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Wirtschaft: "Jeder muss sich selbst als Wertpapier begreifen"

Der Unternehmensberater über Jahrtausendwechsel, Zukunft der Arbeit und Verantwortung des EinzelnenReinhard K. Sprenger (46) ist Unternehmens- und Personalberater und Bestseller-Autor.

Der Unternehmensberater über Jahrtausendwechsel, Zukunft der Arbeit und Verantwortung des Einzelnen

Reinhard K. Sprenger (46) ist Unternehmens- und Personalberater und Bestseller-Autor. Der promovierte Philosoph, der auch Geschichte, Psychologie und Sport studiert hat und sein Studium mit Auftritten in einer Musikband und Nachtwachen im Krankenhaus finanzierte, gilt in der Branche als Querdenker. In seinem neuesten Buch "Die Entscheidung liegt bei Dir" fordert er die Selbstverantwortung des Einzelnen ein. Jeder sei seines eigenen Glückes Schmied. Mit Reinhard Sprenger sprach Margarita Chiari.

Herr Sprenger, der Jahrtausendwechsel kommt. Die Menschen haben zwiespältige Gefühle, sie schwanken zwischen Neugier und Sorge. Sind sie auf die neue Zeit nicht vorbereitet?

Viele sind überfordert. Wir leben in einer Zeit, in der die Geschwindigkeit der Veränderung in einer Weise zugenommen hat, die historisch beispiellos ist. Alles, was früher einigermaßen stabil erschien, erodiert. Ich will nur ein Beispiel nennen: Es gibt Forschungsberichte, wonach jeder zweite Mensch, der heute einen Job hat, in zehn Jahren keine feste Vollzeitstelle mehr haben wird. Das sind Veränderungen, auf die die Menschen nicht vorbereitet sind.

Hat die Politik versagt?

Ja, indem sie die Menschen unterschätzt. Wenn die Politiker heute behaupten, sie hätten alles im Griff, sie könnten alles regeln, dann ist das eine Illusion. Seit 1989 - das war meiner Einschätzung nach der eigentliche Epochenbruch - ist der Wirkungsgrad des politischen Handelns nicht mehr der gleiche. Die alten Gesetze des Nationalstaates gelten nicht mehr, und die Menschen wissen das auch. Wenn Politiker heute offen sagen würden, dass sie vieles nicht mehr regeln können, dann wären wir schon einen Schritt weiter.

Politiker wollen wiedergewählt werden. Der Fall Holzmann scheint ja eher ein Beleg dafür, dass es sich lohnt, Illusionen zu nähren.

Der Fall Holzmann war ein Großattentat auf die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Wenn wir weiter so tun, als ob niemand für die Folgen seines Tuns die Verantwortung tragen muss, dann landen wir in der Sackgasse. Wer diese Illusion nährt, schwächt auch die Widerstandsfähigkeit, den Selbstrespekt der Menschen. Wir müssen dem Gedanken der Freiheit viel mehr Kraft geben.

Und wenn die Menschen die Freiheit nicht wollen?

Man muss die Menschen auch ermutigen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, sie ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Die Furcht vor der Freiheit ist auch die Furcht vor der Selbstverantwortung. Freude und Selbstvertrauen aber erwächst nur aus überwundenen Schwierigkeiten.

Was sollte denn der Einzelne tun, um nicht zu jenen zu gehören, die arbeitslos sind?

Jeder sollte auf sich selbst vertrauen, auf seine Talente, seine Leistungsfähigkeit. Wer glaubt, das Heil käme von den anderen, der hat mehr Vertrauen in die Politik oder in die Wirtschaft als in sich selbst. Das ist der falsche Weg. Jeder muss sich selbst als Wertpapier begreifen, als "Ich-Aktie".

Das verstehe ich nicht.

Jeder muss in sich investieren, den Wert seiner "Ich-Aktie" steigern. Dafür gibt es keine goldene Regel, aber doch gewisse Leitlinien. Erstens: Tu das, was Du erstklassig kannst, entwickle Deine Talente. Wer nicht weiß, wo seine Talente liegen, sollte das tun, womit er freiwillig die meiste Zeit verbringt. Zweitens: Versuche, eine Nische zu finden, sei möglichst rar. Von "me-too"-Produkten haben wir überall genug.

Und wenn dennoch niemand die "Ich-Aktie" kaufen will? Es gibt schon jetzt jede Menge Ladenhüter.

Darüber zu lamentieren, dass sich einige Produkte nicht verkaufen lassen, ist naiv. Wir haben ja nicht nur den Wettbewerb auf dem Markt, sondern auch innerhalb der Unternehmen. Die Frage lautet nicht mehr, wer ist zuständig, sondern wer kann es am besten. Und wenn dieser Beste nicht im Unternehmen zu finden ist, dann wird die Leistung eben von außen zugekauft.

Nicht jeder kann Spitzenleistungen bringen. Muss die Politik da nicht für einen Ausgleich, für Gerechtigkeit sorgen?

Natürlich, wenn wir uns als Gesellschaft begreifen, müssen wir auch Wege finden, denen zu helfen, die diesen Wettbewerb nicht gewinnen können oder sogar verlieren. Die Betonung liegt aber auf "können". Wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn wir jenen, die wirklich der Hilfe bedürfen, nicht helfen können, weil die Sozialkassen von vielen anderen in Anspruch genommen werden, die sich durchaus auch selbst helfen könnten? Wir müssen uns endlich von der Überfürsorglichkeit verabschieden. Niemand hat das Recht, auf Kosten anderer zu leben.

