften in Israel zu: Hewlett-Packard zahlte 4,5 Milliarden Dollar für die Softwarefirma Mercury Interactive Corporation. ScanDisk erwarb für 1,37 Milliarden Dollar den Flash-Speicherproduzenten Msystems.

Die Amerikaner investieren also wieder in Israels High-Tech-Branche, die über erhebliche Forschungskapazitäten verfügen soll. Israels erneuter wirtschaftlicher Aufstieg ist denn auch weitgehend auf die High-Tech-Renaissance zurückzuführen. Vor der Krise nahm Israel in diesem Bereich weltweit den zweiten Platz hinter den USA ein.

High-Tech ist wieder zum Zauberwort vor allem für die jungen Israelis geworden. Sie müssen zwar eine sich dramatisch verschlechternde Schulausbildung über sich ergehen lassen. Doch an den Hochschulen, insbesondere dem Haifaer Technion, wird dies durch eine hoch qualitative Berufsausbildung wieder gutgemacht. Während der Wirtschaftskrise, in der die Arbeitslosenquote bis auf knapp elf Prozent angestiegen war und vor allem Akademiker getroffen hatte, waren viele bestqualifizierte Fachkräfte ins Ausland – vor allem in die USA – abgewandert.

Seit die Krise überwunden ist, zumindest bis zum Kriegsausbruch, verlief der Trend umgekehrt. Die Arbeitslosenquote ist unter neun Prozent gesunken. Die Regierung hatte für das laufende Jahr eine Wachstumsrate von mehr als fünf Prozent geplant, nun dürfte sie als Folge des Krieges bei immerhin noch beachtlichen vier Prozent liegen.

Der heutige Oppositionsführer Benjamin Netanyahu beansprucht – sicherlich größtenteils zu Recht – den Aufschwung aus der wirtschaftlichen Talsohle für sich. Als Finanzminister der Regierung Sharon hatte er eine rigoros neoliberale Politik betrieben. Ohne Rücksicht auf die sozial Schwächeren, denen er erbarmungslos Sozialhilfe und Renten kürzte. Der heutige Regierungschef Ehud Olmert, der seinen Rivalen Netanyahu als Finanzminister beerbte, lockerte die den Ärmsten angelegten Schrauben, bis er im Januar Sharons Nachfolger wurde.

Der heutige Finanzminister Avraham Hirchson genießt, wie kaum einer seiner Vorgänger, das absolute Vertrauen des Regierungschefs, dessen Finanz- und Wirtschaftspolitik er weiterführen will. Hirchson hat soeben eine nicht nur für Israel einzigartige Performance hingelegt: Noch während der Krieg andauert, hat er bereits ein Entschädigungsabkommen für den Landesnorden mit Wirtschaft und Gewerkschaft abgeschlossen und dabei dafür gesorgt, dass die 100 000 Arbeitnehmer rund 80 Prozent ihrer Löhne – letztlich rund 2,3 Milliarden Shekel – für die Tage erhalten, an denen sie dem Arbeitsplatz fern bleiben mussten.

Allerdings erlebten Unternehmer und Lohnempfänger zu Monatsbeginn eine herbe Enttäuschung. Denn das Finanzministerium behielt von den Entschädigungen gleich die Steuern ein. Noch fehlt zudem ein Entschädigungspakt für Geschäftsinhaber und vor allem für den am meisten leidenden Touristiksektor, der bei Null-Umsatz tagtäglich rund zehn Millionen Shekel verliert, während die Industrie nördlich von Haifa auf eine Schadenshöhe von rund zwei Milliarden Shekel kommen dürfte – exklusive der durch Einschläge verursachten Schäden am Maschinenpark sowie der ausgebliebenen Bestellungen. Zum größten Verlierer des Krieges droht die Landwirtschaft im Norden des Landes zu werden, weil die Ernten nicht eingebracht werden können. Pfirsiche, Birnen und Äpfel, die fast ausschließlich im gebirgigen Galiläa angebaut werden und deren Hochsaison gerade anläuft, verfaulen an den Bäumen.

Hirchson verweist in diesen Tagen gern auf die diversen Milliardenverkäufe und Mega-Geschäfte israelischer Firmen mit dem Ausland als einen „Beweis für das Vertrauen des Auslandes in die israelische Wirtschaft“. Dasselbe Vertrauen herrscht auch im Inland – wie an der Tel Aviver Börse festzustellen ist. Nach Rückschlägen in der ersten Kriegswoche sind die Kurse wieder auf die Höchstwerte vor Kriegsausbruch zurückgeklettert.

Tatsächlich erfreut sich Israels Wirtschaft wieder eines guten Rufes vor allem wegen ihrer Innovationskraft, ihres Forschungspotenzials, der guten Ausbildung – nicht zuletzt der rund einer Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion –, der Fachkräfte und des schon fast legendären israelischen Improvisationstalents. Dass es die Israelis mit diesem Talent oftmals übertreiben, verzeihen ihnen die ausländischen Partner und Abnehmer meist. Schwieriger wird es, wenn Liefertermine nicht eingehalten werden können – wie jetzt wegen des Krieges.

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