Wie soll das funktionieren, wenn bald nur noch jeder zweite eine Vollzeitstelle hat?

Das heißt ja nicht, dass die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos sein wird. Wir werden eine große Differenzierung der Arbeitswelt erleben, und das in vielen Fällen aufgrund freier Entscheidungen. Viele Menschen werden nicht mehr bereit sein, für ihren Job ihr Familienleben zu opfern. Manche werden werden nur stundenweise, manche nur einige Tage in der Woche arbeiten, andere werden ein halbes Jahr gar nicht arbeiten, sich Zeit für andere Interessen nehmen wollen. Die Vollzeitstelle von der Wiege bis zur Bahre: Das ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und nicht unbedingt eine gute.

Nicht jeder kann es sich leisten, nur Teilzeit zu arbeiten.

Aber viele doch. Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Lebensstandard nicht unbedingt Lebensqualität bedeutet. Viele Menschen werden andere Prioritäten setzen. Und wenn ich mir die heutige Jugend ansehe, dann glaube ich nicht, dass sie diese tradierten Arbeitsformen übernehmen will.

Entwerfen Sie da nicht ein idealisiertes Bild der Zukunft? Viele Unternehmen sind doch gar nicht bereit, Arbeitnehmern solche Freiheiten einzuräumen.

Sie werden gar nicht anders können, als Flexibilität zuzulassen, wenn sie gute Mitarbeiter halten oder gewinnen wollen. Diese Entwicklung zeichnet sich schon heute ab. Das US-Magazin "Fortune" listet regelmäßig die 100 besten Unternehmen auf - bewertet aus der Sicht der Mitarbeiter. Und dabei zeigt sich, dass die besten Unternehmen jene sind, die dem einzelnen Mitarbeiter Freiräume geben, seine individuellen Wünsche und Bedürfnisse respektieren, Unternehmen also, die Mitarbeiter nicht als Kollektivsingular - als "Belegschaft" - sehen, sondern jeden als Individuum anerkennen. Dieser Entwicklung werden sich die Unternehmen stellen müssen, wenn sie als Arbeitgeber attraktiv sein wollen. Sonst erhalten sie nur Mittelmaß.

Der Trend zeigt aber in die andere Richtung. Immer mehr Unternehmen schließen sich zu immer größeren Konzernen zusammen. Die Aktionäre sind begeistert, aber die Arbeitnehmer leiden unter wachsender Anonymität. Wo bleibt da das Individuum?

Ich glaube nicht, dass das auf Dauer so bleiben wird. Viele dieser Großkonzerne werden nicht funktionieren, weil ein wichtiger Punkt übersehen wird: Vielleicht passen die Produkte zusammen, aber die Menschen, die Unternehmenskulturen nicht. Sie werden sehen: In drei, vier Jahren werden sich viele dieser riesigen Organisationen wieder auflösen. Der Mensch ist vielleicht zur Nächstenliebe in der Lage, aber nicht zur Fernstenliebe.

Wie wird denn die Unternehmenslandschaft Ihrer Meinung nach in zehn Jahren aussehen?

Wir werden sicher noch viele der alten, traditionellen Industriekonzerne haben, und es wird auch noch weitere Fusionen geben. Aber es wird auch sehr viel mehr Unternehmen geben, die sehr erfolgreich sind, weil sie schnell sind, weil sie demokratisch sind, weil sie extrem individualisiert und sehr dezentralisiert sind. Ich glaube, dass diesen kleineren, delokalisierten Unternehmen die Zukunft gehört, weil sie der Macht der Idee und nicht der Idee der Macht den Vorrang einräumen.

Sie sehen also eine Renaissance der sozialen Werte?

Nicht in dem Sinn einer falsch verstandenen Fürsorglichkeit. Aber in dem Maß, in dem die Arbeitswelt internationaler, globaler wird, muss auch ein neues Gleichgewicht gefunden werden. Wir werden eine Gegenbewegung zur Globalisierung erleben: die Stärkung der lokalen Beziehungen, der Nachbarschaften, in denen Wir-Gefühl, Solidarität und Gemeinsinn artikuliert werden. Ohne Herkunft wird es keine Zukunft geben.

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Amerikaner. Wird das neue Jahrhundert die Zeit der Europäer?

Ja. Wenn es darum geht, ein neues Gleichgewicht zu finden, könnten die Europäer gute Ideenbringer sein.

Warum?

Weil die Europäer schon immer eine Balance zwischen Fürsorge und Freiheit, zwischen Wettbewerb und Kooperation gesucht haben. Sie eskalieren nicht so leicht wie die Amerikaner.

Wie sieht denn ihre Vision für die Welt in 20, 30 Jahren aus?

Ich mag das Wort Vision nicht. Wichtiger ist, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, zu handeln, statt darüber zu spekulieren, was morgen - vielleicht - sein wird. André Malraux hat einmal gesagt: "Wir können nicht sagen, wo wir sind, weil wir noch unterwegs sind."

Und was sollte man dann im Marschgepäck haben?

Die Erfahrung, aus eigener Kraft eine schwierige Situation gemeistert zu haben, Zuversicht und Selbstvertrauen.

Herr Sprenger[der Jahrtausendwechsel kommt. Die M]

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